25 Minuten Lesezeit 10 Januar 2022
Satellit im Orbit

Warum Unternehmen ihre internen Leistungsbeziehungen neu justieren müssen

Autoren
Alessia-Maureen Dickler

Partner, Transfer Pricing, EY Tax GmbH Steuerberatungsgesellschaft I Deutschland

Betreut Unternehmen in komplexen Fragen der internationalen Gewinnabgrenzung. Spezialisiert auf den Life Science Sektor. Lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt.

Michael Dworaczek

Partner, International Tax and Transaction Services – Transfer Pricing, Leiter Operating Model Transformation, EY Tax GmbH Steuerberatungsgesellschaft I Deutschland, Schweiz, Österreich

Globaler Verrechnungspreisberater. Unterstützt Unternehmen bei der Transformation von Geschäftsmodellen aus steuerlicher, strategischer und operativer Sicht.

25 Minuten Lesezeit 10 Januar 2022

Der Fiskus hat seine Grundsätze zu den Verrechnungspreisen grundlegend überarbeitet. Damit ändert sich in vielen Unternehmen die Beurteilung ihrer internen Leistungsbeziehungen. Es geht insbesondere um den Fremdvergleich und DEMPE, um die Einstufung von Fremdkapital und Zinsen.

Überblick
  • Mit den überarbeiteten Grundsätzen zu den Verrechnungspreisen ändert sich in vielen Unternehmen die Beurteilung ihrer internen Leistungsbeziehungen. 
  • Die Verrechnungspreise werden kontinuierlich angepasst, um die Leistungsbeziehungen in Konzernen realitätsnah zu vermessen.
  • Unternehmen sollten sich intensiv mit den Änderungen in den Verwaltungsgrundsätzen auseinandersetzen.

Eigentlich war der Head of Tax (HoT) bei der Tüftelfleißig AG mit dem Erlass zufrieden, den das Bundesfinanzministerium Mitte dieses Jahres veröffentlichte. Endlich gibt es ein BMF-Schreiben, das die verstreuten Vorschriften zu den Verrechnungspreisen bündelt und einen zentralen Überblick gewährt. Das erleichtert die Arbeit seiner Steuerabteilung, die sich mit all den Verästelungen eines internationalen Unternehmens im Bereich Maschinenbau und Dienstleistungen beschäftigen muss. Die Tüftelfleißig AG ist, weil wir aus Gründen des Daten- und Vertrauensschutzes kein reales Unternehmen präsentieren können, ein Synonym, das EY für das Tax & Law Magazine erschaffen hat. Gleichwohl befasst sich dieses fiktive Unternehmen mit all den steuerrelevanten Fragen, die jeden CFO, jeden HoT und jede Steuerabteilung beschäftigen.

Wenige Wochen nach Veröffentlichung des BMF-Schreibens erlebt die Tüftelfleißig AG eine erste böse Überraschung bei der Betriebsprüfung. Was ist passiert? Der Mutterkonzern hat ihrer deutschen Tochtergesellschaft K GmbH für den Ausbau einer Konstruktionssparte ein Darlehen in Höhe von 10 Millionen Euro zum Zinssatz von 3 Prozent gewährt. Dabei handelt es sich um einen marktüblichen Zins, wie der HoT von seiner Steuerabteilung in der gebotenen Sorgfalt prüfen ließ. Im Betriebsprüfungsmeeting kritisieren die Beamten jedoch den Zinssatz. Nach den neuen Verwaltungsgrundsätzen sei der Fremdvergleichsgrundsatz anders zu interpretieren. Der gedachte Dritte würde mangels direkter Refinanzierungskosten einen anderen Zinssatz verlangen, erläutern sie dem HoT.

Folglich wird der Mutterkonzern zur Beurteilung der Fremdüblichkeit nicht mehr einfach durch einen fremden Dritten, also ein unverbundenes Unternehmen, ersetzt. Dies hätte unstrittig zu einem angemessenen Zinssatz von 3 Prozent geführt, räumen die Prüfer ein. Doch nach den neuen Vorschriften wird ein gedachter Dritter hypothetisch in die Position und die vorgefundenen Umstände der Tüftelfleißig AG hineinversetzt. Aus dieser Perspektive müssten die Finanzbeamten von nun an den Fremdvergleich beurteilen. „Und was bedeutet das konkret?“, fragt der HoT. „Auf jeden Fall eine Zinskorrektur“, geben die Prüfer zu verstehen, „und zwar nicht zugunsten des Unternehmens.“

Lauter Überraschungen

Es ist nicht die einzige Überraschung, die das Jahr 2021 der Verrechnungspreiswelt beschert hat. Sowohl die Finanzverwaltung als auch der Gesetzgeber und der Bundesfinanzhof haben sich umfassend bemüht, die internen Beziehungen zwischen Mutter-, Tochter- und Schwestergesellschaften zu evaluieren und teilweise neu zu bewerten. Heraus kamen insbesondere eine Novellierung des Fremdvergleichsgrundsatzes und eine detaillierte Berücksichtigung der DEMPE-Funktionen sowie eine modifizierte Beurteilung von Fremdkapital und Zinsen.

Gesetz, Gesetz, Erlass

Nach den Änderungen in § 1 AStG durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz und das ATAD-Umsetzungsgesetz bilden die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise (VWG VP) vom 14. Juli 2021 den Höhepunkt bei der Neubewertung grenzüberschreitender konzerninterner Leistungen. Darin legt die Finanzverwaltung auf 44 Seiten ihre konsolidierte und zum Teil neue Sicht zu sämtlichen Themen im Verrechnungspreisbereich dar. Die VWG VP fassen die bislang über viele BMF-Schreiben verteilten Verrechnungspreisgrundsätze zusammen und enthalten genaue Verweise. Das ist im Sinne der Klarheit zu begrüßen. Im Sinne der Vermeidung einer Doppelbesteuerung ebenfalls zu begrüßen ist die grundsätzliche Orientierung an den OECD-Leitlinien, die nunmehr integraler Bestandteil der VWG VP sind.

Endlich den internationalen Gepflogenheiten verbunden

Die Leitlinien der in Paris ansässigen Organisation wurden in ihrer ersten Fassung vom Ausschuss für Steuerfragen und vom Rat der OECD im Jahr 1995 veröffentlicht. Sie stellten aber bereits eine Überarbeitung des OECD-Berichts Verrechnungspreise und Multinationale Unternehmen dar, der 1979 veröffentlicht wurde – also vor mehr als vier Jahrzehnten. Im Laufe der Zeit wurden die Leitlinien 1996, 1997, 1999, 2009, 2010, 2013, 2015 und schließlich insbesondere aufgrund der Ergebnisse des BEPS-Projekts 2015 das vorerst letzte Mal im Jahr 2017 überarbeitet. Als internationale Verrechnungspreisgrundsätze sind sie für die Staaten und deren Verrechnungspreispraxis nicht mehr wegzudenken. 

Sofortige Anwendung, auch für noch offene Fälle

In den VWG VP finden sich aber auch kritisch zu beurteilende Stellen, z. B. die Beschränkung des Zinssatzes von Konzerndarlehen auf die risikofreie Rendite, die der Beitrag an späterer Stelle vertieft. Insbesondere die sofortige Anwendung – auch auf alle noch offenen Fälle in der Betriebsprüfung – ist vor dem Hintergrund des Vertrauensschutzes mehr als bedenklich, denn es wird eine Reihe älterer, teils jahrzehntelang geltender BMF-Schreiben aufgehoben und Bezug auf Gesetzesanpassungen des § 1 AStG genommen, die allerdings erst für den Veranlagungszeitraum 2022 Wirkung entfalten. Die VWG VP dagegen wurden am 30. September 2021 im Bundessteuerblatt veröffentlicht und sind daher ab diesem Zeitpunkt für alle offenen Fälle wirksam. Damit wirken die VWG VP teils nicht mehr konkretisierend, sondern konstitutiv, und es empfiehlt sich für die Unternehmen, genau zu prüfen, inwieweit Regelungen der VWG VP auch gesetzlich abgedeckt und von der Rechtsprechung gestützt werden, denn nach wie vor binden die VWG VP nur die Finanzverwaltung, nicht aber den Steuerpflichtigen und die Gerichte.

Außerdem gibt es Stellen, die Anlass zu Missverständnissen in der Praxis geben, beispielsweise die Formulierung zu nachträglichen Preisanpassungen. Insbesondere aufgrund der rückwirkenden Anwendung ergibt sich für die Unternehmen ein unmittelbarer Handlungsbedarf. Die Steuerabteilungen müssen sich umgehend mit den Änderungen vertraut machen, um ihre Verrechnungspreissysteme anzupassen und die Compliance-Anforderungen zu erfüllen. 

Dies gilt auch für die Steuerabteilung der Tüftelfleißig AG. Diese muss nun prüfen, inwieweit sie in der Vergangenheit von der Verwaltungsauffassung abgewichen ist und ob diese Abweichungen nun ggf. in ihren Steuererklärungen offenzulegen wären. Auch sollte die Steuerabteilung prüfen, ob die Tüftelfleißig AG unter Umständen Anträge auf Vertrauensschutz stellen sollte. Weiterhin sollten der HoT und seine Mitarbeiter untersuchen, wo Anpassungen des Verrechnungspreissystems erfolgen müssen und ob ihre bislang erstellte Verrechnungspreisdokumentation hinreichend ist oder Anpassungen erforderlich sind. Das ist alles andere als einfach angesichts der Praxis, dass Unternehmen bis zu 50 Betriebsprüfungsanfragen allein zu Verrechnungspreisen erhalten und dabei die strittigen Punkte nicht nur mit der zuständigen Finanzverwaltung vor Ort, sondern häufig auch mit dem Bundeszentralamt für Steuern zu klären sind.

Vogelperspektive auf das Zentralamt für Steuern

Das Bundeszentralamt für Steuern spielt bei der Prüfung von Verrechnungspreisen eine wichtige Rolle.

Anlehnung an OECD-Leitlinien

Zwar orientiert sich die Verwaltung bei ihren Änderungen an den internationalen Entwicklungen und so auch an den Änderungen seit dem ersten BEPS-Projekt, das weltweit große mediale Aufmerksamkeit erfahren hat. Dies mag folglich insbesondere vor dem Hintergrund, dass die OECD-Berichte zu den Aktionspunkten 8–10 seit einigen Jahren unter Verrechnungspreispraktikern intensiv diskutiert wurden, auch den Eindruck erwecken, dass die Übernahme dieser Regelungen in deutsche Gesetze oder Verwaltungsanweisungen lediglich konkretisierenden oder klarstellenden Charakter hat. Aber so einfach ist es nicht.

Oder doch Vorrang?

Die Schwierigkeiten beginnen, sofern die VWG VP und die OECD-Verrechnungspreisleitlinien (OECD-VPL) voneinander abweichen. Die OECD-VPL haben den Rechtscharakter eines sogenannten Soft Law. Das heißt, sie dienen für die Finanzverwaltung, Steuerpflichtige und Berater in DBA-Fällen als Auslegungshilfe zu Art. 9 OECD-MA. Sie begründen aber keine unmittelbare deutsche Rechtsgrundlage. Das gilt zwar auch für die VWG VP, da aber die Finanzbehörden an die VWG VP gebunden sind, ergibt sich aus ihrer Sicht ein Vorrang gegenüber abweichenden OECD-Regelungen. Eine abweichende Behandlung desselben Verrechnungspreissachverhalts aufgrund von Abweichungen der VWG VP von den OECD-VPL erhöht nun immens die Gefahr der Doppelbesteuerung. Folglich drohen Unternehmen noch mehr umständliche und langwierige Verständigungsverfahren – und das, obwohl Deutschland hier ohnehin bereits an der Spitze ist. Weltweit gibt es derzeit (September 2021) 3.721 Verständigungs- und Schiedsverfahren. Deutschland steuert dazu jährlich 600 bis 700 neue Fälle bei.

Compliance-Fragen

Den Unternehmen drängen sich neue Compliance-Fragen auf. Durch die rückwirkende Anwendung ist unklar, inwieweit bei noch einzureichenden Steuererklärungen eine Offenlegung geboten ist, wenn der Steuerpflichtige sich entgegen der geänderten Verwaltungsauffassung verhalten hat. Was ist mit der Gültigkeit der Betriebsprüfungsfeststellungen? Sind Feststellungen, die unter Bezugnahme auf nun aufgehobene BMF-Schreiben ergangen sind, gegenstandslos oder nichtig? Für Unternehmen bleibt, so der oberste Compliance-Grundsatz, eine ausführliche Verrechnungspreisdokumentation wichtig, um für kritische Fragen der Verwaltung gerüstet zu sein. 

Satellit im Orbit

GPS: Ursprünglich vom US-Militär entwickelt, leistet das Global Positioning System heute in vielen Lebensbereichen wertvolle Dienste. Es basiert auf mittlerweile über 30 Satelliten (davon immer 24 aktive), die seit 1978 ins All geschossen wurden. Im Mai 2000 wurde GPS für die zivile Nutzung geöffnet. Allerdings ist die Genauigkeit hier mit fünf bis zehn Meter Streuweite geringer als in der militärischen Version.

Der Fokus des Fiskus wird größer

Eine zentrale Rolle spielt beim BMF-Schreiben die Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes. Das fundamentale Element der Verrechnungspreispraxis ist in Fällen, in denen aus einer Geschäftsbeziehung zwei verbundener Unternehmen die erzielten Einkünfte beim Steuerpflichtigen gemindert werden, stets anzuwenden. In Deutschland gehen die Anfänge des Fremdvergleichsgrundsatzes weit in die Vergangenheit zurück. Die Prüfung, ob die Ursache für eine Leistung im Gesellschaftsverhältnis liegt und damit fremdunüblich ist, basiert auf dem Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Dies wird als Voraussetzung der verdeckten Gewinnausschüttung bereits 1967 vom BFH erwähnt. Mit der verdeckten Gewinnausschüttung als solche hatte sich aber bereits der Reichsfinanzhof 1935 befasst. Auf internationaler Ebene wurde der Fremdvergleichsgrundsatz bereits im OECD-Musterabkommen aus dem Jahr 1963 festgeschrieben. Trotzdem gibt es bis heute immer wieder Diskussionen über die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Diese werden künftig sicherlich nicht weniger. Denn laut VWG VP unterliegen nicht nur die Verrechnungspreise als solche einer Fremdvergleichsprüfung, sondern auch der Grund und die weiteren Bedingungen einer Geschäftsbeziehung. Der Prüfungsumfang des Fiskus wird damit größer. Was ist nun genau darunter zu verstehen? Das Finanzamt wird beispielsweise hinterfragen, ob ein Darlehen im konkreten Einzelfall wirtschaftlich notwendig ist oder nicht.

Neue Interpretation des Fremdvergleichs

Bei der Tüftelfleißig AG heißt das, dass die Steuerabteilung nicht mehr den Umstand der Verbundenheit wegdenkt und keine reine Fremdvergleichsbetrachtung mehr vornimmt. Nach der alten Regel wäre das eingangs erwähnte Darlehen der Tüftelfleißig AG an ihre K GmbH mit 3 Prozent als unstrittigem Marktzins anzusetzen gewesen. Nach dem neuen Verständnis des Fremdvergleichsgrundsatzes wird ein gedachter Dritter hypothetisch in die Position und die vorgefundenen Umstände der Tüftelfleißig AG hineinversetzt – inklusive der Verbundenheit. Mangels direkter Refinanzierungskosten setzten die Betriebsprüfer statt der bisherigen 3 Prozent nur 1,5 Prozent an. Für die Tüftelfleißig AG heißt das im Ergebnis weniger Zinsaufwand, der steuerlich geltend zu machen ist. Hat der Maschinenbaukonzern zuvor einen steuermindernden Zinsaufwand von 300.000 Euro in der Bilanz verbucht, werden nun 150.000 Euro wieder außerbilanziell hinzugerechnet. Das zu versteuernde Einkommen ist also um 150.000 Euro gestiegen. Das führt zu einer Steuermehrbelastung von rund 45.000 Euro.

Annähern von zwei Seiten

Führt die Neuinterpretation nun dazu, dass der Fremdvergleich künftig individuell, quasi deduktiv hergeleitet wird, statt empirische Werte – sprich Marktpreise – anzusetzen? Wie wird diese ausschweifende Interpretation in der Praxis gelebt? Wird man sich mehr an den wirtschaftlichen Aktivitäten des Unternehmens orientieren und weniger das idealtypische Vergleichspaar mit einem fremden Dritten heranziehen? Finanzverwaltung und Steuerpflichtige werden (hoffentlich) gemeinsam herausfinden müssen, wie sie von nun an den Fremdvergleich möglichst reibungslos und unstrittig ermitteln können. Die erweiterte Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes scheint an dieser Stelle zumindest im Widerspruch zu den OECD-VPL zu stehen, die weiterhin den sogenannten Separate Entity Approach verfolgen und auf unverbundene Unternehmen abstellen (Rz. 1.6 OECD-VPL). Insofern dürfte die Gefahr einer Doppelbesteuerung steigen.

Wie die Verstaendigungsverfahren der OECD-Staaten zu Verrechnungspreisen 2020 geklaert wurden

Hypothetischer Fremdvergleich

Für die Bestimmung des fremdüblichen Verrechnungspreises ist neben den gängigen Methoden wie der Preisvergleichs-, Wiederverkaufs- und Kostenaufschlagsmethode auch eine Kombination möglich. Auch die neuen Verwaltungsvorschriften geben keine Rangfolge vor. Verlangt wird, dass für Zwecke der Bemessung eines Fremdvergleichspreises die, gemessen an den vorgegebenen Vergleichskriterien (wie etwa dem Funktions- und Risikoprofil), am besten geeignete Methode anzuwenden ist. Wenn sich damit allerdings keine Vergleichswerte ermitteln lassen, ist ein hypothetischer Fremdvergleich anzuwenden. Dieser spielt in der Praxis insbesondere bei der Verlagerung von Funktionen, z. B. der Verlegung eines Produktionsstandorts, eine große Rolle. Da Funktionen sehr individuell sind und sich mit den Standardmethoden keine Verrechnungspreise ermitteln lassen, wird der hypothetische Fremdvergleich in diesen Fällen regelmäßig angewendet. Damit wird ein sogenannter Einigungsbereich zwischen dem Mindestpreis des Leistenden und dem Höchstpreis des Leistungsempfängers gebildet. Innerhalb dieser Spanne ist der Wert anzusetzen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht. Kann kein anderer Wert glaubhaft gemacht werden, gilt der Mittelwert des Einigungsbereichs.

Nach den neuen VWG VP kann es sogar für den Fall, dass kein Einigungsbereich ermittelt werden kann, zu einer Einigung kommen. In diesem Fall soll die Differenz einfach zwischen Käufer und Verkäufer aufgeteilt werden. Das klingt pragmatisch, hat allerdings mit einem echten Fremdvergleich nichts zu tun: Wenn die Tüftelfleißig AG ihre Produktionsfunktion auf eine ausländische Tochtergesellschaft verlagern möchte und einen höheren Preis verlangt als den, den die ausländische Tochtergesellschaft zu zahlen bereit wäre, käme das Geschäft unter fremden Dritten schlicht und ergreifend nicht zustande.

Das chinesische GPS-System Beidou

Beidou („Großer Bär“) ist die chinesische Antwort auf das amerikanische GPS-System und seit 2020 im Vollbetrieb. Die Chinesen waren ursprünglich am Aufbau des europäischen Galileo-Systems beteiligt, entschieden sich dann aber für einen eigenen Ortungsdienst. Aktuell besteht Beidou aus 35 Satelliten. Auch hier gibt es erhebliche Unterschiede in der Exaktheit zwischen bezahlter und freier Nutzung: 10 Zentimeter zu 10 Meter.

Wenn es anders kommt als erwartet

Der Zeitpunkt des Fremdvergleichs entspricht üblicherweise dem des Vertragsabschlusses. Beim Price-Setting-Ansatz wird die Fremdüblichkeit der Preise auf der Basis der Erkenntnisse im Vorhinein beurteilt. Unter fremden Dritten ist dies der Regelfall. In der Verrechnungspreispraxis wird häufig auch der Outcome-Testing-Ansatz angewandt. Danach wird die Angemessenheit der Preise anhand der Ist-Margen oder Ergebnisse beurteilt. Die Verwaltungsgrundsätze sprechen nun davon, dass eine Ergebnisanpassung vorzunehmen ist, wenn das Ist-Ergebnis außerhalb der Bandbreite angemessener Ergebnisse liegt. Der Geschäftsführer der Tüftelfleißig AG ist irritiert. Muss er nun befürchten, dass die Finanzverwaltung stets im Nachhinein die Fremdüblichkeit der Preise prüft und in Ergebnisbandbreiten anpasst? Die OECD-Leitlinien lassen jedenfalls beide Ansätze, den Price-Setting- und den Outcome-Testing-Ansatz, zu. Vom reinen Wortlaut her kann durchaus der Eindruck entstehen, dass im Fall einer Abweichung stets auf die Ergebnisbandbreite angepasst wird. Die VWG sind in diesem Zusammenhang jedoch nicht eindeutig und Vertreter der Finanzverwaltung haben mittlerweile erkennen lassen, dass nicht beabsichtigt gewesen sei, Jahresendanpassungen zwingend vorzuschreiben. Die Tüftelfleißig AG und ihre Tochtergesellschaften sind daher gut beraten, ihre Verrechnungspreise über das Jahr zu beobachten und außergewöhnliche Ereignisse und deren Auswirkung auf die Verrechnungspreise zu analysieren und zu dokumentieren. 

Das neue europaeische Satellitennavigationssystem Galileo

GALILEO ist eines der zentralen EU-Projekte in der Raumfahrt. Von den 13 Milliarden Euro, die in der EU bis 2027 für Raumfahrt vorgesehen sind, entfallen acht Milliarden auf Galileo. Bislang liefern 26 Satelliten Positionsdaten für das sich noch im Aufbau befindende System, das einzige ohne militärischen Ursprung. Mit Galileo will sich Europa unabhängig vom US-System GPS machen. Galileo und GPS in Kombination können Positionsbestimmungen auf Zentimeter genau angeben.

  • DEMPE – die Höhe der internen Vergütung

    Das Akronym „DEMPE“ steht für Development, Enhancement, Maintenance, Protection und Exploitation. Je mehr dieser Funktionen eine Konzerngesellschaft ausübt (bzw. die zusammenhängende Kontrolle und Risikotragung übernimmt), desto höher hat die Vergütung für dieses Unternehmen auszufallen.

Immaterielle Werte

Für die Praxis sind auch die Ausführungen der Finanzverwaltung zu den kürzlich ins Gesetz aufgenommenen DEMPE-Funktionen relevant. Das Kürzel steht für „Development, Enhancement, Maintenance, Protection, Exploitation“ und spielt für global aufgestellte Unternehmen bei der Überlassung immaterieller Werte wie geistigen Eigentums eine große Rolle. Mit gesetzlicher Wirkung zum 1. Januar 2022 wird erstmals der mit einem immateriellen Wirtschaftsgut erzielte Residualgewinn auch anderen Personen als dem zivilrechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentümer zugeordnet, wenn diese Kernfunktionen im Zusammenhang mit DEMPE-Funktionen ausüben, Vermögenswerte dafür einsetzen und die damit verbundenen Risiken übernehmen. Die VWG VP sehen – Achtung! – auch beim DEMPE-Konzept eine rückwirkende Anwendung auf alle offenen Fälle vor.

Von Genie über Leonardo bis Habiller

Wie kompliziert die fiskalische Zuordnung von DEMPE-Funktionen ist, zeigt das Beispiel unserer virtuellen Tüftelfleißig AG. Deren deutsche Genie GmbH hat eine Forschungsleistung für eine andere Konzerngesellschaft erbracht, nämlich die italienische Leonardo Ltd., die sowohl rechtlicher als auch wirtschaftlicher Eigentümer des IP ist. Die Leonardo Ltd. überlässt wiederum das IP der Habiller SARL, einer in Frankreich ansässigen Konzerngesellschaft der Tüftelfleißig AG. Für die IP-Überlassung zahlt die Habiller SARL an die Leonardo Ltd. ein Entgelt von 5 Prozent des Umsatzes. Leonardo wiederum zahlt für die Forschungsleistung an die deutsche Genie GmbH eine Vergütung. Diese setzt sich aus den Kosten zuzüglich 10 Prozent zusammen. Nun fragt sich der HoT, ob die Vergütung in dieser Höhe angemessen ist. Er hat Zweifel. Wenn die Genie GmbH tatsächlich DEMPE-Funktionen übernommen und ausgeübt hat, ist die vertraglich vereinbarte Vergütung womöglich zu niedrig. Als angemessenes Entgelt im Raum steht ein höherer Betrag, der sich aus den Kosten zuzüglich 20 Prozent zusammensetzt. Der deutsche Fiskus kassiert entsprechend mehr.

Glonass-K Satellit auf der CeBIT 2011

GLONASS: Vom russischen Verteidigungsministerium betrieben, besteht das System aus 24 Satelliten und ist seit 1993 aktiv. Während GPS-Satelliten auf einer Frequenz senden, verbreiten GLONASS-Satelliten ihre Signale über zwei Frequenz-Bänder. Damit lässt sich die Verzögerung von Signalen, die in der Ionosphäre der Erde auftritt, ausgleichen. Beim GLObalnaya NAvigatsioannaya Sputnikovaya Sistema erfolgt die Positionsbestimmung auf vier bis acht Meter genau. Es ist seit 2008 für die Allgemeinheit freigeschaltet.

Dokumentation von A bis Z

In der Praxis dürfte die Bestimmung der DEMPE-Anteile um ein Vielfaches komplexer sein, da nicht nur eine Gesellschaft eine Forschungsleistung erbringt. Folgeaufträge mit anderen Gesellschaften werden geschlossen und die Frage, welche Gesellschaft welche Wertschöpfungsbeiträge leistet und welche Vergütung ihr dafür zusteht, ist äußerst schwierig zu beantworten, gerade auch im Zeitverlauf, wenn zwischen Entwicklung und Vermarktung Jahre liegen, unterschiedliche Gesellschaften zu unterschiedlichen Zeitpunkten beteiligt sind und Personen mit DEMPE-Funktionen wechseln. Für eine leichtere Bestimmung und eine bessere Zuordnung sollten Unternehmen daher eine klare Governance etablieren, wo und wer DEMPE-Funktionen im Konzernverbund ausübt und damit verbundene Risiken kontrolliert, und eine ausführliche Dokumentation erstellen.

Konzerninterne Finanzierung

Die neuen Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise betreffen auch konzerninterne Finanzierungen. Hier hatte der Bundesfinanzhof (BFH) in den Jahren 2019 und 2020 geurteilt, dass nicht besicherte Darlehen im Konzern fremdunüblich seien und daher der steuermindernde Aufwand aus der Teilwertabschreibung auf diese Darlehen dem Einkommen der Gesellschaft außerbilanziell hinzuzurechnen sei. Das Bundesverfassungsgericht rügte allerdings Anfang dieses Jahres diese Entscheidung und insbesondere die Tatsache, dass die BFH-Richter unbesicherte Darlehen pauschal als fremdunüblich qualifizierten und von einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof absahen. Der BFH hat sich daher dieses Jahr intensiver mit dem Fremdvergleichsgrundsatz auseinandergesetzt und seine Rechtsprechung angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts differenziert. Insbesondere stellt der BFH bei seiner Entscheidung vom 9. Juni 2021 fest, dass es Umstände gäbe, unter denen fremde Dritte von einer Besicherung absehen und stattdessen einen kompensatorischen Risikoausgleich bei der Zinshöhe akzeptieren. Beinahe zeitgleich mit dem Urteil der Verfassungsrichter scheiterte ein Vorstoß der Länder, eine Regelung zu Verrechnungspreisen bei Finanztransaktionen gesetzlich zu verankern. Die Norm sah vor, den Zinsabzug beim inländischen Steuerpflichtigen zu versagen, etwa wenn das grenzüberschreitende Darlehen nicht wirtschaftlich benötigt und/oder nicht für den Unternehmenszweck verwendet wird und der Darlehensnehmer nicht über die Mittel verfügt, das Darlehen zu bedienen. Zudem sollte stets der konzerninterne Zins aus den externen Fremdkapitalkosten des Konzerns oder dessen Bonität abgeleitet werden. Teile eben dieser gescheiterten Gesetzgebung werden nun in modifizierter und abgeschwächter Form als Verwaltungsauffassung etabliert und durch das neue Kapitel X der OECD-Richtlinien begründet und finden somit im Erlasswege Einzug in die tägliche Verrechnungspreispraxis. Dieser Vorgang ist daher außerordentlich bedenklich. Das BFH Urteil vom 18. Mai 2021 (I R 4/17) lässt allerdings Zweifel aufkommen, ob der BFH dieser Verwaltungsauffassung in allen Punkten folgen wird.

Fremd- oder Eigenkapital?

Bei Finanzierungsleistungen ist gemäß dem BMF-Schreiben in einem ersten Schritt zu prüfen, ob es sich steuerrechtlich um Fremdkapital handelt. Das muss auch der HoT der Tüftelfleißig AG im folgenden Beispiel machen: Hier hat die niederländische Finanzierungsgesellschaft des Konzerns 5 Millionen Euro Eigenkapital in die deutsche Tochtergesellschaft T-AG eingelegt. Hinzu kommt ein Darlehen in Höhe von 95 Millionen Euro. Handelsrechtlich ist das Darlehen unzweifelhaft als Verbindlichkeit gebucht. Mit den Mitteln erwirbt die T-AG Konstruktionsmaschinen für 100 Millionen Euro. Der HoT weiß, dass die Verwaltung bei Finanzierungsleistungen nun zunächst prüft, ob es sich auch steuerrechtlich um Fremdkapital handelt. Eine Umqualifizierung von Fremd- in Eigenkapital ist im Beispielfall unwahrscheinlich, weil keine Zweifel bestehen, dass beide Parteien eine zeitlich begrenzte Mittelüberlassung beabsichtigen. Allerdings gibt es Nachweispflichten. Die Steuerabteilung muss belegen, wofür das Fremdkapital gewährt wird, welche Laufzeit vereinbart wurde und welche Rendite das Unternehmen aus der Verwendung der Finanzierung erwartet, sowie ob der Darlehensnehmer über ausreichend Mittel verfügt, das Darlehen zu bedienen. Dies erfordert eine umfassende Dokumentation. Der Schwierigkeitsgrad erhöht sich, wenn es sich um Darlehen mit sehr hohen Summen handelt, die an Konzerngesellschaften gewährt werden, um eine Vielzahl von Maßnahmen zu finanzieren.

Geschäftszwecktest

Für die fremdübliche Anerkennung des Darlehens und der Zinszahlungen fordert die Finanzverwaltung, dass die Finanzierung wirtschaftlich benötigt wird (sogenannter Geschäftszwecktest). Vergleichsmaßstab ist der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter. Dieser würde laut Verwaltungsauffassung kein Fremdkapital am Markt aufnehmen, wenn damit nicht wenigstens eine begründete Aussicht auf eine Rendite besteht, die die Finanzierungskosten deckt. Der HoT lässt rechnen: Die Darlehensmittel sollen für Investitionen verwendet werden, deren Rendite 6 Prozent betragen soll, das Gesellschafterdarlehen ist mit 4 Prozent verzinst. Damit sind die Zinsverpflichtungen gedeckt. Weil die Investitionsrendite die Zinsen übersteigt, erhöht sich die Eigenkapitalrendite. Da die T-AG die Finanzmittel verwendet, um die Konstruktionsmaschinen und demnach Aktiva zu erwerben, sollte der Geschäftszwecktest für die T-AG bestanden sein. 

OECD-Laender mit den meisten Verstaendigungsverfahren

Verzinsung

Wenn das Darlehen als Fremdkapital eingeordnet wurde, stellt sich noch die Frage nach dem fremdüblichen Zinssatz. Für die Bestimmung des Zinssatzes ist die Risikozuordnung zu einer Gesellschaft entscheidend. Schauen wir uns die niederländische Finanzierungsgesellschaft der Tüftelfleißig AG an. Sie gewährt ihrer Schwestergesellschaft, der deutschen T-GmbH, ein Darlehen und erhält dafür als Gegenleistung einen Zinssatz von 3 Prozent. Nicht die darlehensgebende Finanzierungsgesellschaft, sondern die französische T-SARL, ebenfalls eine Gesellschaft des Tüftelfleißig-Konzerns, kontrolliert und trägt das Risiko, weil sie vertraglich verpflichtet ist, bei Zahlungsausfall die niederländische Finanzierungsgesellschaft zu stützen. Die Betriebsprüfung teilt dem HoT nun mit, der Zinssatz sei nicht fremdüblich. Die Betriebsprüfung erkennt (gemäß Tz. 3.92 VWG VP) aufgrund der fehlenden Risikozuordnung zur Finanzierungsgesellschaft nur einen Zinssatz in Höhe der risikolosen Rendite an, die sich derzeit auf 1 Prozent beläuft. Folge: Die deutsche GmbH hat zu viel Zinsaufwand steuerlich geltend gemacht. Diesen wird die Betriebsprüfung korrigieren, also dem zu versteuernden Einkommen hinzurechnen.

Die OECD und der BFH sehen dies dagegen differenzierter, und zwar insoweit, als sie die Überrendite in Höhe von 2 Prozent der risikotragenden T-SARL als Vergütung für die Risikoübernahme zuordnen würden. Das heißt, es geht für den BFH und die OECD nicht um die Beschränkung des Zinssatzes auf die risikofreie Rendite und damit um eine Korrektur des Zinsabzugs, wie es die VWG VP vorsehen, sondern vielmehr darum, dass dem Darlehensgeber nur ein Anspruch auf eine risikofreie Rendite zusteht und daher der Zinsertrag in Höhe der Überrendite dem Risikokontrolleur zugeordnet wird. Der BFH schränkt aber in seinem Urteil die Höhe des Zinsabzugs nicht ein. Laut den Richtern des I. Senats bestimmt sich nämlich der Zins nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Darlehensnehmers und nicht etwa des Darlehensgebers. Dies beinhaltet auch, dass die Zuordnung vom Darlehensgeber zu einem etwaigen Risikokontrolleur nicht aufgrund einer behaupteten oder erwarteten Risikoübernahme durch einen vermeintlichen Kontrolleur erfolgen kann. Vielmehr muss eine vertragliche Grundlage hierfür existieren, ansonsten wird das Risiko – den vorliegenden Verträgen folgend – dem Darlehensgeber zugeordnet. Doch nicht nur an dieser Stelle widerspricht der BFH dem BMF. Hinsichtlich der Frage, anhand welcher Methode der fremdübliche Zins zu bestimmen ist, ist laut BFH vorrangig die Preisvergleichsmethode anzuwenden und nicht die von der Verwaltung bevorzugte Kostenaufschlagsmethode. Damit steht nun die Aussage von Betriebsprüfern häufig gegen die Aussage des BFH und auch der OECD. Der HoT sollte sich auf Diskussionen in den Betriebsprüfungen einstellen.

  • Drei Verfahren zur Streitbeilegung

    Ist die Doppelbesteuerung unvermeidbar, weil die VWG VP von den OECD-VPL abweichen, nach denen andere Staaten ihre Verrechnungspreise bestimmen, bleibt dem Steuerpflichtigen oftmals nur der langwierige Weg über ein Streitbeilegungsverfahren. Hierzu stehen ihm drei verschiedene Wege offen: Streitbeilegungsverfahren nach DBA, nach der EU-Schiedskonvention oder – seit 2019 – nach dem EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz.

    Bei einem internationalen Streitbeilegungsverfahren handelt es sich um ein zwischenstaatliches Verfahren zur übereinstimmenden Anwendung der DBA oder der EU-Schiedskonvention (Nr. 90/436/EWG) zur Beseitigung einer Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen. Bei den Streitbeilegungsverfahren nach DBA oder nach der EU-Schiedskonvention bilden die Verständigungsklauseln der DBA (vgl. Art. 25 OECD-MA) oder die Art. 6 ff. der Schiedskonvention die Rechtsgrundlage. Sie enthalten Bestimmungen, nach denen die zuständigen Behörden in Deutschland mit den zuständigen Behörden anderer Staaten unmittelbar verkehren können, um eine Einigung über Einzelfälle herbeizuführen, die die Besteuerung in Deutschland oder in einem anderen Staat betreffen. Die Schiedskonvention betrifft nur die Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen und die Gewinnaufteilung bei Betriebsstätten. Darüber hinaus kann nach den Verständigungsklauseln der DBA auch über allgemeine Fragen, beispielsweise ob überhaupt eine Betriebsstätte in dem anderen Staat gegeben ist, eine Einigung zwischen den zuständigen Behörden herbeigeführt werden.

    Zusätzlich wurde bereits im Oktober 2017 die EU-Streitbeilegungsrichtlinie erlassen, die seit 1. Juli 2019 verbindlich anzuwenden ist. Deutschland hat zur Umsetzung das EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz (EU-DBA-SBG) erlassen, das für Streitfragen gilt, die sich auf Steuerjahre ab dem 1. Januar 2018 beziehen. Mit dem EU-Streitbeilegungsverfahren soll den Steuerpflichtigen ein alternatives Verfahren (in Deutschland: Streitbeilegungsverfahren nach dem EU-DBA-SBG) zur Verfügung gestellt werden, mit dem Doppelbesteuerungskonflikte in Europa innerhalb eines festen Zeitrahmens einer verbindlichen Lösung zwischen den Staaten zugeführt werden.

    Die Finanzverwaltung hat nun mit Schreiben vom 27. August 2021 ihr „Merkblatt zu internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren (Streitbeilegungsverfahren)“ aktualisiert. Das Merkblatt enthält allgemeine, zum Teil verschärfende Ausführungen zur prozessualen Durchführung aller Verfahren (Streitbeilegungsverfahren nach DBA, nach der EU-Schiedskonvention und nach dem EU-DBA-SBG). Des Weiteren erläutert das Schreiben detailliert die Durchführung der jeweiligen möglichen Streitbeilegungsverfahren. Nicht behandelt werden Fälle der Vorab-Streitvermeidung (z. B. Advanced Pricing Agreements, kurz: APAs). Für die Unternehmen bietet das Merkblatt als Praxisleitfaden eine wichtige Orientierungshilfe für die effektive Nutzung von Streitbeilegungsverfahren.

Rating

Begrüßenswert ist derweil die Verwaltungsauffassung zum Rating eines Unternehmens. Das BMF vertritt im Schreiben vom 14. Juli 2021 neuerdings die Auffassung, dass weder ein Stand-alone-Rating noch ein Gruppen-Rating allein zum Tragen kommen sollen. Stattdessen spricht es sich für eine ausgewogene Betrachtung im Sinne der OECD-Verrechnungspreisleitlinien aus. Die damit implizierte Abkehr von der Abstellung auf den Refinanzierungszinssatz der Gruppe ist erfreulich. Allerdings hat das BMF diesen Grundsatz in Tz. 3.96 nicht konsistent umgesetzt, da bei der Garantiebestimmung nicht auf die Bonität des Garantienehmers, sondern auf die des Konzerns abgestellt werden soll.

Im Gegensatz zum BMF ist für den BFH allein die Bonität der darlehensnehmenden Konzerngesellschaft (Stand-alone-Rating) entscheidend. Ein Konzernrückhalt ist für die Bonitätsbeurteilung laut den Richtern aber insoweit zu berücksichtigen, als ein fremder Dritter auch eine höhere Bonität als die Stand-alone-Bonität zuweisen würde.

Verstaendigungsverfahren mit Deutschland, Top-3-Laender 2020

Nichtbesicherung und Risikokompensation

Bemerkenswert ist, dass die VWG VP den Konzernrückhalt nicht per se als Sicherheit für Darlehen werten. Positiv hervorzuheben ist schließlich, dass die Finanzverwaltung die Nichtbesicherung von Darlehen nicht von vornherein verwirft. Die Prüfung der Fremdüblichkeit soll im Einzelfall anhand bestimmter im BMF-Schreiben genannter Kriterien erfolgen. An dieser Stelle nähern sich BMF und BFH an. Auch für den BFH ist nicht (mehr) stets von einer Vollbesicherung auszugehen. Dies hatte das BVerfG noch Anfang des Jahres gerügt. Ob ein unbesichertes Konzerndarlehen fremdüblich ist, ist nun vielmehr anhand aller Gesamtumstände und geeigneter Vergleichsdaten zu beurteilen, so der BFH. Für die obersten Steuerrichter bedeutet hierbei Fremdüblichkeit nicht gleich Bankenüblichkeit. Das heißt, die Vergleichsdaten müssen keinesfalls die einer „klassischen Bank“ sein. Sofern die bisherige Rechtsprechung dahin gehend verstanden wurde, dass stets auf ein bankenübliches Verhalten abzustellen sei, handelt es sich laut den Richtern um eine Fehlinterpretation der Entscheidungen. Folglich ist der Bankenzins auch nicht der Maßstab für den Zins eines Konzerndarlehens. Das heißt also, dass das durch eine fehlende Besicherung oder die Nachrangigkeit eines Darlehens erhöhte Ausfallrisiko im Preis zu berücksichtigen ist (sog. Risikokompensation). Eine solche Risikokompensation sieht der BFH nun sowohl für Inbound- (BFH-Urteil vom 18. Mai 2021, I R 62/17) als auch für Outbound-Darlehen (BFH-Urteil vom 9. Juni 2021, I R 32/17). Dennoch muss der (höhere) Zinssatz fremdüblich sein. Ist er dies nicht und wird die Darlehensforderung abgeschrieben, sind vorrangig die Zinseinnahmen zu korrigieren.

Nach all den Änderungen ist dem HoT klar: Er muss sich detaillierter mit den Neuerungen befassen und sämtliche Darlehen im Tüftelfleißig-Konzern analysieren.

Bei Cash Pools vertritt die Finanzverwaltung schließlich die Grundvermutung, dass der Cash-Pool-Führer wie ein Dienstleister zu vergüten ist und nicht mit einer unternehmerischen Zinsmarge. Aber auch hier lässt man eine Einzelfallprüfung zu. Einige Betriebsprüfungen zeigen allerdings, dass die Finanzverwaltung hier ein sehr hohes Beweismaß anlegen könnte und insbesondere bei ausländischen Cash-Pool-Führern sich nur schwer von der Routinevermutung abbringen lassen wird.

Co-Autor: Dr. Christian Scholz

Dies ist ein Beitrag aus dem Tax & Law Magazine 2021Q4. Dieses können Sie hier unter Angabe Ihrer Kontaktdaten zum Download erhalten. Darin ist auch eine Zeitleiste der wesentlichsten Änderungen im Bereich der Verrechnungspreise, die nun den Handlungsdruck aus Unternehmenssicht auslösen.

Fazit

Unternehmen sollten sich intensiv mit den Änderungen in den Verwaltungsgrundsätzen auseinandersetzen und prüfen, inwieweit die neuen Regeln auf die künftige Verrechnungspreisgestaltung und noch laufende Betriebsprüfungen Einfluss haben. Es ist wahrscheinlich, dass Verrechnungspreisdokumentationen, die nach der bisher gültigen Verwaltungsanweisung ergangen sind, vorübergehend anerkannt werden.

Über diesen Artikel

Autoren
Alessia-Maureen Dickler

Partner, Transfer Pricing, EY Tax GmbH Steuerberatungsgesellschaft I Deutschland

Betreut Unternehmen in komplexen Fragen der internationalen Gewinnabgrenzung. Spezialisiert auf den Life Science Sektor. Lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt.

Michael Dworaczek

Partner, International Tax and Transaction Services – Transfer Pricing, Leiter Operating Model Transformation, EY Tax GmbH Steuerberatungsgesellschaft I Deutschland, Schweiz, Österreich

Globaler Verrechnungspreisberater. Unterstützt Unternehmen bei der Transformation von Geschäftsmodellen aus steuerlicher, strategischer und operativer Sicht.