Nahaufnahme der Hand eines Mannes, der im Dunkeln auf einen Laptop tippt.

Wie Juristen effektiv mit GenAI arbeiten können

Wie generative künstliche Intelligenz die Arbeit in der Rechtsabteilung verändert und was in der Praxis funktioniert.

Überblick

  • GenAI hilft Juristen bei Prüfungen, Vertragsprüfungen und Rechtsanalysen, benötigt aber genaue Anweisungen und Kontrolle
  • Rechtsabteilungen müssen Arbeitsweisen ändern, Teams einbinden und GenAI durch Training und strategische Entwicklung nutzen
  • GenAI automatisiert Recherchen, arbeitet mit Chatbots zusammen und analysiert Verträge, wobei der Mensch zentral bleibt und durch GenAI unterstützt wird

Generative künstliche Intelligenz bzw. Generative Artificial Intelligence – kurz GenAI – erobert auch die Rechtswelt: Sie besteht das US Bar Exam (Anwaltszulassung), kann Verträge effizienter durchsehen als Junganwälte oder analysiert zutreffend Gerichtsentscheidungen. Vor allem erlaubt GenAI uns, schneller Verträge, Klageschriften und Gutachten zu entwerfen. Zugleich ist der Umgang mit der Technologie kein ganz einfacher: Vieles hängt an der richtigen Anweisung – dem „Prompt“. Zudem ist die künstliche Intelligenz nur zu gern ungewollt kreativ: Sie erfindet sehr überzeugend Gesetze, Gerichtsentscheidungen und andere Fakten. Kurzum: Man muss wissen, wie man die neue Technologie gewinnbringend einsetzen kann. Wie gelingt der Start, wie nimmt man das Team der Rechtsabteilung in den Veränderungsprozess mit? Welche Anwendungen funktionieren in den drei Arbeitsdimensionen der Rechtsabteilung – in der eigenen Abteilung, für die (externen) Geschäftsbereiche und die Zusammenarbeit mit externen Beratern? Dazu wollen wir eine Einführung geben.

I. Wir werden alle Programmierer

Es geht darum, die juristischen Arbeitsgewohnheiten der Abteilung nachhaltig zu ändern. Dazu gilt es, das Team der Rechtsabteilung früh einzubeziehen und die beiden gängigen Innovationsansätze miteinander zu kombinieren: 1. den aus dem Kreis der Mitarbeiter heraus getriebenen Bottom-up-Innovationsansatz, bei dem kleinere Projekte mit schnellen Ergebnissen die Mitarbeitenden regelmäßig stärker motivieren, und 2. den strategisch-managementgetriebenen Top-down-Ansatz, der eher große Projekte in den Blick nimmt und zentral steuert. Beide Ansätze sind wichtig. Der Schwerpunkt sollte zunächst aber auf den Ideen und Initiativen der Mitarbeiter der Rechtsabteilung liegen, um die Motivation zu stärken und die eigene Identifikation mit der neuen Arbeitsweise zu fördern. Inhaltlich empfehlen sich für den Bottom-up-Innovationsansatz fünf Schritte:

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1. Ein Gefühl für die Möglichkeiten entwickeln

Zuerst sollten die Möglichkeiten von GenAI im rechtlichen Bereich aufgezeigt werden. Es geht darum zu verstehen, was bereits mit einfachsten Mitteln geht, wo die technischen Grenzen liegen, und die Neugierde zu wecken, sich auf den Weg zur Änderung der eigenen Arbeitsgewohnheiten zu machen. Ist ein Grundstock an Tools zugänglich – sei es Microsoft 365 Copilot, eine eigene GenAI-Umgebung oder die Unternehmensvariante von Modellen wie GPT-4 oder Claude – bedarf es regelmäßig nicht mehr als 90 Minuten in einer virtuellen Session, um ein Gefühl für das Potenzial zu bekommen und die Lust auf Mehr zu entfachen.

2. Prompt-Training

Will man eine gute Anweisung – einen guten Prompt – verfassen, orientiert man sich zu Beginn am besten an folgender Metapher: Man stelle sich vor, dass man einen hochmotivierten juristischen Berufseinsteiger anweist, der zwar die juristische Intelligenz von beiden Staatsexamina mitbringt, aber weder Praxiserfahrung hat, noch über das konkrete Rechtswissen verfügt. Zugleich kann die hohe Motivation unseren „Berufseinsteiger“ dazu verleiten, kreativ zu werden, um uns zu gefallen, obwohl die Fakten ein anderes Bild zeichnen – man spricht vom „Halluzinieren“. Zentral ist es daher, die Ergebnisse der GenAI mit der eigenen Expertise zu kontrollieren. Noch besser ist es, bereits den Prompt so zu formulieren, dass die Kontrolle ein Leichtes wird – sei es in der Recherche durch die Anforderung konkreter Quellen, in dem Vertragsreview der zugrunde liegenden Klausel oder ganz allgemein in der Herleitung der Ergebnisse Schritt für Schritt. Wie eine juristische (Web-)Recherche mit GenAI erfolgen kann und wie man in sechs Schritten einen guten Prompt baut, illustrieren die Abbildungen.

3. Entwicklung von Anwendungsfällen

Ein gutes Beispiel wäre die Entwicklung eines Chatbots zur Durchsicht von Vertraulichkeitsvereinbarungen (NDAs), der die Checkliste der Abteilung als Basis nimmt, um die Anfragen von Drittanbietern – etwa der Entwicklungsabteilung – zu überprüfen. Als Ergebnis sollte der Chatbot einschätzen, ob 1. die Vereinbarung schlicht so, wie sie vorliegt, unterzeichnet werden kann, 2. an einigen Stellen Mitarbeiter aus dem Geschäftsbereich die Anpassungen des Bots überprüfen sollen oder 3. die Durchsicht der Vereinbarung an die Rechtsabteilung eskaliert werden muss. Dabei legen auch die Mitarbeiter der Rechtsabteilung die Ersteinschätzung des Bots zugrunde und sind so in der Lage, die Vertraulichkeitsvereinbarung effizient zu bearbeiten.

Solche Anwendungsfälle schaffen ein neues Problemlösungsbewusstsein: GenAI ermöglicht es den Fachabteilungen, viele ihrer Herausforderungen einfach und kostengünstig selbst – ohne Detailunterstützung der IT-Abteilung – zu lösen. Die Mitglieder der Rechtsabteilung werden somit selbst zu Programmierern. Man spricht insofern vom „Citizen Development“, der Anwendungsentwicklung durch die Fachabteilung.

4. Strategische Begleitung

Spätestens ab dem Zeitpunkt, in dem die ersten Anwendungsfälle entwickelt sind, sollte der Prozess strategisch begleitet werden. Mit einem sogenannten AI Maturity Assessment kann etwa festgestellt werden, welche Voraussetzungen man in den Dimensionen Governance, Personal, Prozesse, Daten und Technologie für die GenAI-Innovationsreise mitbringt und wohin die Reise gehen soll. In diesem Zusammenhang sollten gleichermaßen die Prinzipien aufgestellt werden, die bei GenAI-Anwendungen für alle Mitarbeiter in der Rechtsabteilung gelten. Während in der Praxis die Unternehmen bei diesen Leitlinien leicht abweichende Schwerpunkte setzen, ist ein Grundsatz regelmäßig zentral: GenAI soll die Mitarbeitenden befähigen, bestärken und von Routinen erlösen – nicht ersetzen!

5. Einbeziehung des gesamten Teams

Ist der Blick strategisch geschärft, kann und soll das gesamte Team der Rechtsabteilung in die GenAI-Reise einbezogen werden. Bei diesem Schritt sollte ebenso mit einer „Art of the Possible“-Präsentation und entsprechendem Prompting-Training begonnen werden. Auch geht es darum, die Rollen für die Citizen Development zu verteilen. Dabei sind vier Rollen zu unterscheiden:

  1. der Scout, der Herausforderungen sammelt, die die GenAI meistern soll,
  2. der Prozessdesigner, der den zugrunde liegenden Prozess analysiert und ggf. verschlankt,
  3. der Prompt Engineer, der die entsprechenden Anweisungen an die GenAI formuliert und
  4. der Qualitätsprüfer, der kritisch beurteilt, ob die Ergebnisse der GenAI für den Arbeitsalltag taugen.

Verfügt man nur über ein kleines Team, können Scout und Qualitätsprüfer sowie Prozessdesigner und Prompt Engineer auch personenidentisch sein. Nicht vermischen sollte man hingegen die Rollen des Prompt Engineer und des Qualitätsprüfers, um sicherzustellen, dass das Team sich auch wirkungsvoll selbst kontrolliert. Selbstverständlich darf das Citizen Development nicht isoliert geschehen, sondern muss auf den Anwendungen aufbauen, die entsprechend geschäftsgeheimnis-, IP- und datenschützend – kurz: sicher – sind sowie durch die IT-Abteilung freigegeben wurden.

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II. Beispiele aus der Implementierungspraxis

Während sich der Bottom-up-Ansatz sehr gut eignet, um den Weg für die individuelle Veränderung der juristischen Arbeitsweise zu ebnen, gibt es selbstverständlich auch Herausforderungen, die ein strategisches Implementierungsprojekt verlangen. Im Folgenden sollen drei Beispiele – aus der eigenen Arbeit in der Rechtsabteilung, aus der Zusammenarbeit mit den Geschäftsbereichen des Unternehmens und aus den Projekten mit externen Beratern – verdeutlichen, wie sich die Arbeitsweise in diesen Dimensionen verändert bzw. welche Veränderungen man einfordern sollte. Mit einem Klick auf die gelbe Grafik über diesem Absatz können Sie außerdem Inhouse GenAI Legal Use Cases einsehen.

1. Automatisierung der juristischen Recherche

Wenn es um die Unterstützung der individuellen Arbeit in der Rechtsabteilung geht, können die gängigen Chattools oder der Microsoft 365 Copilot bereits sehr gut helfen, um Verträge im Einzelfall zu überarbeiten, Schriftsätze vorzubereiten oder ganz allgemein bei der Korrespondenz zu unterstützen. Grenzen sind indes erreicht, wenn es um eine große Zahl von Daten bzw. Dokumenten geht, was regelmäßig beim internen Wissenspool der Rechtsabteilung der Fall ist. Vor dieser Herausforderung stand eine internationale Clearing-Bank, die mehr als 200.000 Dokumente in Bezug auf die Finanzmarktregulierung ihrer Kunden verwaltet. Ein Team aus elf Mitarbeitern der Rechtsabteilung war regelmäßig damit befasst, auf der Grundlage des Dokumentenpools zu analysieren, ob eine Gesellschaft der Finanzmarktregulierung (MiFID) unterliegt, welche besonderen Anforderungen gelten oder ob Auflagen beachtet werden müssen. Hier konnte ein EY-Team mithilfe eines GenAI-Recherche-Copiloten den manuellen Rechercheaufwand in der Bank um 60 Prozent verringern.

Dahinter verbirgt sich ein sogenanntes Retrieval-Augmented-Generation(RAG)-System. Dieses System kann man sich wie eine Bibliothek vorstellen, in der die GenAI passende Quellen zur Anfrage des recherchierenden Nutzers sucht und daraus eine entsprechende Antwort nach den Vorgaben der Rechtsabteilung formuliert. Auf diese Weise nutzt man die Wissensdatenbank („Retrieval“) unterstützend („Augmented“) zur Erstellung der Antwort („Generation“). Entscheidend ist, dass die GenAI den Kontext der Anfragen versteht, sich auf das zugrunde liegende Wissen begrenzt und der Anwender die Ergebnisse zugleich effizient anhand der Quellen und weiterer Hinweise überprüfen kann. Nur auf diese Weise lassen sich verlässliche Ergebnisse produzieren.

2. Zusammenarbeit mit einem Team von Chatbots

Bei der Zusammenarbeit der Rechtsabteilung mit den anderen Geschäftsbereichen im Unternehmen stellt man fest, dass sie häufig bereits Legal Tech Solutions oder Self-Service-Portale einsetzt. Die Tools filtern die Anfragen der Geschäftsbereiche, vergeben intern Tickets und sind in der Lage, einfache Anfragen umgehend zu beantworten. Während es in der Vergangenheit regelmäßig erforderlich war, einen weitverzweigten Entscheidungsbaum zu entwerfen und die eingesetzten Chatbots sich eher maschinell verhielten, eröffnet GenAI ganz neue Möglichkeiten.

Beispielsweise kann der bereits genannte NDA-Review-Bot genutzt werden, um Vertraulichkeitsvereinbarungen durchzusehen, freizugeben oder ggf. spezifisch an die Rechtsabteilung zu eskalieren. Außerdem kann ein GenAI-Chatbot genutzt werden, um interne Guidelines und Policen zugänglich zu machen und zu personalisieren. In diesem Zusammenhang haben Mandantenprojekte gezeigt, dass gerade persönliche Beispiele, die die GenAI schnell erstellt, erheblich dazu beitragen, dass etwa Compliance-Richtlinien richtig verstanden und beachtet werden. Dieselbe Kompetenz der GenAI, Inhalte zu personalisieren und Beispiele zu geben, lässt sich gleichermaßen gewinnbringend zur Wissensvermittlung – etwa für interne Trainings – durch die Rechtsabteilung einsetzen.

3. Vertragsanalyse und -anpassung in Tausenden Fällen

Auch im Umgang mit externen Beratern gilt es, die Innovationskraft von GenAI einzufordern. Selbstverständlich befinden sich auch Rechtsanwaltskanzleien auf einer Innovationsreise und können Chattools nutzen, um die Arbeit der Mitarbeitenden effizienter zu gestalten. Besonders interessant sind die größeren Technologieprojekte, die es den Kanzleien ermöglichen, ihr eigenes Angebot zu transformieren. Ein solches Beispiel ist regelmäßig die Vertragreview. Etwa fordern derzeit der Digital Operational Resilience Act (DORA) oder die Lieferketten- und ESG-Regulierung von den Unternehmen, viele Tausende Verträge zu analysieren und ggf. anzupassen. Ähnlich herausgefordert werden Unternehmen, wenn ein Geschäftsbereich abgespalten werden soll (Carve-out) oder ein Vertragsmanagementsystem befüllt werden muss. Während Machine Learning Solutions schon seit einiger Zeit die traditionelle, rein menschliche Vertragsdurchsicht abgelöst haben, ermöglicht GenAI den nächsten Schritt. Beim traditionellen maschinellen Lernen nutzt man die Fähigkeit der künstlichen Intelligenz, Muster in Klauseln zu erkennen, die zuvor im Rahmen der Durchsicht vieler Hunderter Verträge identifiziert wurden. Ganz anders lässt sich die Aufgabe mit GenAI bewältigen: Es wird kein Muster antrainiert, sondern beschrieben, worauf es bei der Klausel ankommt, und einige Beispiele gegeben – ganz vergleichbar der Anweisung an junge Kollegen. Setzt man die richtige Prompting-Logik ein, lassen sich in der Praxis Tausende Verträge in wenigen Tagen durchsehen, strukturiert erfassen und für die anschließende rechtliche Qualitätskontrolle vorbereiten. Sind die Daten erst einmal erfasst, ist es im Anschluss ein Leichtes, besonders risikoträchtige Klauseln vertieft zu betrachten, Änderungsvereinbarungen zu entwerfen oder die Daten in ein Vertragssystem einzupflegen (siehe Hinweis zum EYQ Document Batch Analyzer).

Co-Autoren: Dr. Daniel Mattig, Tamay Schimang, Christian König

Fazit

GenAI löst eine neue technologische Revolution aus. Das gilt auch für die juristische Arbeit. Künstliche Intelligenz recherchiert, sieht Verträge durch, beantwortet Anfragen oder fasst schlicht nur zusammen und übersetzt. Sie ermöglicht es, jedem Mitarbeitenden in der Rechtsabteilung einen virtuellen juristischen Assistenten an die Seite zu stellen. Derzeit übernimmt er vor allem unterstützende Tätigkeiten. Juristische GenAI kann aber künftig auch ganze Handlungsabfolgen übernehmen, die der Jurist nur noch überwacht. Bei alledem bleibt der Mensch im Mittelpunkt: Es geht nicht darum zu ersetzen; es geht darum, zu befähigen und Freiräume zu schaffen für die rechtlichen Werttreiber im Unternehmen.

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