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Brücken bauen: Wie Indien zur Lösung der deutschen Fachkräftelücke wird

In Deutschland ist heute jede zweite Person älter als 45 Jahre und die geburtenstarke Babyboomer-Generation verabschiedet sich in die Rente. Fachkräfte sind Mangelware – insbesondere im Gendheitswesen und in der Pflege. In Indien dagegen beträgt das Medianalter 28,1 Jahre und bis 2030 strömen voraussichtlich ca. 84 Mio. Arbeitskräfte mit in Deutschland sehr dringend gesuchten Qualifikationen (technische Dienstleistungen, IT, Gesundheitswesen …) auf den indischen Arbeitsmarkt. Doch diese teilweise sehr gut ausgebildeten geburtenstarken Jahrgänge finden nur schwer eine Stelle in ihrer Heimat. Die Vorteile einer Kooperation liegen auf der Hand. 

Indische Arbeitskräfte in Deutschland – bisherige Erfahrungen

Die Zahl der in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigten Inderinnen und Inder ist in den letzten Jahren stark gestiegen (von 23.320 im Jahr 2015 auf 136.670 im Jahr 2024). Mehr als 50 Prozent füllen Positionen auf Spezialisten- oder sogar Expertenniveau aus. Gleichzeitig ist in Deutschland die Arbeitslosenquote indischer Staatsangehöriger gesunken und lag 2023 deutlich unter derjenigen der Gesamtbevölkerung. Diese Zahlen zeigen, dass die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt bereits gut gelingt. Vorteilhaft sind hier sicher die sehr guten Englischkenntnisse. Bei der deutschen Sprache ergibt sich ein gemischtes Bild; der Ausbau der Sprachkenntnisse bleibt insoweit ein wichtiges Feld. 

Bei den Studierenden aus Indien ist ebenfalls ein starker Zuwachs zu verzeichnen. Davon profitiert auch der Arbeitsmarkt, denn viele bleiben nach dem Studium, um hier zu arbeiten.

Fachkräftestrategie beschlossen

Deutschland arbeitet also bereits mit großem Erfolg mit Indien zusammen, um mit indischen Talenten die Fachkräftelücke in Deutschland zu schließen. Doch der Bedarf wächst. Die Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung in Indien sollen daher weiter ausgebaut werden. Beide Länder haben sich bereits im März 2023 auf ein Migrations- und Mobilitätspartnerschaftsabkommen geeinigt. Im Oktober 2024 hat das Bundeskabinett nun die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und vom Auswärtigen Amt ausgearbeitete Fachkräftestrategie Indien beschlossen. 

Ziele der Fachkräftestrategie Indien

Die neu beschlossene Fachkräftestrategie umfasst ein Paket von 30 Maßnahmen, mit denen Deutschland die Zusammenarbeit mit Indien weiter ausbauen will. Fachkräfte sollen noch schneller, effizienter und nachhaltiger rekrutiert werden können. Außerdem soll in Bereichen mit einem strukturellen Bewerbermangel verstärkt die Anwerbung von Auszubildenden gefördert werden. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Förderung von Frauen bei der Erwerbsmigration. Zu den beschlossenen Maßnahmen zählen insbesondere die folgenden:

Gesetzliche Rahmenbedingungen verbessern

Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurden bereits zahlreiche Verbesserungen umgesetzt, von denen insbesondere auch indische Fachkräfte profitieren, z. B.:

  • Die Ausweitung der Blauen Karte EU im IT-Bereich hilft indischen IT-Spezialisten.

  • Indien verfügt über eine Reihe staatlich anerkannter Berufsabschlüsse mit einer Ausbildungsdauer von 24–36 Monaten und profitiert daher von der Ausweitung der Berufserfahrenenregelung auf alle Berufe. 

  • Durch die Einführung von Anerkennungspartnerschaften können Ausbildungsbetriebe Kandidaten mit Berufs-/Hochschulabschluss beschäftigen und parallel dazu ein Anerkennungsverfahren durchführen.

  • Der erleichterte Arbeitsmarktzugang für Pflegehilfskräfte vereinfacht den Zuzug für Inderinnen und Inder mit einer entsprechenden Qualifikation und Anerkennung.

  • Wer bereits einen anerkannten Bachelor-Abschluss besitzt, kann in Deutschland ein Master-Studium absolvieren und parallel dazu eine Aufenthaltsgenehmigung für Erwerbszwecke beantragen.

  • Flexiblere Regelungen ermöglichen es Studierenden, neben dem Studium berufstätig zu sein. 

Bilaterale Zusammenarbeit

Deutschland wird den fachlichen Austausch mit Indien vertiefen, um rechtliche und fachliche Fragen rund um die Fachkräftemigration zu diskutieren und die Zusammenarbeit voranzutreiben, beispielsweise bei der Ausrichtung des indischen Bildungssystems auf zukunftsrelevante Berufe.

Gezielte Ansprache und ein passgenaues Matching

Im Rahmen von Anwerbeabkommen und Pilotprojekten hat die Bundesagentur für Arbeit Kooperationsstrukturen mit indischen Partnern geschaffen und führt gezielte Werbekampagnen zur Ansprache, Information und Beratung indischer Fachkräfte und Auszubildender, die an der Migration interessiert sind. Diese Bemühungen sollen fortgeführt und ausgeweitet werden, etwa durch die Teilnahme an ausgewählten Branchenmessen in Indien.

Die Bundesregierung will unter anderem das Web-Informationsportal „Make it in Germany“ weiterentwickeln und ihr Engagement bei Job-Messen in Indien verstärken, unterstützt durch eine abgestimmte Social-Media-Strategie, die indische Fachkräfte über ihren Weg nach Deutschland informiert.

Deutschkenntnisse als Schlüsselkompetenz für erfolgreiche Integration

Da ein gutes Verständnis der deutschen Sprache sowohl für die Arbeit als auch im Alltag eine große Rolle spielt, fördert Deutschland sowohl zusätzliche vorbereitende Kurse der Goethe-Institute bzw. -Zentren in Indien als auch Online-Angebote. Landeskundliche und interkulturelle Trainings sowie weitere die Vorintegration unterstützende Kurse runden die Angebotspalette ab. Hier sollen weitere Lehrkräfte ausgebildet und eingesetzt und zusätzliche Kurse angeboten werden, darunter auch maßgeschneiderte Kurse für bestimmte Berufsgruppen.

Anerkennung der Berufsqualifikation

Bei der Anerkennung der beruflichen Qualifikation unterstützen mehrere von staatlicher Seite geförderte Stellen. Zu nennen sind hier

  • die Zentrale Servicestelle Berufsanerkennung,

  • das Projekt ProRecognition der AHK Indien und 

  • das BQ-Portal.

Außerdem werden im Rahmen der Global Skills Partnership insbesondere Ausbildungsgänge vor Ort an die deutschen Anforderungen angepasst, sodass der Abschluss in Deutschland anerkannt werden kann.

Digitalisierung beschleunigt Visaverfahren

Das nationale Visaverfahren für Indien wurde umfassend digitalisiert, wodurch die Wartezeiten auf Termine für Fachkräftevisa erheblich reduziert werden sollten. 

Initiativen auf Länder- und Unternehmensebene

Neben den Maßnahmen auf Bundesebene gibt es eine Reihe von Initiativen auf Länder- und Unternehmensebene. So unterstützt Hapag-Lloyd Interessierte bei der Beantragung des Arbeitsvisums und der Aufenthaltserlaubnis, der Wohnungssuche und Behördengängen. Siemens wiederum gewährt beispielsweise jungen Erwachsenen (insbesondere Frauen), die Ingenieurswissenschaften studieren, ein Stipendium. Die Stipendiaten werden durch Praktika, Mentoring, die Vermittlung von Soft Skills, Trainings on the Job und finanzielle Hilfe unterstützt. Bei den Ländern wären beispielsweise Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen zu nennen.

Quelle: Broschüre „Fachkräftestrategie Indien“ der Bundesregierung, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und vom Auswärtigen Amt.

Handlungsbedarf

Arbeitgeber sollten untersuchen, inwieweit sie beim Rekrutieren ausländischer Fachkräfte von den intensiven Bemühungen von staatlicher Seite profitieren können. Es empfiehlt sich auch, eigene Maßnahmen in Betracht zu ziehen, um ausländische Fachkräfte rekrutieren und beim Start im Unternehmen wirkungsvoll unterstützen zu können. Dabei empfiehlt es sich insbesondere zu prüfen, ob die jeweilige Maßnahme eine größere Wirkung erzielen kann, wenn sie direkt vor Ort, beispielsweise mit Unterstützung von lokalen Gruppenunternehmen, durchgeführt wird.

Ihre Kontaktpersonen zu diesem Artikel: Martina Unrau, Jens Goldstein