Die niederländische 30-Prozent-Regelung ist ein steuerlicher Vorteil für hoch qualifizierte Arbeitnehmende aus dem Ausland, die in den Niederlanden arbeiten. In einem kürzlich vom Bundesfinanzhof (BFH) entschiedenen Fall war strittig, ob Deutschland den aufgrund der 30-Prozent-Regelung steuerfrei ausgezahlten Gehaltsbestandteil für Arbeitstage in den Niederlanden besteuern darf. Anders als die Vorinstanz hat der BFH diese Frage verneint. Das Urteil ist sowohl für Grenzpendler:innen als auch für Entsendungen in die Niederlande relevant.
30-Prozent-Regelung
Die Regelung ermöglicht es Arbeitgebern, als Ausgleich für die zusätzlichen Aufwendungen im Zusammenhang mit der Tätigkeit in den Niederlanden pauschal bis zu 30 Prozent des (niederländischen) Arbeitslohns steuerfrei auszuzahlen (anstatt die tatsächlich entstandenen und nachgewiesenen Kosten zu erstatten).
Begünstigt sind grundsätzlich Personen mit besonderen Kenntnissen, die auf dem niederländischen Arbeitsmarkt rar sind. Außerdem müssen sie aus dem Ausland transferiert oder dort rekrutiert worden sein. Die Regelung ist an weitere Voraussetzungen und die Genehmigung durch die niederländischen Steuerbehörden gebunden.
Der Steuervorteil läuft allerdings in Leere, wenn er einen Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland auslöst. Genau diese Frage hatte der BFH zu entscheiden.
Subject-to-tax-Klausel im DBA zwischen Deutschland und den Niederlanden
Grundsätzlich steht den Niederlanden das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn zu, wenn die Tätigkeit in den Niederlanden für einen niederländischen Arbeitgeber ausgeübt wird. Deutschland muss diesen Arbeitslohn von der Besteuerung ausnehmen und kann ihn nur bei der Bestimmung des Steuersatzes für das in Deutschland zu versteuernde Einkommen berücksichtigen. Allerdings enthält das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen Deutschland und den Niederlanden eine Subject-to-tax-Klausel.
Rückfall- bzw. Subjekt-to-tax-Klauseln knüpfen die in einem DBA angeordnete Freistellung ausländischer Einkünfte an die Bedingung, dass diese Einkünfte im Ausland tatsächlich besteuert werden. So stellt Deutschland insbesondere Einkünfte aus unselbständiger Arbeit für eine in den Niederlanden ausgeübte Tätigkeit nur frei, wenn sie in den Niederlanden besteuert werden (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande). Subject-to-tax-Klauseln gibt es auch in anderen von Deutschland geschlossenen DBA, beispielsweise in denen mit Italien, Luxemburg, dem UK und den USA, aber auch im nationalen Recht.
Anwendung der 30-Prozent-Regelung und Nachversteuerung
Der Streitfall betraf einen Grenzpendler (Kläger), der im Streitjahr 2019 in Deutschland wohnte und seine Tätigkeit an 157 von 237 Arbeitstagen in den Niederlanden für einen dort ansässigen Arbeitgeber ausübte. An den übrigen Arbeitstagen war er in Deutschland tätig. Sein Arbeitgeber wendete die 30-Prozent-Regelung an.
Das deutsche Finanzamt wich von den Angaben des Klägers in seiner Einkommensteuererklärung ab. Es unterwarf den in den Niederlanden nach der 30-Prozent-Regelung steuerfreien Teil der Vergütung der Besteuerung. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht Düsseldorf zurück.
BFH: Kein Rückfall des Besteuerungsrechts
Der BFH widersprach der Vorinstanz. Insoweit als der Kläger seine Tätigkeit in den Niederlanden ausgeübt hat, steht den Niederlanden das Besteuerungsrecht an seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit zu (Art. 14 Abs. 1 DBA-Niederlande). Deutschland nimmt die niederländischen Einkünfte von der Besteuerung aus, wenn sie tatsächlich in den Niederlanden besteuert werden und (wie im Streitfall) nicht unter Art. 22 Abs. 1 Buchst. b DBA-Niederlande fallen.
Einbeziehung in die Bemessungsgrundlage reicht aus
Für eine tatsächliche Besteuerung genügt es, dass die betreffenden Einkünfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen werden. Eine steuerliche Belastung muss dadurch nicht entstehen. Unschädlich für die Freistellung der Einkünfte in Deutschland ist daher unter anderem eine Nichtbesteuerung aufgrund von
- Freibeträgen,
- Verlustverrechnung oder
- ausländischen Vorschriften zur Art der Einkünfteermittlung, die zu einer geringeren Bemessungsgrundlage als nach deutschem Steuerrecht führen.
Schädliche Nichtbesteuerung
Schädlich für die Freistellung von Einkünften ist eine Nichtbesteuerung, wenn sie darauf beruht, dass der andere Staat sie nicht besteuern kann, weil
- die Einkünfte nicht steuerbar bzw. sachlich steuerbefreit sind,
- der Steuerpflichtige persönlich steuerbefreit ist oder
- die Steuer erlassen wurde oder dem Staat die betreffenden Einkünfte nicht bekannt sind.
30-Prozent-Regelung als pauschaler Werbungskostenabzug
Nach diesen Grundsätzen sind die strittigen Einkünfte tatsächlich besteuert worden. Die 30-Prozent-Regelung beruht auf der Annahme, dass den Arbeitnehmenden aufgrund ihrer Tätigkeit in den Niederlanden höhere Kosten entstehen. Dies können beispielsweise Kosten für die tägliche Fahrt zur Arbeit, einen Umzug oder höhere Lebenshaltungskosten als im Heimatland sein.
Die 30-Prozent-Regelung ist eine pauschalierte Erstattung solcher Aufwendungen und keine persönliche oder sachliche Steuerbefreiung. Dabei spielt es keine Rolle, ob die steuerliche Bemessungsgrundlage zu verringern oder um steuerfreie Erstattungen des Arbeitgebers nicht zu erhöhen ist. Auch spielt es keine Rolle, ob die Aufwendungen wie bei der 30-Prozent-Regleung mit einem Pauschalbetrag oder in tatsächlicher Höhe die Bemessungsgrundlage verringern.
Ebenfalls nicht maßgeblich ist, ob das deutsche Steuerrecht die gleiche oder eine ähnliche Regelung enthält und ob die tatsächlichen Aufwendungen vermeintlich überkompensiert werden. Auch die rechtstechnische Umsetzung spielt keine Rolle, etwa ob die Berücksichtigung beim Lohnsteuerabzug oder bei der Veranlagung erfolgt. Es ist Sache des Staates, dem das Besteuerungsrecht zusteht, wie er den Steuerzugriff gestaltet.
Fazit
Im Ergebnis darf Deutschland die strittigen Einkünfte nur beim Progressionsvorbehalt (d. h. bei der Ermittlung des auf das zu versteuernde Einkommen anzuwendenden Steuersatzes) berücksichtigen.
Die Entscheidung des BFH ist zu begrüßen. Neben den vom BFH bereits angeführten Punkten ist zu bedenken, dass ein pauschaler Abzug im Vergleich zur Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen anhand von Einzelnachweisen deutlich weniger Verwaltungsaufwand erzeugt. Daher ist es sinnvoll, den pauschalen Abzug nicht zu gering anzusetzen.
Ausblick
Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass es sich um einen Sonderfall handelt. Daher ist unseres Erachtens davon auszugehen, dass die BFH-Entscheidung auf andere Fälle, in denen die 30-Prozent-Regelung gewählt wurde, übertragbar ist. Die deutsche Finanzverwaltung hat sich allerdings bisher nicht geäußert, ob sie das Urteil anwenden will. Inwieweit das Urteil auf ähnliche Regelungen in anderen Staaten übertragbar ist, wenn das einschlägige DBA eine Rückfallklausel enthält, muss sich noch zeigen. Dennoch sendet das Urteil zumindest für die Fälle ein positives Signal, in denen im Ausland Werbungskosten pauschal berücksichtigt werden – unabhängig davon, ob Deutschland eine vergleichbare Regelung hat.