Die SEC macht Nägel mit Köpfen und heizt die Diskussion um belastbare Angaben hinter Nachhaltigkeitsversprechen an. Nur ein Fall für US-Unternehmen? Weit gefehlt: So rückte kürzlich die Staatsanwaltschaft gemeinsam mit zahlreichen Beamten des Bundeskriminalamtes aus, um Beweismittel zu sichern, die im Zusammenhang mit dem Tatvorwurf des Kapitalanlagebetrugs stehen sollen. Hintergrund waren Finanzprodukte, die im Verdacht stehen, die deklarierten ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) nicht zu erfüllen.
„Greenwashing“: neue Anforderungen an Internal Investigations
Doch was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff „Greenwashing“? „Greenwashing“, auch als „Grünfärberei“ übersetzt, beschreibt im Wesentlichen zwei Fallgruppen im hiesigen Kontext:
- Marketingmaßnahmen und die Kommunikation von Unternehmen gegenüber Kunden, in denen angebotene Produkte als „grün“ beziehungsweise „nachhaltig“ angepriesen werden, ohne dass die Beschaffenheit des Produkts eine valide Rechtfertigung hierfür bietet
- das Verfassen unzutreffender Angaben innerhalb der nichtfinanziellen Berichterstattung von Unternehmen, beispielsweise zu Umweltbelangen wie Wasserverbrauch, geleisteten CO2-Kompensationen, Recycling-Prozessen oder Luftverschmutzung, die mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens einhergehen
Den Begriff gibt es schon länger: Die Süddeutsche erwähnte „Greenwashing“ bereits 2009 im Zusammenhang mit der Berichterstattung über eine Veranstaltung der Verbraucherschutzzentrale Bayern.
Was macht das Thema aber gerade jetzt so aktuell? Neben der veränderten regulatorischen Betrachtung ist es nicht mehr „nur“ eine Frage der Unternehmenskultur, sondern auch zur Aufgabe der Compliance geworden. Dass sich aus der Thematik heraus erhebliche (Haftungs-)Risiken für Unternehmen ergeben können, erscheint einleuchtend; doch welche Fragestellungen diese Thematik im Rahmen einer Internal Investigation aufwirft, erfordert eine nähere Betrachtung und Expertise nicht nur im Bereich der klassischen Wirtschaftsdelikte, sondern auch in Bezug auf eher atypische Themen wie Umweltkriminalität, Messwerttechnik, Materialkunde etc.
Regulatorischer Rahmen und Bestrebungen seitens der Gesetzgeber
Nachdem die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC (Securities and Exchange Commission) im März 2021 die Einrichtung einer „Climate and ESG Task Force“ zur proaktiven Identifizierung von ESG-bezogenem Fehlverhalten innerhalb der Finanzberichterstattung bekannt gab, folgte Anfang dieses Jahres ein Vorschlag der SEC zu Vorschriften bezüglich der Offenlegung klimabezogener Angaben. Hiernach sollen sowohl inländische als auch ausländische, bei der SEC registrierte Unternehmen unter anderem
- identifizierte klimabezogene Risiken,
- die zugrunde liegenden Prozesse zur Bewertung solcher Risiken sowie
- Informationen zu Klimazielen, die sich das Unternehmen gesetzt hat, gemeinsam mit Informationen darüber, wie diese Ziele erreicht werden sollen,
offenlegen. Dies gab der Thematik um „Greenwashing“ eine neue Dynamik, da Nachhaltigkeitsziele, regulatorisch betrachtet, in der Finanzberichterstattung bindende Angaben darstellen.
Auch die Europäische Union legt seit einiger Zeit einen stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeitsaspekte innerhalb unternehmerischer Tätigkeiten. Einige Beispiele hierfür sind die ,,Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor‘‘ (Offenlegungsverordnung) oder die „Verordnung über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen“ (Taxonomie-Verordnung), die Kriterien zur Einstufung einer Wirtschaftstätigkeit als ökologisch oder nachhaltig festlegt. Darüber hinaus soll durch den neuen Richtlinienvorschlag der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) eine deutlich größere Anzahl Unternehmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet werden als bisher. Auch sollen die Maßstäbe, an denen sich die Berichterstattung messen lassen muss, vereinheitlicht werden.
National finden sich ebenfalls zahlreiche Regelungen, die sich zumindest mittelbar mit „Greenwashing“ beschäftigen, beispielsweise die Berichtspflichten für Kapitalgesellschaften nach §§ 289 ff. HGB, die unter anderem Aspekte wie den Wasserverbrauch oder Treibhausemissionen der jeweiligen Unternehmen als Inhalt der nichtfinanziellen Berichterstattung entweder innerhalb des Lageberichts des Jahresabschlusses oder innerhalb eines gesonderten nichtfinanziellen Berichts verlangen. Bei falschen Angaben innerhalb der nichtfinanziellen Berichterstattung können Organmitgliedern Bußgelder und Strafbarkeitsrisiken nach §§ 331 ff. HGB drohen. Auch wettbewerbsrechtlich kann „Greenwashing“ durch falsche Produktangaben nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) zu Verstößen führen, die, neben einer eigenen Sanktionierung, in der Folge auch Unterlassungsansprüche bis hin zu Schadensersatzforderungen gegen das Unternehmen begründen können. Falsche Angaben über ESG-Faktoren im Zusammenhang mit Wertpapierprospekten können auch im Rahmen des Kapitalanlagebetrugs strafrechtlich relevant sein.
So können durch „Greenwashing“ nicht nur auf das Unternehmen selbst aufgrund einer Vortat wie beispielsweise Betrug oder Verletzung der Aufsichtspflicht Bußgeldzahlungen nach § 30 OWiG zukommen, sondern auch die Unternehmensleitung und anderweitig Involvierte setzen sich zivil- und strafrechtlichen Haftungsrisiken aus.
Doch (nicht) folgenlos?
Feststellen lässt sich, dass „Greenwashing“ zwar nicht unmittelbar sanktioniert wird, also keine direkte Strafbarkeit bzw. Durchgriffsmöglichkeit eines Regulators besteht; dies macht es jedoch umso gefährlicher, sich in falscher Sicherheit zu wiegen: Werden aus Schönfärbereien falsche Angaben und somit aus „guter Darstellung“ Irreführung oder Täuschung, setzen sich Unternehmen neben einem potenziellen Strafverfahren auch mittelbar Haftungsrisiken aus, die sowohl das Unternehmen selbst als auch die Unternehmensorgane treffen können.
Neben den rechtlichen Risiken spielen auch Reputationsrisiken in der Praxis eine zentrale Rolle. Durch das gesteigerte Bewusstsein der Gesellschaft für Thematiken rund um Umweltschutz und Nachhaltigkeit in Verbindung mit der zur Regel gewordenen Hysterie in den Social Media sind die Folgen negativer Medienberichterstattung in diesem Zusammenhang fatal. Zur Schaffung einer wirksamen Kommunikationsstrategie mit dem Ziel des Reputationsschutzes ist die Ermittlung des Sachverhalts entscheidender Richtungsgeber. Denn eine untersuchungsbegleitende Kommunikationsstrategie zeigt gegenüber der Öffentlichkeit sowohl Transparenz als auch Problembewusstsein und schafft so die Möglichkeit, steuernd auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken.
Ausrichtung der Internal Investigation bei Verdacht auf „Greenwashing“
Während – auch aufgrund des immer besser ausgestalteten Hinweisgeberschutzes in Europa – Unternehmen Hinweise auf Compliance-Verstöße häufig durch unternehmensinterne Whistleblower oder durch Ergebnisse der internen Revision erhalten, gestaltet sich dies bei „Greenwashing“-Vorwürfen in der Regel anders. Durch das inzwischen öffentliche Interesse an als „nachhaltig“ oder „umweltschonend“ deklarierten Produkten oder Dienstleistungsangeboten wird eine negative Medienberichterstattung durch investigative Journalisten, Blogger oder gar Influencer, die sich genauestens mit der Produkt- oder Servicebeschaffenheit von unter diese Kategorien fallenden Leistungen befassen, Dreh- und Angelpunkt eines Compliance-Ernstfalls. Hierbei kann sich die zeitnahe Validierung der Vorwürfe schwieriger gestalten als bei internen Hinweisen, die oftmals bereits konkrete Anhaltspunkte hinsichtlich der betroffenen Unternehmensprozesse, möglicher Schwachstellen und involvierter Akteure enthalten. Dies beginnt bereits bei der Identifizierung der betroffenen Unternehmenseinheit, den beteiligten internen und externen Stellen sowie der Abgrenzung des Verantwortungsbereichs.
Zu Beginn der Investigation gilt es daher, eine Ermittlungsstrategie zu entwickeln, die an die im Verdacht stehenden Delikte wie auch an das Ziel der Investigation hinsichtlich der Ergebnisverwendung angepasst ist. Beim Thema „Greenwashing“ spielt zwar auch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Organe, Mitarbeitende oder Dritte eine Rolle, im Kern stehen jedoch die Pflicht zur Aufklärung und die Vorbereitung einer Verteidigungsstrategie gegen Klagen und eingeleitete (Aufsichts-)Verfahren seitens der Behörden.
Im Fokus sollte dabei das Interesse des Unternehmens stehen, den Sachverhalt schnellstmöglich und in voller Gänze aufzuklären.