Für die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte sieht die nationale Umsetzung des sog. Authorised OECD Approach (AOA) in § 1 Abs. 5 AStG eine Selbstständigkeitsfiktion von Betriebsstätten vor. Danach ist für Transaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte grundsätzlich der Fremdvergleichsgrundsatz maßgebend. Konkretisiert wird die Norm des § 1 Abs. 5 AStG durch die Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV). In Fällen von Bau- und Montagebetriebsstätten gilt gemäß § 32 BsGaV die Mitwirkung der Betriebsstätte an dem Bau- und Montagevertrag widerlegbar als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung (sog. „Dealing”). Diese soll als Dienstleistung der Bau- und Montagebetriebstätte gegenüber dem Stammhaus anzusehen sein und regelmäßig nach einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode vergütet werden.
Im konkreten Fall erbrachte eine ungarische Kapitalgesellschaft (Stammhaus) Werkvertragsleistungen an fremde Dritte. Die Betriebsstätte berechnete offenbar wohl nur die eigenen Kosten der Bau- und Montageleistungen ohne Aufschlag an das ungarische Stammhaus weiter (unselbstständige Betriebsstätte). Das Finanzamt ging dagegen von dem Vorliegen eines „Dealings“ zwischen Betriebsstätte und Stammhaus aus. Es verwarf daher die Gewinnermittlung unter Verweis auf § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. § 32 BsGAV und ermittelte den Gewinn der Betriebsstätte unter Berücksichtigung eines (fiktiven) Aufschlagsatzes i.H.v. 10 Prozent neu. Das FG Nürnberg sah jedoch für das Vorliegen eines Dealings keine Anhaltspunkte und lehnte daher den Ansatz fiktiver Aufschlagsätze ab (Urteil v. 27.09.2022, 1 K 1595/20, vgl. EY-Steuernachricht vom 23.03.2023).
Der BFH bestätigt nun im Grundsatz die Entscheidung der Vorinstanz mit Urteil vom 18.12.2024 (I R 45/22). § 1 Abs. 5 AStG stellt laut BFH eine reine Einkünftekorrekturvorschrift dar und keine eigenständige Regelung zur Betriebsstättengewinnermittlung. Daher rechtfertigt § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. § 32 Abs. 1 Satz 2 BSGaV nicht das Verwerfen der Gewinnermittlung einer unselbstständigen Betriebsstätte ohne weitere Ermittlungen und das Ersetzen dieser durch eine Gewinnermittlung auf Basis einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode. Bereits aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG folge, dass es sich bei § 1 Abs. 5 AStG um eine Einkünftekorrekturnorm und gerade nicht um eine – systematisch dem Regelungsbereich der §§ 4ff. EStG zuzuordnende – eigenständige Regelung zur Betriebsstättengewinnermittlung handelt. Auch lasse sich dem Wortlaut keine Ausstrahlwirkung dahingehend entnehmen, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 AStG und insbesondere für die allgemeine Gewinnermittlung nach §§ 4ff. EStG eine Veranlassungsprüfung (allein) nach den jeweiligen Unternehmensteilen ausgeübten Personalfunktionen vorzunehmen wäre.
Zudem betont der BFH ausdrücklich, dass § 1 Abs. 5 AStG gerade keine Generalvorschrift ist, nach welcher eine (Neu-)Aufteilung des Gewinns nach den dort beschriebenen Grundsätzen zu erfolgen hätte. Eine außerbilanzielle Korrektur hat vielmehr (nur) dann zu erfolgen, wenn die tatsächlichen Verhältnisse von den gegenüber fremden Dritten zu erwarteten fiktiven Bedingungen zu Lasten der inländischen Besteuerung abweichen. Das bedeutet, die in § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG vorausgesetzte Einkünfteminderung muss (als kausale Bedingung) „durch“ die Vereinbarung nicht fremdvergleichsgerechter Bedingungen (Verrechnungspreise) entstehen und sie wird weder durch § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG noch durch § 32 BsGaV fingiert. Beide Normen fingieren nur das Vorliegen eines Geschäftsvorfalls sowie Vorgaben zum anzusetzenden Fremdvergleich. Sie sagen jedoch nichts über den, dem Fremdvergleichspreis entgegenzustellenden tatsächlich vereinbarten Preis aus. D.h. die tatsachenersetzende Fiktion einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung reicht nicht aus, um den verursachten Aufwand als fremdvergleichsgerechten Verrechnungspreis im Verhältnis zum Stammhaus zu fingieren. Nur eine solche „komplettierte Fiktionskette“ könnte laut BFH eine Korrektur nach § 1 Abs. 5 AStG rechtfertigen.
Diese Grundsätze urteilte der BFH auch in einer zweiten Entscheidung, datiert auf denselben Tag (Urteil vom 18.12.2024, I R 49/23 (NV), Vorinstanz FG München, Urteil vom 10.07.2023, 7 K 1938/22, vgl. EY-Steuernachricht vom 16.11.2023).
Der Volltexte der Urteile stehen Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.
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