Nach Auffassung des BFH kommt es bei der Auslegung der grunderwerbsteuerlichen Nachbehaltensfrist bei einer Übertragung von einer Gesamthand auf eine andere Gesamthand auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an. Eine für die Nachbehaltensfrist schädliche Anteilsminderung kann daher auch bei im Übrigen unveränderter zivilrechtlicher Beteiligung am Gesamthandsvermögen vorliegen.
Geht ein Grundstück von einer Gesamthand auf eine andere Gesamthand über, wird die Grunderwerbsteuer nicht erhoben, soweit die Anteile der Gesamthänder am Vermögen der erwerbenden Gesamthand ihren Anteilen am Vermögen der übertragenden Gesamthand entsprechen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG). Wenn sich der Anteil des Gesamthänders am Vermögen der erwerbenden Gesamthand jedoch innerhalb von fünf (ab dem 01.07.2021 zehn) Jahren nach dem Übergang des Grundstücks vermindert, entfällt diese Steuerfreistellung rückwirkend (§ 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG).
Laut BFH liegt eine solche schädliche Anteilsminderung dann vor, wenn die Beteiligung am Vermögen der Gesamthand gemindert wird (Urteil vom 12.01.2022, II R 4/20). Dies könne durch Veräußerung des Gesellschaftsanteils selbst oder auch durch anderweitige Vereinbarungen erfolgen. Bei einer anderweitigen Vereinbarung ist entscheidend, dass bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise die Beteiligung am wirtschaftlichen Wert des Gesellschaftsanteils und somit an der Teilhabe am Wert des eingebrachten Grundstücks beschränkt oder aufgegeben wird. Der BFH hält insofern nicht mehr an seiner bisherigen Auffassung fest, wonach bei §§ 5 und 6 GrEStG begrifflich die dingliche (zivilrechtliche) Mitberechtigung der Gesamthänder am Gesellschaftsvermögen als Anknüpfungspunkt maßgebend ist. Daher kann eine anderweitige Vereinbarung auch bei im Übrigen unveränderter zivilrechtlicher Beteiligung am Gesamthandsvermögen zu einer Anteilsminderung führen.
Im konkreten Fall (Streitjahr 2008) hat die Veräußerung des 94-prozentigen Anteils an einer KG zur Anteilsminderung geführt. Darüber hinaus hat der Steuerpflichtige ein (für eine gewisse Zeit unwiderrufliches) Kaufangebot abgegeben und anschließend seine Gewinn- und Verlustbeteiligung für die verbliebenen 6 Prozent abgetreten. Dies führte laut BFH nicht zur Anteilsminderung i.S.d. § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG, weil weder durch das Kaufangebot das Risiko einer Wertminderung übergegangen ist noch die Abtretung der Gewinn- und Verlustbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag der KG eine Auswirkung auf die Verteilung der Abwicklungsgewinne und des Reinvermögens hatte.
Zudem brauchte der BFH im Streitfall mangels Vorliegens der in der Rechtsprechung anerkannten Voraussetzungen nicht über eine teleologische Reduktion des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG zu entscheiden. Auch konnte dahinstehen, ob § 1 Abs. 2a GrEStG im Streitfall verwirklicht wurde. Allerdings stellte der BFH in diesem Zuge klar, dass selbst wenn der Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG durch das Kaufangebot und die Abtretung der Gewinn- und Verlustbeteiligung verwirklicht werde, es keiner teleologischen einschränkenden Auslegung der Missbrauchsverhinderungsvorschriften bedürfte. Denn § 1 Abs. 2a GrEStG sieht ausdrücklich Regelungen für den Fall vor, dass die Nachbesteuerung nach § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG durch einen weiteren, nach § 1 Abs. 2a GrEStG steuerbaren Erwerbsvorgang ausgelöst wird. Nach § 1 Abs. 2a Satz 3 GrEStG in der im Streitjahr geltenden Fassung (jetzt § 1 Abs. 2a Satz 7 GrEStG) kommt es in diesem Fall bei dem weiteren steuerbaren Vorgang zu einer Anrechnung bei der Bemessungsgrundlage. Daher sieht der BFH für eine darüberhinausgehende teleologische Reduktion keinen Raum.
Die Entscheidung betrifft § 6 GrEStG in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung. Die durch das Gesetz zur Änderung des GrEStG vom 12.05.2021 von fünf auf zehn Jahre verlängerten Nachbehaltensfristen weichen inhaltlich nicht von den Altregelungen ab, sodass das Urteil auch für die geltende Gesetzeslage Bedeutung hat.
Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.
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