Mit Ablauf dieser Woche begeben sich die Parlamentarier des 20. Deutschen Bundestags erstmals in eine Sommerpause. Zeit für eine erste Zwischenbilanz.
Halbjahresbilanz
Corona, Ukraine, Inflation – die Krisen des ersten halben Jahres 2022 reichen normalerweise für eine ganze Legislaturperiode. Dem konnte sich auch die Steuerpolitik der Ampelkoalition nicht entziehen. Mit dem 4. Corona-Steuerhilfegesetz setzten SPD, Grüne und FDP im Wesentlichen bekannte Maßnahmen zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie fort. Das darauffolgende Steuerentlastungsgesetz 2022 und das Energiesteuersenkungsgesetz waren bereits Reaktion auf Krieg und Inflation. Daneben blieb noch Zeit, das Zinsurteil des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen, eine Überarbeitung insbesondere des Biersteuergesetzes (8. Verbrauchsteueränderungsgesetz) anzustoßen und mit der innerstaatlichen Umsetzung der Doppelbesteuerungsabkommen mit Mexiko sowie Mauritius zu beginnen.
Für das erste halbe Jahr einer neuen Regierung also eine durchaus vorzeigbare Bilanz. Abgesehen von der ebenfalls ins Werk gesetzten Abschaffung der EEG-Umlage, die sogar auf den 01.07.2022 vorgezogen wurde, und der im 4. Corona-StHG enthaltenen dauerhaften Ausweitung des Verlustrücktragszeitraums auf zwei Jahre sowie der Verlängerung der Homeoffice-Pauschale für 2022 musste die Umsetzung des steuerpolitischen Teils des Koalitionsvertrags aber noch warten. Das soll sich im zweiten Halbjahr 2022 ändern.
Ausblick auf die kommenden 6-12 Monate
Mit Spannung erwartet wird die Innovationsprämie bzw. Klima- und Investitionszulage, die anfangs noch als „Superabschreibung“ bezeichnet wurde. Zwar ist eine Einführung noch im laufenden Jahr vom Tisch, doch damit das neue Förderinstrument für 2023 und 2024 zwei Jahre zur Verfügung steht, muss das Gesetzgebungsverfahren zügig angegangen werden. Dem Vernehmen nach ist statt einer Abschreibung eine Zulage geplant, die ähnlich der früheren Investitionszulage an den Anschaffungs- und Herstellungskosten bestimmter Wirtschaftsgüter ansetzt. Für Sand im Getriebe könnte die nötige beihilferechtliche Abstimmung mit der EU-Kommission sorgen.
Weniger Vorfreude dürfte bei den Unternehmen die angekündigte Zinshöhenschranke auslösen. Selbst fremdübliche Zinsen sollen demnach künftig nicht mehr als Betriebsausgabe abzugsfähig sein oder zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führen, wenn ein bestimmter Zinssatz überschritten wird. Laut BMF wird fieberhaft an einem Gesetzentwurf gearbeitet. Möglicherweise enthält dieser auch die gleichfalls im Koalitionsvertrag angekündigte Ausweitung der Quellenbesteuerung.
Für die baldige Umsetzung soll auch die Anzeigepflicht für rein innerstaatliche Steuergestaltungen vorgesehen sein. Inwieweit diese auf der vorhandenen Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen aufbaut und welche nationalen Gestaltungen aufs Korn genommen werden, bleibt abzuwarten.
Schon kurzfristig dürfte mit dem Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2022 zu rechnen sein. Wie immer hüllt sich das Finanzministerium vorab über die Inhalte in Schweigen. Ein Kandidat könnte aber die kürzlich vom BMF angekündigte gesetzliche Anpassung der Einlagenrückgewähr in Drittstaatenfällen sein.
Recht weit oben auf der To-Do-Liste des BMF soll auch die Grunderwerbsteuer stehen. Laut Koalitionsvertrag soll eine Öffnungsklausel für die Länder eingeführt werden, damit diese den Ersterwerb von selbst genutztem Wohneigentum begünstigen können, z.B. per niedrigerem Steuersatz oder einem Freibetrag. Die Schwarz-Grüne Koalition in NRW hat bereits angekündigt, die Klausel nutzen zu wollen. Die gleichfarbige Koalition in Schleswig-Holstein will stattdessen lieber eine eigene Eigenheimzulage erschaffen. Noch unklar ist, wie die von der Ampelkoalition im gleichen Gesetz geplante Gegenfinanzierung durch eine stärkere Besteuerung von Share Deals aussehen soll. Fraglich ist auch, ob eine – aufgrund der ab 2024 geltenden Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom BMF angekündigte – Anpassung der Sonderregelungen für den Übergang von Grundstücken auf eine/von einer Gesamthand in das Gesetz aufgenommen wird.
Sollte sich bis Herbst keine Beruhigung der Inflation abzeichnen, dürften die für den Beginn der Heizperiode erwarteten Berichte zur Progression und zum Existenzminimum auf eine erwartungsvolle Stimmung treffen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat angekündigt, dann einen Gesetzentwurf zur Abmilderung der kalten Progression vorzulegen. Aufgrund der hohen Inflation und der einsetzenden Lohn-Preis-Spirale könnte eine kräftige Rechtsverschiebung des Einkommensteuertarifs notwendig werden. Offenbar gibt es im Finanzministerium darüber hinaus Gedankenspiele, dies mit einer Tarifabflachung beim sog. Mittelstandsbauch und einer Erhöhung von Kindergeld und Kinderfreibetrag zu kombinieren. Die diskutierte steuerfreie Einmalzahlung durch die Arbeitgeber mit dem Ziel der Verhinderung einer Lohn-Preis-Spirale lehnt der Finanzminister jedoch ab. Es zeichnet sich bereits ab, dass der Koalition heiße Diskussionen über die Rückgabe rein inflationär bedingter Steuermehreinnahmen und über weitere Entlastungen bevorstehen.
Wenig Spielraum bietet dagegen die Umsetzung der EU-rechtlich vorgegebenen neuen Informationspflichten für digitale Plattformbetreiber („DAC7“). Angesichts der Umsetzungsfrist bis zum Jahresende will das BMF hierzu in naher Zukunft einen Entwurf vorlegen, der darüber hinaus auch die im Koalitionsvertrag angekündigte Modernisierung und Beschleunigung der Betriebsprüfung enthält. Ob die Reform der Betriebsprüfung letztlich die gewünschte Schlagkraft entfalten wird, wird erst der Entwurf zeigen.
Etwas mehr Zeit wird noch vergehen bis ca. ab dem vierten Quartal 2022 die Einführung der globalen Mindestbesteuerung („Pillar 2“) beginnt. Durch das kürzlich verkündete Veto Ungarns verzögert sich die EU-Richtlinie wohl um mehrere Monate, evtl. wird sogar ein Verfahren für eine sog. verstärkte Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten ohne Ungarn nötig. Es bleibt aber dabei, dass ab 2024 in Deutschland mit der Anwendung der globalen Mindeststeuer zu rechnen ist. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sollte die Koalition auch die deutsche Niedrigsteuergrenze endlich auf 15 Prozent absenken – so jedenfalls der einhellige Wunsch der Wirtschaft.
Darüber hinaus ist in der 12-Monatsbetrachtung auch die Umsetzung der 2. Stufe des Multilateralen Instruments sowie die nationale Umsetzung der EU-UNSHELL-Richtlinie zur Bekämpfung europäischer Briefkastengesellschaften (derzeit bis 30.06.2023 geplant) wahrscheinlich.
Die immer wieder geforderte Übergewinnsteuer für Krisenprofiteure dürfte dagegen nach den mehrfachen Dementis von Finanzminister Christian Lindner bis auf weiteres keine Umsetzungschancen haben. Trotz der haushaltspolitisch angespannten Lage hält der liberale Finanzminister weiter an seinem Grundsatz fest, dass es keine Steuererhöhungen geben werde. Ob und welche entlastenden Punkte aus dem Koalitionsvertrag, wie z.B. die Innovationsprämie, kurzfristig angegangen werden, ist damit auch abhängig von dem notwendigen Spagat zwischen Entlastung und Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023.
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