Beispiel umfangreiche grenzüberschreitende Reisetätigkeit
Wenn man die Argumentation aus dem Urteil logisch weiterdenkt, bestehen potenzielle Besteuerungskonflikte jedoch nicht nur im Hinblick auf Drittlandsarbeitstage. Denn neben der Ansässigkeit spielen für die Zuordnung des Besteuerungsrechts der wirtschaftliche Arbeitgeber und die sog. 183-Tage-Regelung eine entscheidende Rolle.
So hätte in der folgenden Fallkonstellation nach dem Urteil der Wohnsitzstaat bei Zufluss das alleinige Besteuerungsrecht für die ausgeübten Optionen: Eine Mitarbeiterin war während der Erdienungsperiode in Staat A ansässig und übte die Tätigkeit hauptsächlich dort aus. Allerdings beschränkte sich die Anwesenheit in Staat A auf weniger als 183 Tage im relevanten Zeitraum. Der wirtschaftliche Arbeitgeber hat in einem anderen Staat seinen Sitz (Staat B).
Schließlich verlegt die Mitarbeiterin vor Ausübung der Optionen ihren Wohnsitz in Staat B. Dieser darf laut BFH als Ansässigkeitsstaat im Zeitpunkt des Zuflusses die gesamten Einkünfte aus den ausgeübten Optionen besteuern. Dies steht in starkem Kontrast zur Besteuerung der laufenden Bezüge im Erdienungszeitraum, die auf die Arbeitstage im damaligen Ansässigkeitsstaat entfallen. Für diese hat unstreitig Staat A das Besteuerungsrecht.
Unbeabsichtigte Nebenwirkung: niedrige oder gar keine Besteuerung
Eine Nichtbesteuerung wäre nach heutigem Recht bereits durch den zum 01.01.2007 eingeführten § 50d Abs. 9 EStG vermieden worden. Zudem kann dem deutschen Fiskus im umgekehrten Fall signifikantes Besteuerungssubstrat verloren gehen, wenn die Ansässigkeit bei Ausübung im Ausland liegt.
Dies wäre regelmäßig der Fall, wenn ins Ausland entsandte Beschäftigte mit häufigen Dienstreisen ins Ausland beispielsweise mit Beginn der Entsendung ihren deutschen Wohnsitz aufgeben und dann ihre Optionen ausüben. Die Einkünfte aus den Optionen sind dann nur insoweit in Deutschland steuerpflichtig, als die Tätigkeit im Erdienungszeitraum (vor der Entsendung) in Deutschland ausgeübt wurde.
Der gleiche Effekt tritt ein, wenn nach Deutschland entsandte Mitarbeitende (Impats) vor Ausübung der Option in ihr Heimatland zurückkehren und sich der Erdienungs- und der Entsendezeitraum überlappen.
Darüber hinaus eröffnet das Urteil auch Steuergestaltungen. Örtlich flexible Beschäftigte, die während der Erdienungsperiode in Deutschland ansässig waren und Arbeitstage einem Niedrigsteuerland hatten, könnten vor Zufluss ihre Ansässigkeit in das Niedrigsteuerland verlegen. In diesem Fall darf Deutschland nach dem Urteil nur die anteilige Vergütung für die Arbeitstage in Deutschland versteuern und Steuersubstrat ginge verloren.
Schließlich scheint die Sichtweise des Urteils im Widerspruch zu Tz. 246 des BMF-Schreibens vom 03.05.2018 zu stehen: „…Der geldwerte Vorteil ist unabhängig vom Zuflusszeitpunkt nach den Verhältnissen des Zeitraums zuzuordnen, für den er gewährt wird (Erdienungszeitraum).“ Es ist nicht ersichtlich, weshalb für nicht handelbare Aktienoptionen (oder Boni) etwas anders gelten soll. Es bleibt daher abzuwarten, ob die Finanzverwaltung das Urteil über den Einzelfall hinaus anwenden wird.
Mehr Verwaltungsaufwand
Die vom BFH geforderte Vorgehensweise ist zudem in der praktischen Anwendung deutlich aufwendiger, da bei einem Ansässigkeitswechsel nicht auf den Aufteilungsmaßstab im Erdienungszeitraum zurückgegriffen werden kann. Das Besteuerungsrecht muss unter Berücksichtigung der geänderten Ansässigkeit neu beurteilt werden. Dabei kann der neue Aufteilungsmaßstab gravierend von demjenigen für die laufenden Einkünfte im Erdienungszeitraum abweichen.
Schwierig werden auch Konstellationen, in denen der Erdienungszeitraum vor einer Entsendung nach Deutschland liegt und die Optionen während der Entsendung nach dem Ansässigkeitswechsel ausgeübt werden. Vor dem Auslandseinsatz wird regelmäßig kein Reisekalender geführt. Die Dienstreisen ins Ausland müssen daher nachträglich rekonstruiert werden.