KI arbeitet am besten in eng begrenzten Bereichen
Es beginnt bereits mit der Begrifflichkeit: Die eine und allwissende Künstliche Intelligenz existiert nicht. KI hat viele Facetten und besteht aus unterschiedlichen Technologien mit verschiedenen Anwendungsszenarien, die mal mehr, mal weniger komplex sind. Die Untertechnologien verleihen lernenden Systemen gewisse Fähigkeiten, die Menschen als Zeichen von Intelligenz wahrnehmen. Das geschieht durch Algorithmen, die auf spezifischen Logiken aufbauen und eine bestimmte Aufgabe erledigen. KI kann Erwartungen am besten erfüllen, wenn sie in eng begrenzten Gebieten eingesetzt wird.
Um diese Gebiete zu bestimmen, hat EY das „AI Lab“ aufgebaut. In dem Labor in Berlin wird systematisch die gesamte Wertschöpfungskette im Finanz- und Rechnungswesen unter die Lupe genommen. Ein international besetztes Team untersucht hier die Mehrwerte von KI und entwickelt entsprechende Anwendungen. Unterstützt werden sie dabei von rund 600 Mitarbeitern aus der technischen Entwicklung quer durch das gesamte Unternehmen. Die fertigen Lösungen stehen den Mandanten zur Verfügung und werden zum Teil auch bei EY selbst angewendet.
Lernen von der Unter- bis zur Oberstufe
Vielversprechende Anwendungsbereiche für KI-basierte Systeme zeichnen sich insbesondere bei der Vor- und Weiterverarbeitung von Finanzdaten ab. Deshalb spielen im AI Lab die Technologien Machine Learning (ML) in Verbindung mit Natural Language Processing (NLP) die größte Rolle. Machine Learning befähigt IT-Systeme, in großen Datenmengen Muster zu erkennen und auf Basis der gewonnenen Erfahrungen neue Daten richtig einzuordnen. ML-Modelle müssen zuerst von Menschen trainiert werden, damit sie die Strukturen von Daten erkennen. Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser wird das Modell und desto genauer sind die Ergebnisse, etwa eine Vorhersage oder eine Interpretation.
Liegen nicht viele Daten vor, nähert man sich mit einer iterativen Variante des Machine Learnings. Dem Algorithmus wird hierbei an wenigen Datensätzen das Ergebnis präsentiert. Danach wendet er das Erlernte mit Zuführung weiterer Daten selbst an. Im dritten Schritt werden seine unter Umständen falschen Entscheidungen korrigiert. Dieser Vorgang wird unter schrittweiser Erhöhung der Datenmenge wiederholt – und der Algorithmus lernt auf Grundlage des immer weiter wachsenden Wissens stetig dazu.
Belege automatisiert verarbeiten
Auf den Prinzipien des ML baut NLP als weitere bedeutsame KI-Untertechnologie auf. NLP ist eine Methode zur maschinellen Verarbeitung menschlicher Sprache, egal ob gesprochen, gedruckt oder gemailt. Algorithmen erkennen zum Beispiel in Dokumenten Wortbedeutungen und Satzzusammenhänge und interpretieren dadurch Texte – massenweise und mit großer Geschwindigkeit.
Dass auch dafür mehr als nur eine KI nötig ist, illustriert eine Lösung zur automatisierten Belegverarbeitung. Vier intelligente Mechanismen greifen ineinander, um eine Rechnung korrekt zu klassifizieren und zu buchen. Zunächst extrahiert eine KI-Anwendung, die auf die unterschiedlichsten Rechnungsformate trainiert ist, alle notwendigen Informationen, etwa Adressat, Rechnungsbetrag und Einzelpositionen. Ein weiteres eigenständiges System beurteilt im nächsten Schritt diese Informationen hinsichtlich ihrer Relevanz für die Rechnungslegung. Ob Büroklammer oder neues Leasing-Fahrzeug für den Fuhrpark: KI kann relativ trennscharf kategorisieren und daraus ableiten, wie ein Beleg zu bilanzieren ist.