Wegzug nach Frankreich und Tätigkeit in Deutschland
Der Kläger war von Februar 1995 bis einschließlich Juni 2015 (245 Monate) in zwei verschiedenen deutschen Unternehmen eines Konzerns beschäftigt. Seinen Wohnsitz hatte er bis zum 31.10.2005 im Inland, danach in Frankreich. Nach der Verlegung seines Wohnsitzes war er als sogenannter Grenzgänger tätig (116 Monate) und seine laufenden Einkünfte aus dem Arbeitsverhältnis wurden in Frankreich besteuert. Im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte ihm der Arbeitgeber eine Abfindung in Höhe von rund 180.000 Euro und behielt auf 94.775,51 Euro (= 129/245 von 180.000 Euro, also für den Zeitraum Februar 1995 bis Oktober 2005) Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag ein.
Anteilige Besteuerung der Abfindung in Deutschland
Der Kläger beantragte die Erstattung der einbehaltenen Steuern, denn die Abfindung sei nicht in Deutschland steuerpflichtig, da die Grenzgängerregelung anzuwenden sei. Das deutsche Finanzamt vertrat dagegen die Auffassung, dass die Abfindung insoweit in Deutschland zu versteuern ist, als sie auf den Zeitraum vor Wegzug entfällt.
Gerichte teilen Auffassung der Finanzbehörde
Sowohl der Einspruch als auch die Klage vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg blieben insoweit erfolglos. Das Finanzamt wendete lediglich während des Klageverfahrens die günstigere Besteuerung nach der Fünftelregelung an und berücksichtigte bei der Festsetzung der Steuer, dass der Kläger verheiratet war und zwei Kinder hatte.
Der BFH bestätigte die Auffassung des Finanzgerichts, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine weitere Minderung der Steuer hat. Die Grenzgängerregelung in Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich hindert Deutschland nicht daran, eine Entschädigung für die Auflösung eines Dienstverhältnisses (Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich) zu besteuern. Dies gilt laut BFH jedenfalls insoweit, als die Abfindung auf die Zeit entfällt, in der der (damals unbeschränkt steuerpflichtige) Arbeitnehmer im Inland gewohnt und gearbeitet hat (Urteil vom 01.08.2024, VI R 52/20).
Beschränkte Steuerpflicht in Deutschland
Der beschränkten Steuerpflicht unterliegen unter anderem Entschädigungen für die Auflösung eines Dienstverhältnisses (§ 24 Nr. 1 EStG), soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG). Dabei soll es nach der gängigen Literaturmeinung keine Rolle spielen, ob diese Einkünfte tatsächlich besteuert wurden.
Der BFH konnte jedoch offenlassen, ob die Bezeichnung „[…] der inländischen Besteuerung unterlegen haben […]“ auch solche Sachverhalte erfasst, in denen die Einkünfte nach deutschem Steuerrecht im Inland steuerpflichtig, aber laut DBA von der Besteuerung auszunehmen waren. Denn das Finanzamt hat die Abfindung lediglich in dem Umfang besteuert, in dem der Kläger die damaligen Arbeitseinkünfte auch tatsächlich im Inland versteuert hat.
Konzernzugehörigkeit maßgeblich für Aufteilung
Auch die Aufteilung basierend auf der Dauer der Konzernzugehörigkeit befand der BFH als richtig, da diese neben dem Alter des Klägers die Höhe der Abfindung maßgeblich beeinflusst hatte. Der Kläger hatte nur die Tätigkeit bei der zweiten Konzerngesellschaft ab September 2002 berücksichtigen wollen.
DBA-Frankreich stellt auf kausalen Zusammenhang ab
Nach der ständigen Rechtsprechung des I. Senats des BFH steht das Besteuerungsrecht für Abfindungen nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich aufgrund seines vom Musterabkommen abweichenden Wortlauts grundsätzlich dem Tätigkeitsstaat zu. Maßgeblich ist hier der Ort der persönlichen Tätigkeit, „aus der die Einkünfte herrühren“, sodass ein lediglich kausaler Zusammenhang zwischen dem Arbeitsverhältnis und einer Zahlung des Arbeitgebers ausreicht.
Grenzgängerregelung im Streitfall nicht einschlägig
Für den Zeitraum, in dem der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland hatte, kann die Grenzgängerregelung an diesem Ergebnis schon deshalb nichts ändern, weil er damals nicht unter das DBA-Frankreich fiel. Während dieser Zeit war er nur in Deutschland steuerpflichtig.
Das Finanzamt hat den Teil der Abfindung, der die Zeit des Klägers als Grenzgänger betrifft, nicht besteuert. Somit musste der Senat nicht entscheiden, ob auch Abfindungszahlungen von der Grenzgängerregelung erfasst werden. Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass das Besteuerungsrecht für die Abfindung dem Tätigkeitsstaat zusteht, soweit diesem das Besteuerungsrecht für die Vergütung für die laufende Tätigkeit zustand (BMF-Schreiben vom 12.12.2023, Rz. 168).