30

Scheinselbständigkeit und Erstattungsansprüche des Auftraggebers: BAG-Urteil beleuchtet die Voraussetzungen

Wenn die Deutsche Rentenversicherung vermeintlich Selbständige als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte einstuft, kann das bekanntlich für den Auftraggeber teuer werden. In einem am 04.12.2024 vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschiedenen Fall (5 AZR 272/23) wollte das Unternehmen die Differenz zwischen dem gezahlten Honorar und der bei einer abhängigen Beschäftigung üblichen Vergütung sowie die Umsatzsteuer zurückfordern. Die Urteilsbegründung zeigt, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und wie aufwendig es sein kann, die erforderlichen Nachweise zu erbringen.

Rentenversicherung stellt Scheinselbständigkeit fest

Die Beklagte war von 2015 bis 2018 für die Klägerin als Schreibkraft tätig und berechnete für ihre Leistungen 18,50 Euro pro Stunde zuzüglich Umsatzsteuer. Im Rahmen einer Prüfung kam die Deutsche Rentenversicherung zu dem Ergebnis, dass ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorlag, und forderte die Nachzahlung von rund 33.600 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen. Die hiergegen erhobene Klage ist noch nicht rechtskräftig entschieden. 2019 lehnte die Beklagte eine weitere Zusammenarbeit ab, weil sie nicht „auf Lohnsteuerkarte“ arbeiten wollte.

Auftrag-/Arbeitgeberin verlangt Erstattung

Bei einer abhängigen Beschäftigung lag laut Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit die übliche Stundenvergütung für die ausgeübte Tätigkeit bei 14,80 Euro. Die Klägerin verlangte von der Beklagten vor diesem Hintergrund die Rückzahlung des aus ihrer Sicht zu viel gezahlten Honorars und die Erstattung der in den Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuer zuzüglich Zinsen. Die Klägerin scheiterte mit ihrem Ansinnen vor dem Arbeits- und dem Landesarbeitsgericht (LAG) München.

BAG: LAG muss den Fall neu prüfen

Das BAG hat das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Das LAG wird nun zu prüfen haben, ob das Vertragsverhältnis der Parteien als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist. Falls ja, muss es feststellen, ob die Beklagte für ihre Tätigkeit im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung eine geringere als die bisher gezahlte Vergütung erhalten hätte. Zu klären ist laut BAG insbesondere auch, ob die Beklagte ein schützenswertes Vertrauen darin gehabt hatte, dass sie die gezahlte Vergütung behalten durfte. Dabei kommt es insbesondere darauf an, welche Umstände dazu beigetragen haben, dass die Beklagte als freie Mitarbeiterin beschäftigt wurde.

Liegt auch arbeitsrechtlich ein Beschäftigungsverhältnis vor?

Die Kriterien für die sozialversicherungsrechtliche Einstufung stimmen weitgehend mit denen für die arbeitsrechtliche Beurteilung überein, sind jedoch nicht deckungsgleich. Zudem hat die Beklagte während des bisherigen Verfahrensverlaufs darauf beharrt, dass sie ein selbständiges Schreibbüro betrieben habe. 

Daher sieht es das BAG als klärungsbedürftig an, ob das Vertragsverhältnis auch arbeitsrechtlich als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist.

Höhe des Unterschieds zwischen Honorar und Arbeitsentgelt

Falls darüber hinaus die Vergütung von der Art des Rechtsverhältnisses abhängig sein sollte, was die Klägerin stillschweigend vorausgesetzt hat, das BAG jedoch nicht als selbstverständlich betrachtet, hat das LAG zu prüfen, welche Höhe die Parteien in diesem Fall vereinbart hätten. Das BAG erinnert daran, dass die Klägerin sich dann allerdings die darauf anfallenden Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung anrechnen lassen muss.

Vertrauensschutz – Prüfung der Rechtsmissbräuchlichkeit

Schließlich hat das LAG ggf. noch zu klären, ob die Forderung nach Rückzahlung des Differenzbetrags als rechtsmissbräuchlich einzustufen ist. Hierzu muss es die Einzelheiten des (mündlichen) Vertragsschlusses und die Entwicklung des Vertragsverhältnisses (übernommene Aufgaben …) untersuchen. Dies gilt insbesondere für die Frage, von welcher Partei die Initiative ausging, eine selbständige statt einer abhängigen Beschäftigung zu vereinbaren.

Umsatzsteuer

Der Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer hängt ganz wesentlich davon ab, ob die Beklagte im Streitzeitraum als selbständige Unternehmerin oder als abhängig beschäftigte Arbeitnehmerin tätig war.

Fazit

Dieser Fall zeigt anschaulich, dass im Fall einer Scheinselbständigkeit der Auftrag-/​Arbeitgeber einen Anspruch darauf haben kann, dass ihm die scheinselbständige Person einen Teil der Vergütung erstattet. Er macht aber auch deutlich, dass die Hürden für die Geltendmachung dieses Anspruchs hoch sein können – insbesondere, wenn keine ausreichende Dokumentation zur Verfügung steht, die diesen Anspruch untermauert. Darüber hinaus droht zusätzlicher Aufwand durch die unterschiedliche Abgrenzung zwischen abhängiger und selbständiger Beschäftigung im Arbeits- und im Sozialversicherungsrecht.

Handlungsempfehlung

Wie schon bisher sollten Unternehmen bei der Beauftragung von Freelancern umsichtig vorgehen und eine mögliche Sozialversicherungspflicht abklären (lassen). Ob eine echte selbständige Tätigkeit oder eine Scheinselbständigkeit vorliegt, wird anhand einer Reihe von Kriterien beurteilt. Entscheidend ist weniger die vertragliche Gestaltung als vielmehr die tatsächliche Durchführung.

Außerdem empfiehlt es sich, die relevanten Umstände zu dokumentieren, um einen eventuellen Erstattungsanspruch prüfen und nachweisen zu können, falls sich Freelancer als scheinselbständig entpuppen sollten. Von mündlichen Verträgen ist schon aus diesem Grund generell abzuraten.

Autorinnen: Ursula Beste, Nancy Adam, Joana Krapikaite