Dem Steueroasen-Abwehrgesetz (StAbwG) wurde in den letzten Jahren vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Doch spätestens mit der Aufnahme Russlands auf die Liste nicht kooperativer Staaten stieg seine Bedeutung im letzten Jahr schlagartig an. Zudem greift erstmals ab diesem Jahr eine der schärfsten Abwehrmaßnahmen: das Betriebsausgabenabzugsverbot. Darüber hinaus äußerte sich das Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Jahr 2024 erstmals zu den Anwendungsgrundsätzen des StAbwG (BMF-Schreiben vom 14. Juni 2024, BStBl. I 2024, S. 1086).
Die strengen Regelungen stellen betroffene Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Angesichts der Folgen bei Nichtbeachtung und der Komplexität, die das StAbwG im Zusammenwirken mit den anderen Einzelsteuergesetzen mit sich bringt, ist es für international agierende Unternehmen unerlässlich, ihre Geschäftsvorgänge sorgfältig zu überprüfen.
Musterknabe Deutschland
Das StAbwG basiert auf gemeinsamen Absichtserklärungen aller EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der Gruppe „Verhaltenskodex (Unternehmenssteuern)“. Ziel ist es, unkooperative Staaten zu Anpassungen in ihrer Steuerpolitik anzuhalten. Da Deutschland nicht unmittelbar in deren Gesetzgebung eingreifen kann, sollen stattdessen inländische Steuerpflichtige davon abgehalten werden, Geschäftsbeziehungen zu solchen Staaten fortzusetzen oder aufzunehmen. Dafür hält das StAbwG eine Reihe von (Abwehr-)Maßnahmen bereit, die deutsche Steuerpflichtige mitunter sehr hart treffen können. Dazu zählen u. a. die folgenden:
- Betriebsausgabenabzugsverbot
- verschärfte Hinzurechnungsbesteuerung
- Quellensteuermaßnahmen
- Verweigerung begünstigter Besteuerung von Gewinnausschüttungen und Anteilsveräußerungen
- gesteigerte Mitwirkungs- und Anzeigepflichten
Deutschland hat alle (!) von der Gruppe „Verhaltenskodex (Unternehmenssteuern)“ entwickelten Maßnahmen in nationales Recht umgesetzt. Notwendig wäre laut gemeinsamer Absichtserklärung der EU-Mitgliedstaaten lediglich die Umsetzung einer der Maßnahmen. Die meisten anderen EU-Mitgliedstaaten waren dagegen deutlich zurückhaltender. Im Ergebnis herrscht innerhalb der EU kein harmonisiertes Vorgehen gegen Steueroasen, sondern vielmehr ein Flickenteppich.
Wer ist betroffen?
Betroffen sind inländische Steuerpflichtige. Konkret sind (1) ein nicht kooperatives Steuerhoheitsgebiet, (2) ein in Deutschland unbeschränkt oder beschränkt Steuerpflichtiger und (3) ein entsprechender Geschäftsvorgang erforderlich, damit die Abwehrmaßnahmen des StAbwG greifen können. In der Praxis liegen die Voraussetzungen oft schneller vor, als man denkt.
Nicht kooperatives Steuerhoheitsgebiet und Ansässigkeit
Ein Steuerhoheitsgebiet ist nicht kooperativ, wenn es intransparent in Steuersachen ist (§ 4 StAbwG), unfairen Steuerwettbewerb betreibt (§ 5 StAbwG) oder die BEPS-Mindeststandards (§ 6 StAbwG) nicht erfüllt. Zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung erlassen das BMF und das Bundeswirtschaftsministerium gemeinsam die Steueroasen-Abwehrverordnung (StAbwVO). Darin werden die nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiete aufgeführt. Die StAbwVO wird in der Regel zum Jahresende aktualisiert und basiert im Wesentlichen auf der „EU Blacklist“. Diese liefert folglich bereits einen Hinweis darauf, welche Steuerhoheitsgebiete zukünftig als nicht kooperativ oder wieder als kooperativ angesehen werden. Die Blacklist ist eine vom Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) im Amtsblatt der EU veröffentlichte Liste, die zweimal jährlich – in der Regel im Februar und im Oktober – aktualisiert wird.
Eine Person ist in einer Steueroase ansässig, wenn ihr Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt (bei natürlichen Personen) bzw. der Sitz oder Ort der Geschäftsleitung in einem solchen Staat liegt. Betroffen sind damit auch Geschäftsbeziehungen zu Personen, deren Ansässigkeit sowohl in einem kooperativen als auch in einem nicht kooperativen Staat liegt, wenn sie im kooperativen Staat vollumfänglich besteuert werden.
Betroffener Geschäftsvorgang
In den Anwendungsbereich des StAbwG fallen nur Geschäftsvorgänge i. S. d. § 7 StAbwG. Gemeint sind Geschäftsbeziehungen oder Beteiligungsverhältnisse, die der Steuerpflichtige in oder mit Bezug zu einem nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiet unterhält. Leicht festzustellen ist, ob mittelbare oder unmittelbare Beteiligungsverhältnisse vorliegen. Allein aufgrund dieses Merkmals ist noch einmal auf die Relevanz Russlands auf der Liste der StAbwVO seit 2023 hinzuweisen. Bereits im Konzern vorhandene mittelbare oder unmittelbare Beteiligungen an russischen Gesellschaften öffnen die Türen des StAbwG. Jeder Konzern, in dem mindestens eine russische Gesellschaft vorkommt, könnte daher potenziell von den Abwehrmaßnahmen betroffen sein.
Unproblematische Domain-Endung „.ai“
Etwas schwieriger festzustellen sind erfasste Geschäftsbeziehungen eines Steuerpflichtigen in oder mit Bezug zu einem nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiet. Denn dafür ist ein Beteiligungsverhältnis nicht erforderlich. Das heißt, auch Geschäftsbeziehungen zu fremden Dritten eröffnen den Anwendungsbereich des StAbwG. Dabei ist nicht immer eindeutig, welche Art der Geschäftsbeziehung erfasst sein soll und welche nicht. Das erwähnte BMF-Schreiben schränkt den weitreichenden Begriff der Geschäftsbeziehungen zumindest teilweise ein und nimmt Entgelte für öffentlich-rechtliche Leistungspflichten sowie damit in engem sachlichem Zusammenhang stehende obligatorische Nutzungs- und Dienstleistungsbeziehungen aus dem Anwendungsbereich des StAbwG aus. Die Durchfahrt des Panamakanals und u. E. auch die Nutzung der Domainendung „.ai“, die von der Karibikinsel Anguilla verwaltet wird, sollten folglich keine betroffene Geschäftsbeziehung darstellen.