Laut einem auf der Jahrespressekonferenz des BFH vorgestellten Urteil ist im Falle von sog. Cum/Ex-Geschäften der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Erwerber der dividendenberechtigten Aktien unter bestimmten Voraussetzungen zu versagen. Insoweit ist der Erwerber auch nicht Gläubiger der Kapitalerträge, für die Abzugsteuern einbehalten und abgeführt worden sind. Ein Anspruch auf Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer steht ihm daher nicht zu.
Einen Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer hat laut BFH nur derjenige, welcher nach Maßgabe nationalen Steuerrechts Gläubiger der Kapitalerträge ist und die Abzugsteuer "einbehalten und abgeführt" worden ist (BFH-Urteil vom 02.02.2022, I R 22/20). Gläubiger der Kapitalerträge ist die Person, die die Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt. Dies ist wiederum die Person, der die Anteile an dem Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) oder des Zuflusses der Dividendenkompensationszahlung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG) gemäß § 39 Abs. 1 AO zivilrechtlich oder – sofern ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über die Anteile hat – nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO wirtschaftlich zuzurechnen sind. Bei vom zivilrechtlich abweichenden wirtschaftlichen Eigentum sei für den Erstattungsanspruch das wirtschaftliche Eigentum entscheidend.
Bei sog. Cum/Ex-Geschäften wird laut BFH wirtschaftliches Eigentum über die Anteile nicht erworben, wenn der Erwerb der Aktien Teil eines modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzepts ist, nach welchem der zivilrechtliche Erwerber die wesentlichen mit einem Aktienerwerb verbundenen Rechte weder ausüben kann noch nach der gestalterischen Konzeption soll. Vielmehr hat der Erwerber nur seine (aufgrund Abkommensrechts gestaltungsermöglichende) Rechtsform in den Geschäftsablauf einzubringen. Angesichts der umfassenden Kontrolle jedes Geschäftsdetails durch Dritte ist der Erwerber damit lediglich als "passiver Teilnehmer" ("Transaktionsvehikel") im Geschäftsablauf anzusehen. Dies gilt laut BFH unabhängig davon, ob die maßgebenden Transaktionen "außerbörslich" (Erwerb von sog. Single Stock Futures mit nachfolgender Abwicklung über die Eurex Clearing AG) oder "börslich" (im Rahmen sog. Schlussauktionen) stattgefunden haben.
Die Stellung als wirtschaftlicher Eigentümer einer Aktie kann laut BFH nur einnehmen, wer den Aktieninhaber zugleich von den wesentlichen Rechten (Dividendenbezug, Stimmrecht) ausschließt („Alternativität“). Diese Position gegenüber dem Aktieninhaber kann allein durch eine rechtlich gesicherte Erwerbsaussicht und einen (wirtschaftlichen) Dividendenbezug nicht vermittelt werden (auch wenn frühere BFH-Rechtsprechung in diesem Sinne verstanden wurde). Auch kann sie nicht durch Teilnahme an einer „Gesamtvertragskonzeption“, die geradezu ausschließt, dass diese Person die wesentlichen Rechte der Aktieninhaberschaft einnimmt und das finanzielle Risiko der Transaktionen tragen soll, vermittelt werden. Darüber hinaus äußerte sich der BFH zu den Anforderungen an eine „einbehaltene und abgeführte Steuer“. Eine Vorlage an den EuGH wies der BFH ab.
Das Urteil des BFH berücksichtigt später eintretende Gesetzesänderungen nicht, da diese im Streitjahr (2011) noch nicht anwendbar waren. Für Fälle ab dem 01.01.2012 hat der Gesetzgeber die mehrfache Erstattung einbehaltener Kapitalertragsteuer unterbunden.
Mit der Entscheidung bestätigt der BFH im Ergebnis das Urteil der Vorinstanz (FG Köln vom 19.07.2019, 2 K 2672/17) und erklärt Cum/Ex-Geschäfte für steuerrechtlich unzulässig, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) diese für ähnlich gelagerte Strukturen im Juli 2021 als Steuerhinterziehung gewertet hatte (Urteil vom 28.07.2021, 1 StR 519/20).
Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.
Direkt zum BFH-Urteil kommen Sie hier.
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