Aussenaufnahme der Deutschen Botschaft in Ankara, Tuerkei

Warum die Zuwanderung von Fachkräften hakt

Trotz Reform haben Unternehmen Probleme, denn die Behörden sind überfordert. Eine konstruktive Kritik


Überblick

  • Trotz einer Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes bleibt der Anstieg der Visa für Erwerbszwecke im Jahr 2024 mit nur 10 Prozent unzureichend, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
  • Die Bearbeitungsdauer von Anträgen ist oft langwierig und kann bis zu sechs Monate oder mehr betragen, was durch unzureichende Digitalisierung und personelle Engpässe in den Behörden verstärkt wird.
  • Uneinheitliche Informationen und umständliche Prozesse bei den Ausländerbehörden führen zu Verwirrung und unnötigem Mehraufwand für Antragsteller und Relocation-Services.

Bei der Erteilung von Visa zu Erwerbszwecken für 2024 zeichnet sich im Vergleich zum Jahr davor gerade mal ein Anstieg von mageren 10 Prozent ab. Bei Weitem nicht genug, um dem Fachkräftemangel Paroli zu bieten. Dabei hat die Bundesregierung das Fachkräfteeinwanderungsgesetz eigentlich sinnvoll reformiert. Die Regeln für Fachkräfte wurden erweitert, insbesondere für Arbeitskräfte mit nicht formalen Qualifikationen, aber mit Berufserfahrung. Doch die Rekrutierung geeigneter Fachkräfte aus dem Ausland funktioniert weiterhin mehr schlecht als recht. In der Praxis zeigt sich: Viele Behörden und Botschaften sind überfordert, leiden selbst unter Personalmangel und schaffen nicht den Einstieg in die Digitalisierung. Allerdings ist auch zu beobachten: Einige Ämter arbeiten effizienter als andere; hier bietet es sich an, Best Practices festzustellen und flächendeckend umzusetzen. Auch eine stärkere Zentralisierung könnte nützlich sein, um einheitliche Prozesse und mehr Transparenz zu gewährleisten.

Langsame Bearbeitung

Die Bearbeitungsdauer ist ein wesentlicher Schwachpunkt. Sechs Monate und mehr sind keine Seltenheit. Dies gilt insbesondere für Ausländerbehörden, bei denen die Digitalisierung noch nicht Einzug gehalten hat. Jedoch ist Digitalisierung leider kein Garant für kurze Wartezeiten. Zwar gibt es Ausländerbehörden, in denen die Anträge nach der Digitalisierung deutlich schneller bearbeitet werden – in weniger als vier Wochen –, das ist aber nicht die Regel.

Veraltete oder …

Relocation-Berater beklagen, dass Behörden rechtliche Änderungen nicht ankündigen und unterschiedlich umsetzen. Praktisch stellt sich das folgendermaßen dar: Wenn etwa neue Formulare eingeführt werden, akzeptieren manche Ausländerbehörden plötzlich die bisherigen Formulare nicht mehr. Gleichzeitig nehmen andere noch ausschließlich die alten Formulare an – vermutlich weil sie bereits digital arbeiten und die Programme noch nicht aktualisiert wurden.

… uneinheitliche Informationen

Praktiker irritiert auch, dass das Bundesinnenministerium und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Internet zum Teil unterschiedliche Informationen anbieten. Oft sind sie ähnlich, jedoch nicht völlig identisch. Das schafft bei Einwanderungswilligen und dem Relocation Service Verwirrung und erzeugt unnötigen Mehraufwand. Auch die Online-Plattform „Make it in Germany“ ist grundsätzlich zwar gut ausgearbeitet, doch ist sie noch ausbaufähig. So sind etwa die Verwaltungsvorschriften nicht enthalten.

Zu wenig Personal, zu umständliche Prozesse

Immer häufiger melden sich Ausländerbehörden und fragen nach, was genau beantragt werden soll. Eigentlich erfreulich, oder? Besser wäre aber eine unbürokratische Auslegung zugunsten der Antragsteller. Offenbar fehlt es manchen Behörden an erfahrenen Fachkräften. Einige Verzögerungen sind auch auf unnötig umständliche Prozesse zurückzuführen. Dies illustrieren die folgenden Beispiele:

Grafik: Welche dieser Probleme sind aufgetreten, als Sie auslaendische Fachkraefte für Ihr Unternehmen rekrutiert haben?

Krux mit der Krankenversicherung

Auch an den Vorgaben der Auslandsvertretungen zur Krankenversicherung verzweifeln viele. Personen, die beispielsweise über Dubai oder London einreisen möchten, müssen bereits im Zeitpunkt des Visumantrags nachweisen, dass der gesetzliche Krankenversicherungsschutz vorliegt. Eine einfache Bestätigung vom Arbeitgeber, bei welcher Versicherung er den Arbeitnehmer anmelden wird, um den gesetzlich vorgesehenen Schutz zu gewährleisten, reicht häufig nicht aus. Nur ist eine Anmeldung bei der Krankenversicherung so früh oft noch nicht möglich.

Basistarif!?

Andere Auslandsvertretungen begnügen sich mit einer üblichen Reisekrankenversicherung und einer Deckungssumme von 30.000 Euro. Der Haken hier: Die Ausländerbehörden daheim verlangen regelmäßig eine Deckung im Umfang des Basistarifs. Große internationale Krankenversicherer stellen solch eine Bestätigung oft erst nach einer Vielzahl von Telefonaten aus – oder gar nicht, wenn sie nicht bestätigen können, dass ihr Versicherungspaket tatsächlich demjenigen einer gesetzlichen deutschen Krankenversicherung entspricht.

Falle Asyl

Es gibt Flüchtlinge, die in Engpassberufen ausgebildet sind. Sie sind bereits in Deutschland und könnten praktischerweise gleich anfangen. Könnten. Doch sie sind im Asylverfahren gefangen. Für hoch qualifizierte Flüchtlinge sollte die Politik daher die Möglichkeit schaffen, schnell und einfach vom langwierigen Asylverfahren zum Verfahren für Fachkräfte zu wechseln. So wären sie wesentlich schneller auf dem Arbeitsmarkt verfügbar und könnten eine berufliche Tätigkeit aufnehmen, z. B. im Gesundheitsbereich.

Empfehlungen aus der Praxis

Die Bestandsaufnahme zur gelebten Praxis bei der Fachkräfteeinwanderung ist ernüchternd. Aus den Fehlern und Schwierigkeiten lässt sich jedoch lernen. Folgende Empfehlungen erlauben wir uns zu geben:

  • Digitalisieren, aber richtig: Es reicht nicht, wenn nur die Formulare und Anforderungen der Behörde berücksichtigt werden. Wünschenswert wären regelmäßige Updates zum Verfahrensstand für Antragsteller und Relocation Services, die Option, in englischer Sprache zu kommunizieren, und die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen.
  • Transparenz schaffen durch 
    • proaktive und leicht zugängliche Kommunikation der Behörden zu Neuerungen, 
    • einheitliches Informationsmaterial zu den geltenden Regelungen für Betroffene, 
    • eine konsequentere Harmonisierung der Vorgehensweisen sowie
    • Tracken des Antragsprozesses (digital) und Zugriff der Betroffenen auf die Informationen zum Sachstand (idealerweise mit einer Schätzung der restlichen Bearbeitungsdauer)
  • Personal aufstocken und schulen
  • Prozesse vereinfachen und unnötige Schritte/Anforderungen abschaffen
  • Bei Schnittstellen zu anderen Bereichen (Beispiel Krankenversicherung) nur Nachweise verlangen, die mit vertretbarem Aufwand erhältlich sind
  • Wechsel vom Asylverfahren zur Fachkräfteeinwanderung ermöglichen
  • Neben den bürokratischen auch andere Hürden wie etwa fehlende Sprachkenntnisse zielgerichtet angehen

Autor:innen: Martina Unrau, Ursula Beste


Fazit

Die Bestandsaufnahme der Fachkräfteeinwanderung in Deutschland zeigt, dass ineffiziente Prozesse und überlastete Behörden die Zuwanderung von Fachkräften behindern, wodurch die Erhöhung der erteilten Arbeitsvisa trotz Reformen unzureichend bleibt. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sind gezielte Maßnahmen erforderlich: Die Digitalisierung der Prozesse sollte regelmäßige Updates und englischsprachige Kommunikation umfassen. Behörden müssen proaktiv über Neuerungen informieren und den Antragsprozess digital verfolgen, um den Betroffenen Zugang zu aktuellen Informationen zu ermöglichen. Unternehmen können ebenfalls aktiver werden, indem sie sich über die aktuellen Anforderungen informieren, ihre Relocation-Services optimieren und den Austausch mit den Behörden und Beratern suchen, um Best Practices zu identifizieren und umzusetzen. Zudem sind eine Aufstockung und Schulung des Personals notwendig, um die Bearbeitungszeiten zu verkürzen. Unnötige Anforderungen sollten abgeschafft werden, und der Wechsel vom Asylverfahren zur Fachkräfteeinwanderung sollte erleichtert werden, um qualifizierte eingewanderte Fachkräfte schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Eine umfassende Reform der bestehenden Strukturen ist unerlässlich, um die Fachkräfteeinwanderung in Deutschland zu optimieren.


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