Nachtaufnahme eines Bahnuebergangs mit vorbeifahrendem Zug

Warum das neue BMF-Schreiben zur Zinsschranke 2024 mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet

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Das BMF arbeitet an einem neuen Anwendungsschreiben. Der nun veröffentlichte Entwurf hat noch Verbesserungspotenzial.

Überblick

  • Das Kreditzweitmarktförderungsgesetz 2023 erweitert den Zinsbegriff und schränkt die Nutzbarkeit von Zinsvorträgen ein, was Unternehmen, besonders in der Immobilienwirtschaft, vor Herausforderungen stellt.
  • Der Entwurf enthält unklare Aufzählungen relevanter Zinsaufwendungen und ändert bisherige Auffassungen, z. B. zum echten Factoring, was Rechtsunsicherheit schafft.
  • Die Regelungen zu Freigrenzen und Organkreisen bleiben unklar; präzisere Vorgaben zu Begriffen wie „Nettozinsaufwendungen“ sind erforderlich

Spätestens seit der Änderung der Zinsschranke in § 4h EStG und § 8a KStG durch das Kreditzweitmarktförderungsgesetz im Jahr 2023 wartet die Wirtschaft auf eine Reaktion der Finanzverwaltung zur Klärung praktischer Anwendungsfragen. Anfang Oktober reagierte das Bundesfinanzministerium mit der Veröffentlichung des Entwurfs eines überarbeiteten Anwendungsschreibens. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber die Zinsschranke verschärft – durch die umfangreiche Erweiterung des Zinsbegriffs und eine eingeschränkte Nutzbarkeit von Zinsvorträgen. Immerhin: Für die gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Finanzierungskosten ergeben sich dadurch keine Auswirkungen. Allerdings gewinnt hier die Unterscheidung zwischen Zins im Sinne der Zinsschranke und den Finanzierungskosten nach § 8 Nr. 1 GewStG zunehmend an Bedeutung. Das neue Schreiben gilt für Wirtschaftsjahre, die nach dem 14.12.2023 beginnen und nicht vor dem 1.1.2024 enden.

100 Randziffern auf 18 Seiten

Der Entwurf des BMF-Schreibens umfasst 100 Randziffern auf insgesamt 18 Seiten und übertrifft das bisherige mit 94 Randziffern damit nur geringfügig. Einen Schwerpunkt mit mehr als 30 Randziffern bilden wie bisher die Erläuterungen zu den drei Ausnahmetatbeständen Freigrenze, Stand-alone-Klausel und Eigenkapital-Escape. Für den Eigenkapital-Escape sind überdies die geänderten Regelungen zur schädlichen Gesellschafterfremdfinanzierung in § 8a Abs. 3 KStG zu beachten. Daneben finden sich umfangreiche Änderungen in den Erläuterungen zu den für die Zinsschranke maßgebenden Begriffen Zinsaufwendungen und Zinserträge, die deckungsgleich zu verstehen sein sollen.

Streitanfällige Liste von relevanten Aufwendungen

Neben den Anti-Tax Avoidance Directive (ATAD)-Regelbeispielen für Zinsaufwendungen enthält der Entwurf eine Reihe von nicht abschließenden Aufzählungen der Aufwendungen, die zukünftig von der Zinsschranke erfasst werden. Dazu zählen beispielsweise Vorfälligkeitsentschädigungen, Bereitstellungszinsen, Avalprovisionen, fiktive Aufwendungen im Rahmen eines Vorteilsverbrauchs bei einer verdeckten Gewinnausschüttung und der nicht näher erläuterte Auffangposten der ähnlichen Aufwendungen. Im Sinne einer einfacheren Rechtsanwendung wäre es wünschenswert, wenn solche Auffangtatbestände auf ein Minimum reduziert würden, da sie bereits in der Vergangenheit häufig streitanfällig waren.

Abkehr von der bisherigen Auffassung beim echten Factoring und der echten Forfaitierung

Des Weiteren fällt auf, dass die Ausführungen zur Abtretung oder Veräußerung einer Forderung im Rahmen des Factorings bzw. der Forfaitierung im Vergleich zum bisherigen Anwendungsschreiben deutlich gekürzt wurden. Damit verbunden ist auch die Abkehr von der bisherigen Auffassung, dass es bei dem echten Factoring bzw. der echten Forfaitierung nicht zu einer Fremdkapitalüberlassung und somit weder beim alten noch beim neuen Gläubiger zu Zinsaufwendungen und Zinserträgen kommt. Da in den Fällen des Forderungsverkaufs bzw. der Forderungsabtretung wirtschaftlich allerdings keine Fremdkapitalüberlassung bzw. -beschaffung vorliegt, sollte die frühere Differenzierung gegenüber dem unechten Factoring und der Forfaitierung aus unserer Sicht beibehalten werden. Aufwendungen aus dem Forderungsverkauf stehen gerade nicht im Zusammenhang mit einer Fremdkapitalbeschaffung und sollten daher nicht zu Zinsaufwand im Sinne der Zinsschranke führen. Eine Klarstellung im finalen Anwendungsschreiben wäre zu begrüßen.

16 Jahre Zinsschranke

Angela Merkel, Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende im Bundestag Berlin 2008
Angela Merkel Bundeskanzlerin a. D.

 

 

Zwischen dem ersten Anwendungsschreiben des Bundesfinanzministeriums zur Zinsschranke und dem gerade veröffentlichten Entwurf eines aktualisierten Anwendungsschreibens liegen 16 Jahre, vier Legislaturperioden – eine lange Zeit! Die Norm hat seit ihrer Einführung im Rahmen des Unternehmenssteuerreformgesetzes im Jahr 2008 die globale Finanzkrise, eine ein sattes Jahrzehnt andauernde Politik des billigen Geldes und einen Zinsanstieg nach Corona durchlebt. Eine treue Konstante ist dabei in Deutschland die Kritik an der Regelung und die Frage der Verfassungsmäßigkeit geblieben.

Wolfgang Schaeuble in der 76. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebaeude, Berlin am 15.12.2022
Wolfgang Schäuble Bundesfinanzminister

 

Während auf internationaler Ebene und innerhalb der EU koordinierte Maßnahmen zur Begrenzung des Zinsabzugs erst in den Jahren 2015 mit der BEPS-Initiative bzw. 2016 mit der Veröffentlichung der ATAD (Anti Tax Avoidance Directive, EU-Richtlinie 2016/1164) festgelegt wurden, gilt Deutschland im internationalen Vergleich in dieser Hinsicht als einer der Vorreiter für diese zweifelhafte Steuerinnovation.

Christian Lindner, Bundesfinanzminister, spricht bei der Sitzung zur ersten Lesung des Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024 im Bundestag
Christian Lindner Bundesfinanzminister

 

Das übergeordnete Ziel aller Regelungen zur Begrenzung des steuerlichen Zinsabzugs besteht darin, inländisches Steuersubstrat zu sichern und missbräuchliche Steuergestaltungen zu vermeiden, die zum Ziel haben, Steuersubstrat durch Zinszahlungen aus einem Hoch- in ein Niedrigsteuerland zu verlagern

Als Mitgliedstaat der EU war Deutschland grundsätzlich zur Umsetzung der ATAD mit Wirkung zum 1. Januar 2019 verpflichtet. Aufgrund der bereits bestehenden Zinsschrankenregelung konnte diese allerdings in einem Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2023 fortgeführt werden, sodass eine Anpassung an das Mindestmaß der ATAD erst mit Wirkung zum 1. Januar 2024 notwendig war. Mit dem Kreditzweitmarktförderungsgesetz vom 22. Dezember 2023 reagierte der Gesetzgeber kurz vor Ablauf der Frist mit den erforderlichen Anpassungen in § 4h EStG und § 8a KStG.

Herausforderungen für die Immobilienwirtschaft

Mit der Erweiterung des Zinsbegriffs und der Aufnahme eines expliziten Verweises auf die ATAD-Regelbeispiele in Art. 2 Abs. 1 ATAD war bereits im Rahmen der Gesetzesänderung zu erwarten, dass in den Herstellungskosten aktivierte Bauzeitzinsen ggf. bei der späteren Ausbuchung bzw. Abschreibung künftig insoweit zu Zinsaufwendungen im Sinne der Zinsschranke führen werden. Der BMF-Entwurf bestätigt diese Erwartung. Gerade für die Immobilienwirtschaft ergeben sich aus dieser Änderung erhebliche praktische Herausforderungen.

Bürokratieabbau erfordert Bestandsschutz

Aufgrund der langen Abschreibungszeiträume bei Gebäuden ist zunächst eine Rekonstruktion der Zusammensetzung der Herstellungskosten erforderlich, um ggf. aktivierte Finanzierungsaufwendungen zu identifizieren. Da die Herstellungsvorgänge zum Teil mehrere Jahrzehnte zurückliegen, wäre an dieser Stelle eine Bestandsschutzregelung wünschenswert, um Betriebe vor einem unverhältnismäßig hohen administrativen Mehraufwand zu schützen.

Zinsvorträge begrenzt nutzbar

Eine weitere Verschärfung stellt die begrenzte Nutzbarkeit von Zinsvorträgen dar. Mit Einführung des § 4h Abs. 1 Satz 7 EStG können Zinsvorträge nur noch abgezogen werden, soweit ausreichend verrechenbares EBITDA vorhanden ist. Das BMF äußert sich anhand diverser Beispiele zu den praktischen Folgen dieser Begrenzung. Aus Sicht der Steuerpflichtigen wird erfreulicherweise festgehalten, dass bei Vorliegen eines Ausnahmetatbestands der laufende Nettozinsaufwand in voller Höhe abgezogen werden kann und zusätzlich das verrechenbare EBITDA für den Abzug des Zinsvortrags zur Verfügung steht. Zinserträge des laufenden Jahres sind dabei vorrangig mit den laufenden Zinsaufwendungen zu verrechnen.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Allerdings enthält der Erlassentwurf keine Aussage zur Auslegung des Begriffs „Nettozinsaufwendungen“ und der Anwendbarkeit der Freigrenze aus § 4h Abs. 2 lit. a EStG, wenn – wie in der Praxis – in einem Wirtschaftsjahr laufende Zinsaufwendungen und der Zinsvortrag zusammentreffen. Bereits in der früheren Fassung war nicht abschließend geregelt, ob sich die Anwendung der Freigrenze lediglich auf den laufenden Saldo der Zinsaufwendungen und -erträge bezieht oder ob ein Überschreiten der 3-Millionen-Euro-Freigrenze aufgrund eines Zinsvortrags bereits die Anwendung des Ausnahmetatbestands vollständig versagt. Angesichts der verschärften Nutzbarkeit von Zinsaufwendungen wäre eine Klarstellung wünschenswert, nach der die Freigrenze Anwendung finden kann, wenn die laufenden Nettozinsaufwendungen unterhalb der Freigrenze liegen.

Grafik: Entwicklung des Zinssatzes der Europaeischen Zentralbank

Anteiliger Untergang beim Organkreis

Das BMF hält zudem unverändert an der Auffassung fest, dass das Ausscheiden einer Organgesellschaft aus dem Organkreis zu einer Teilbetriebsaufgabe führt. Infolgedessen soll nach Verwaltungsauffassung ein nicht verbrauchter Zins- und EBITDA-Vortrag anteilig untergehen. In der Begründung zum Kreditzweitmarktförderungsgesetz hat der Gesetzgeber diese Auffassung für die Neuregelung des § 4h Abs. 5 Satz 4 EStG übernommen, auf eine entsprechende explizite gesetzliche Regelung jedoch verzichtet. Da für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift nach Ansicht des Bundesfinanzhofs der Gesetzesbegründung nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt, ist weiterhin auf den Gesetzeswortlaut abzustellen (BFH-Urteil v. 15. Juni 2016, VI R 54/15). Weil der Fall eines Ausscheidens einer Organgesellschaft aus dem Organkreis in § 4h EStG nicht geregelt ist, ist die Auslegung der Finanzverwaltung also kritisch zu hinterfragen.

Daneben sah der Entwurf auch Ergänzungen hinsichtlich der Anwendung des neu eingeführten § 4h Abs. 6 EStG für die Förderung langfristiger öffentlicher Infrastrukturprojekte vor. Unter gewissen Voraussetzungen soll die Finanzierung dieser Projekte weder zu Zinsaufwendungen noch zu Zinserträgen führen. Sämtliche Aufwendungen und Erträge, die in diesem Zusammenhang anfallen, sollen zudem bei der Ermittlung des verrechenbaren EBITDA außer Ansatz bleiben.

Co-Autor: Steffen Höhl 

Ausblick

Der Entwurf sah eine Frist zur Stellungnahme durch die Verbände bis zum 7. November 2024 vor. Eine Einschätzung, wann mit der Veröffentlichung des finalisierten Erlasses zu rechnen ist, kann noch nicht getroffen werden. Angesichts früherer Erfahrungen, bei denen sich die Finalisierung von Entwürfen auf wenige Monate bis zu mehreren Jahren erstrecken konnte, ist zu hoffen, dass dieses Mal ein zügiger Abschluss erreicht wird, ohne überlange Verzögerungen, wie wir sie bei dem Erlass zu § 8c KStG oder dem seit über 15 Monaten ausstehenden BMF-Schreiben zu § 4k EStG erlebt haben.

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EY-Stellungnahme zum Entwurf des überarbeiteten Anwendungsschreibens zur Zinsschranke

Mit der Änderung der Zinsschranke (§ 4h EStG; § 8a KStG) durch das Kreditzweitmarktförderungsgesetz vom 22.12.2023 wurde eine Reaktion der Finanzverwaltung mit Spannung erwartet.

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