EuGH-Urteil zur unternehmerischen Tätigkeit der öffentlichen Hand und von Vereinen

Wirtschaftliche Tätigkeit bei fehlender Gewinnerzielungsabsicht und Subventionen  

Im vorliegenden Fall hatte ein lettisches Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH Gelegenheit gegeben, seine bisherige Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des Mehrwertsteuerrechts bei Subventionszahlungen bzw. bei fehlender Gewinnerzielungsabsicht zu präzisieren.

Dem EuGH-Urteil vom 4. Juli 2024 (Rechtssache C-87/23) lag ein Fall zugrunde, in dem ein lettischer Verein zwei Verträge mit der zentralen Finanzierungs- und Vergabeagentur Lettlands (CFLA) geschlossen hatte. Die Verträge betrafen die Durchführung von aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) finanzierten Aus- und Fortbildungsprogrammen.

Bei einem Projekt hatte der Verein einen Dritten mit der Schulungsmaßnahme für seine Rechnung beauftragt und erhielt entsprechende Rechnungen mit Umsatzsteuer. Diese machte er als Vorsteuer geltend. Die Leistungsempfänger, mit denen der Verein Verträge über die Aus- und Fortbildungsmaßnahmen abgeschlossen hatte, leisteten ihre Zahlungen an diesen. Darüber hinaus floss eine Beihilfe von der CFLA an den Verein, die er an die Leistungsempfänger weiterleitete. Dadurch wurden diese im Ergebnis nur mit Verwaltungsgebühren in Höhe von 5 bis 10% des Beihilfebetrages belastet.

Bei dem anderen Projekt lag ein dreiseitiger Vertrag zwischen dem Verein, einem Dritten als Erbringer der Aus- und Fortbildungsmaßnahmen und den eigentlichen Dienstleistungsempfängern vor. Der Verein bezahlte den Dritten – mit Umsatzsteuer – vollständig. Gleichzeitig erhielt er 30% der Gesamtkosten von den Dienstleistungsempfängern. Der Restbetrag wurde dem Verein von der CFLA ausgezahlt.

Die Finanzverwaltung versagte dem Verein die geltend gemachte Vorsteuer. Es wurde angeführt, dass wegen fehlender Gewinnerzielungsabsicht keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Mehrwertsteuersystems ausgeübt werde.

Die durch den EuGH zu klärenden Rechtsfragen

Die Sache wurde dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Es waren drei Fragen zu beantworten: Zum einen war fraglich, ob eine gemeinnützige Organisation, die durch den EFRE finanzierte staatliche Beihilfeprogramme durchführt, ein Steuerpflichtiger nach Art. 9 MwStSystRL ist. Weiterhin war zu klären, ob ein Verein nach Art. 28 MwStSystRL als Dienstleistungserbringer zu behandeln ist, wenn er bei entsprechenden Beihilfeprojekten Leistungen erwirbt. Schließlich war zu entscheiden, ob die steuerpflichtige Gegenleistung nach Art. 73 MwStSystRL die aus dem ERFE stammende Beihilfe umfasst.

Nach dem EuGH ist Steuerpflichtiger i.S.d. Art. 9 MwStSystRL, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig vom Zweck und Ergebnis selbständig ausübt. Der EuGH stellt klar, dass in diesem Zusammenhang die Erzielung eines Gewinns nicht entscheidend ist. Wenn eine juristische Person eine Tätigkeit angesichts ihrer Rechtsform – hier als gemeinnütziger Verein - nur ergänzend ausüben darf, kann dennoch eine wirtschaftliche Tätigkeit zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen vorliegen Schon das Ziel, eine ausgeglichene Bilanz zu erreichen, könne ausreichen. Umgekehrt sei ein gewinnorientiertes, aber wegen schlechter Leistungen dauerdefizitäres Unternehmen ebenso Steuerpflichtiger. Darüber hinaus ist nach Ansicht des EuGH für die Beurteilung der wirtschaftlichen Tätigkeit die Art der Finanzierung nicht relevant. Durch den Empfang von öffentlichen Subventionen wird die Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit daher ebenfalls nicht ausgeschlossen. Dass der Verein vorliegend nach außen als Erbringer von Dienstleistungen auftritt und im Wettbewerb zu anderen Wirtschaftsteilnehmern steht, erscheint dem EuGH insgesamt ausreichend. Die Verneinung der wirtschaftlichen Tätigkeit durch die Finanzverwaltung angesichts des Status als Vereins ohne Gewinnerzielungsabsicht sei daher vorliegend fehlerhaft erfolgt.

Weiterhin bejahte der EuGH im Kontext des Art. 28 MwStSystRL, dass der Verein auch dann, wenn er die Aus- und Fortbildungsmaßnahmen im Wesentlichen an Dritte untervergibt und diese bis zu 70% subventioniert werden, entgeltliche Dienstleistungen ausführt. Entscheidend sei, dass zwischen der Dienstleistung und der empfangenen Gegenleistungen ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe. Es sei nicht erforderlich, dass die Gegenleistung unmittelbar vom Empfänger der Dienstleistung erbracht werde – es könne auch ein Dritter sein. Der Verein sei darüber hinaus in beiden Projekten als Leistungserbringer der Aus- und Fortbildungsmaßnahmen anzusehen, da er die Maßnahmen organisiert, vorbereitet und kontrolliert hat. Dass kein eigenes Personal eingesetzt worden sei, sei nicht entscheidend. Auch sei die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln für die Einordnung als entgeltliche Dienstleistung irrelevant. Gleiches gelte für den Status als gemeinnütziger Verein ohne Gewinnerzielungsabsicht. Eine Dienstleistung nach Art. 28 MwStSystRL erfordere aber einen ausdrücklichen Geschäftsbesorgungsvertrag, der hier vorlag.

Im Hinblick auf Art. 73 MwStSystRL führte der EuGH aus, dass die Steuerbemessungsgrundlage die gewährten Subventionen einschließe.

Frühere EuGH-Rechtsprechung führte zu Verunsicherung

Der EuGH hat in der Vergangenheit verschiedentlich zur Besteuerung der öffentlichen Hand inkl. Vereinen im Kontext von Subventionen und fehlender Gewinnerzielungsabsicht Stellung genommen. In der Entscheidung „Lajvér“ aus 2016 wurde festgestellt, dass eine Handelsgesellschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht, deren nachhaltige Tätigkeit wesentlich durch staatliche Beihilfen finanziert wurde, dennoch eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 9 MwStSystRL ausübt. Ebenfalls im Jahr 2016 hat der EuGH die Rechtssache „Borsele“ (C-520/14) entschieden. Er hat hier festgestellt, dass die Schülerbeförderung einer Gemeinde aufgrund der geringen Kostendeckungsquote keine wirtschaftliche bzw. angesichts der Vergabe der Tätigkeit an Dritte keine eigene Tätigkeit der Gemeinde darstellt. Folglich wurde die Unternehmereigenschaft versagt. In der Rechtssache „Gmina 0“ (C-612/21) war der EuGH im Fall einer Gemeinde, die den Anwohnern Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien lieferte und installierte, der Ansicht, dass diese keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe, wenn die Anwohner höchstens ein Viertel der entstandenen Kosten tragen mussten und der Rest aus öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Es sei vielmehr von einer Gebühr als von einem Entgelt auszugehen. In der Rechtssache „Gmina L“ (C-616/21) wurde seitens des EuGH dargelegt, dass eine Asbestsanierung durch die Gemeinde, die aus Fördertöpfen und eigenen Mitteln finanziert wurde, mangels Gegenleistung kein Leistungsaustausch gegen Entgelt sei. Die letzten beiden Entscheidungen datieren aus 2023.

Fazit

Die jüngere Rechtsprechung des EuGH hat immer wieder die Diskussion aufgeworfen, ob bei einem nicht kostendeckenden Entgelt die Unternehmereigenschaft zu verneinen ist bzw. in welchem Mindestumfang ggf. eine Kostendeckung erforderlich ist. Auch war hinsichtlich der Annahme einer Gegenleistung die Schädlichkeit von Subventionen fraglich. Durch die jetzige Entscheidung dürfte diesbezüglich wieder mehr Rechtssicherheit eingetreten sein. Weder die fehlende Gewinnorientierung noch die Finanzierung aus Fördermitteln schließt demnach per se die Unternehmereigenschaft aus. Auch erfordert die Unternehmereigenschaft nicht zwingend, dass die Leistung mit eigenem Personal selbst erbracht wird. Vielmehr kann auch eine Vergabe an Subunternehmer erfolgen, sofern ein eigenes Tätigwerden im Zusammenhang mit der Organisation, Vorbereitung und Kontrolle der Leistungserbringung vorliegt.

Autorinnen: StB Gabriele Kirchhof, RA StB Nicole Kuhn