EuGH-Entscheidung zur Berücksichtigung von Arbeitstagen in Drittstaaten in greifbarer Nähe
In einer globalisierten Arbeitswelt, in der Fachkräfte über Grenzen hinweg tätig sind, stellt sich immer wieder die Frage nach der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von Multi-State Workers. Wenn eine Person in mehr als einem EU-Mitgliedstaat ihre Tätigkeit ausübt, ist das Sozialversicherungsrecht des Wohnsitzstaates anzuwenden, wenn mindestens 25 Prozent der Tätigkeit auf diesen Staat entfallen. Ein Rechtsstreit, der derzeit vor dem EuGH verhandelt wird, wirft die Grundsatzfrage auf, ob hier die Arbeitstage in Drittstaaten zu berücksichtigen sind. In diesem Artikel analysieren wir den zugrunde liegenden Fall und diskutieren die möglichen Konsequenzen und Handlungsempfehlungen für betroffene Unternehmen.
Multi-State Workers und Sozialversicherung
Nach Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterliegt eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt, den Rechtsvorschriften des Wohnsitzmitgliedstaates, wenn sie
- dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt oder
- bei mehreren Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten (außerhalb des Wohnsitzstaates der betroffenen Person) haben.
Als wesentlich gilt ein Anteil von 25 Prozent der betreffenden Tätigkeit. Noch nicht geklärt ist allerdings bislang, ob bei dieser Betrachtung nur die Tätigkeit in Mitgliedstaaten oder auch in Drittstaaten zu berücksichtigen ist.
Streitfall: Wohnsitz in Deutschland und Arbeitgeber in der Schweiz
Der Kläger wohnt in Deutschland und war bei einem Unternehmen mit Sitz in der Schweiz als Exporttechniker beschäftigt. Er arbeitete im Streitjahr an 10,5 Tagen im Quartal in der Schweiz und an ebenfalls 10,5 Tagen im Quartal im Homeoffice in Deutschland. An den übrigen Tagen besuchte er Kunden in Drittstaaten (Russland, Moldawien, Weißrussland, Ukraine …), um sie zu beraten bzw. um Schulungen, Seminare und Verkostungen vorzunehmen. Der Kläger erhielt eine einheitliche Vergütung für seine Tätigkeit. Eine Aufteilung auf die verschiedenen Tätigkeitsorte war nicht vorgesehen.
Gilt deutsches oder Schweizer Sozialversicherungsrecht?
Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz regelt, dass die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auch für die Schweiz gilt und diese insoweit wie ein Mitgliedstaat zu behandeln ist. Daher stellt sich die Frage, wie der Anteil der Tätigkeit im Deutschland zu ermitteln ist. Wenn auch die Arbeitstage in Drittstaaten berücksichtigt werden, ergibt sich ein Anteil der Tätigkeit in Deutschland von weniger als 25 Prozent und das schweizerische Recht wäre anwendbar. Kommt es dagegen nur auf die Arbeitstage in Deutschland und der Schweiz an, beträgt der Anteil der Tätigkeit in Deutschland 50 Prozent. In diesem Fall wäre das deutsche Sozialversicherungsrecht anzuwenden.
Vorlage an den EuGH
Das Landessozialgericht (LSG) Saarland war mit diesem Fall befasst und hat mit Beschluss vom 15.11.2023 (L 2 KR 14/23) ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gerichtet (C‑743/23). Der EuGH wird voraussichtlich in den nächsten Monaten entscheiden, ob bei der Prüfung, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird, alle Tätigkeiten des Arbeitnehmers einschließlich seiner Tätigkeit in Drittstaaten zu berücksichtigen sind oder nur die in Mitgliedstaaten.
Was schlägt der Generalanwalt vor?
Der Generalanwalt hat am 05.06.2025 seine Schlussanträge vorgelegt. Er empfiehlt, die gesamte Tätigkeit eines Arbeitnehmers zu berücksichtigen – auch wenn sie teilweise außerhalb der EU ausgeübt wird. In der Regel folgt das Gericht der Empfehlung des Generalanwalts.
Uneinigkeit innerhalb Europas
Die Entscheidung des EuGH ist dringend nötig, denn die Handhabung innerhalb der EU ist bisher nicht einheitlich. Ein Blick in die derzeitige Praxis verschiedener Länder (Stand Juni 2025) zeigt Folgendes: