Selbstständiger Maurer mauert eine Wand

Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers 

Begrenzung durch Höhe der Einkommensteuer strittig

Der zum Lohnsteuerabzug verpflichtete Arbeitgeber haftet für eine zu gering abgeführte Lohnsteuer. Daran besteht kein Zweifel. Fraglich ist allerdings, ob sich der Haftungsbetrag reduziert, wenn im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer eine geringere Steuer festgesetzt wird – oder womöglich sogar bereits dann, wenn dies lediglich hypothetisch bei einer Veranlagung der Fall wäre. Mit genau dieser Frage hat sich in einem aktuellen Urteil das Finanzgericht (FG) Niedersachsen befasst (Urteil vom 16.04.2025, 9 K 155/22). Die Revision gegen die Entscheidung ist inzwischen vor dem Bundesfinanzhof anhängig.

Beschränkt steuerpflichtige Beschäftigte

Die Klägerin, eine GmbH, beschäftigte einen Geschäftsführer und eine Arbeitnehmerin, die in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtig waren. Ihr Wohnsitz (und gewöhnlicher Aufenthalt) befand sich in den Niederlanden. Ein Antrag auf Behandlung als unbeschränkt steuerpflichtig war nicht gestellt worden. Die Arbeitgeberin führte Lohnsteuer und Folgesteuern nach Steuerklasse I ab.

Lohnsteuerklasse I statt VI – Haftungsbescheid

Nach einer Lohnsteueraußenprüfung erließ das beklagte Finanzamt einen Haftungsbescheid und forderte insgesamt Steuern in Höhe von rund 74.000 Euro nach. Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein. Der Lohnsteuerabzug entspreche der festzusetzenden Einkommensteuer für die Streitjahre. Da der Einspruch ohne Erfolg blieb, erhob die Arbeitgeberin Klage vor dem Finanzgericht.

Steuerbescheide 2016 und 2019 der Arbeitnehmerin

Noch während des Verfahrens stellte sich heraus, dass die Einkommensteuerschuld aus der Veranlagung zur Einkommensteuer 2016 und 2019 der Arbeitnehmerin geringer war als die einbehaltene Lohnsteuer für diese Jahre. Das Finanzamt hat daher die Haftungsbeträge entsprechend gemindert.

Für 2017 und 2018 war bereits Festsetzungsverjährung eingetreten und die Klägerin hat keine Einkommensteuerbescheide, sondern lediglich Steuererklärungen der Arbeitnehmerin vorgelegt. Für den Geschäftsführer stellte sie Berechnungslisten zur Verfügung, aus denen sich ebenfalls ergab, dass mehr Steuern einbehalten wurden, als bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer angefallen wären. Insoweit lehnte die Finanzbehörde weiterhin eine Verringerung der Haftungsschuld ab.

FG: Lohnsteuerschuld ist Gegenstand der Haftung

Das Finanzgericht hat die hiergegen erhobene Klage zurückgewiesen. Die Klägerin hat die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM) nicht abgerufen bzw. die Lohnsteuer nicht nach Steuerklasse VI ermittelt und so ihre Pflichten verletzt (§ 39e Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 5 Satz 3 EStG).

Auch nach dem Ablauf des Kalenderjahres bleibt die Lohnsteuerschuld Gegenstand der Haftung und nicht die Einkommensteuerschuld. Deshalb spielt es keine Rolle, ob keine Veranlagung mehr möglich ist, weil die Festsetzungsverjährung eingetreten ist, oder ob sich laut Berechnungen eine geringere Einkommensteuerschuld ergibt.

Einordnung und Ausblick

Das FG Niedersachsen konnte offenlassen, ob – ggf. im Rahmen der Ermessensausübung – eine Reduzierung der Lohnsteuerhaftungssumme infrage kommt, wenn der Arbeitgeber den betreffenden Einkommensteuerbescheid des Arbeitnehmers vorlegt. Das Finanzgerichtsverfahren unterliegt einem Verböserungsverbot. Das Gericht musste daher nicht prüfen, ob das Finanzamt im Streitfall rechtmäßig die Haftungssumme reduziert hat.

Das FG Berlin-Brandenburg hatte in seinem Beschluss vom 13.11.2018 eine Beschränkung der Haftung auf die Einkommensteuerschuld bejaht, die Verpflichtung, eine Schattenveranlagung durchzuführen, dagegen verneint.

Bisher ist höchstrichterlich nicht geklärt, ob die Lohnsteuerhaftung

  • in jedem Fall die gesamte abzuführende Lohnsteuer umfasst,
  • lediglich insoweit zu reduzieren ist, als der Arbeitgeber nachweist, dass bei der Veranlagung zur Einkommensteuer eine geringere Steuer festgesetzt wurde,
  • sowohl eine tatsächlich durchgeführte als auch eine Schattenveranlagung (etwa im Fall der Festsetzungsverjährung) genügt, um ggf. den Haftungsbetrag zu verringern.

In der Literatur werden diese Fragen kontrovers diskutiert. Der Steuerpflichtige hat gegen die Entscheidung des FG Niedersachsen Revision vor dem BFH eingelegt (VI R 8/25).

Handlungsempfehlung

Um unnötige Komplikationen zu vermeiden, sollten Arbeitgeber stets sicherstellen, dass sie die korrekten ELStAM-Daten abrufen und, falls das nicht möglich ist, die Lohnsteuerklasse VI zugrunde legen und den Lohnsteuereinbehalt entsprechend vornehmen.

Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob das jeweils anzuwendende Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) den nationalen Lohnsteuerabzug nicht einschränkt (z. B. DBA mit Frankreich, Großbritannien, Österreich, USA). In den betreffenden Fällen ist zwingend eine Freistellungsbescheinigung zu beantragen, um den Teil des Arbeitslohns, für den Deutschland nach dem jeweiligen DBA kein Besteuerungsrecht hat, bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren freistellen zu können.

Falls irrtümlich zu wenig Lohnsteuer einbehalten wurde, sollte in vergleichbaren Fällen zeitnah geprüft werden, ob eine Veranlagung zur Einkommensteuer bereits vorgenommen oder zumindest fristgerecht eine Steuererklärung eingereicht wurde. Insbesondere wenn positive ausländische Einkünfte vorliegen, kann eine Veranlagung allerdings auch nachteilig sein. Dies sollte abgeklärt werden, bevor der Arbeitgeber womöglich den betroffenen Personen die Einreichung einer Steuererklärung nahelegt.

Im zweiten Schritt empfiehlt es sich, die Einlegung eines Rechtsbehelfs zu prüfen. Dabei ist zu beachten, dass in Drittlandsfällen bei beschränkter Steuerpflicht häufig eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht in Betracht kommt bzw. der Lohnsteuerabzug endgültig ist.

Autor:innen: Ursula Beste, Thore Schmitz


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