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Schweden tut es, die Niederlande tun es, auch Spanien ist seit Langem dafür bekannt … die international meist als „Expat-Regimes“ bekannten Regelungen zur steuerlichen Begünstigung zur Gewinnung ausländischer Fachkräfte sind ein gern genutztes Mittel, um dem demografischen Wandel zu begegnen und sich dringend benötigte Kernkompetenzen ins Land zu holen. Diesen Weg will nun auch Deutschland beschreiten, wie Finanzminister Christian Lindner Ende Juli noch einmal bekräftigte. Doch dieses Instrument ist nicht nur politisch äußerst umstritten.

Das vorgeschlagene Modell

Angedacht ist, dass Arbeitgeber ihren neu zugewanderten Fachkräften im ersten Jahr nach dem Umzug nach Deutschland 30, im zweiten Jahr 20 und im dritten Jahr 10 Prozent ihres Bruttoarbeitslohns in Deutschland steuerfrei auszahlen können. Um „genau die richtigen“ Fachleute anzulocken, soll zudem eine Gehaltsspanne definiert werden, in der die Begünstigung zur Anwendung kommt. Die folgenden Beispiele zeigen die möglichen steuerlichen Fallstricke einer solchen Regelung auf:

Analyse der Wirkung des Modells anhand verschiedener Beispiele

Exemplarisch soll ein IT-Experte betrachtet werden, der aus beruflichen Gründen nach Deutschland zieht, ohne seinen Wohnsitz im Heimatland aufzugeben. Er wird mit Zuzug unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Das heißt, Deutschland besteuert sein gesamtes Welteinkommen. Zur Verdeutlichung soll hier in sämtlichen Beispielsfällen angenommen werden, dass das Heimatland aufgrund der Beibehaltung des Wohnsitzes ebenfalls die weltweiten Einkünfte der Besteuerung unterwirft (bei manchen Staaten genügt übrigens bereits die Staatsbürgerschaft des Experten). Es handelt sich mithin um einen klassischen Fall der Doppelbesteuerung, da beide Staaten auf das gleiche Steuersubstrat – hier eben auch den künftigen Arbeitslohn vom deutschen Arbeitgeber – zugreifen. Je nach Fallkonstellation kann diese doppelte Besteuerung jedoch (teilweise) beseitigt werden.

Gibt der Experte seinen Wohnsitz im Heimatland auf, wird in der Regel das Heimatland die Einkünfte, die in Deutschland erzielt werden, nicht besteuern und insoweit findet keine doppelte Besteuerung statt.

Fall 1: IT-Expertin aus einem Nicht-DBA-Land

Sachverhalt

Deutschland und das Heimatland (beispielsweise Brasilien) haben kein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abgeschlossen.

  • Gehalt im Jahr 1 des Zuzugs: 100.000 Euro steuerpflichtiges Bruttoeinkommen (30 Prozent Kürzung im Zuzugsjahr) und
  • Steuersatz in Deutschland ohne Expertensteuer (Durchschnittssteuersatz): 31,4 Prozent
  • Steuersatz in Deutschland mit Expertensteuer: 70.000 Euro; 26 Prozent
  • Steuersatz im Heimatland: a) 45 Prozent bzw. b) 10 Prozent
Lösung

Da kein einschlägiges Doppelbesteuerungsabkommen besteht, kann eine doppelte Belastung nur durch unilaterale Maßnahmen im Sinne des § 34c EStG (Anrechnung oder Abzug der ausländischen Steuern) vermieden werden. Die Begünstigung verpufft damit bei diesem Sachverhalt nahezu vollständig:

Steuerliche Belastung bei Anrechnung der ausländischen Steuer

a)    Die Steuer im Heimatland beträgt 45.000 Euro, die deutsche Steuer im gleichen Zeitraum 18.200 Euro (26 Prozent von 70.000 Euro). Eine Anrechnung der ausländischen Steuer nach § 34c EStG ist nur bis zur Höhe der deutschen Einkommensteuer möglich, also 18.200 Euro. Die Steuerbelastung beträgt also effektiv 45.000 Euro, der gewünschte Anreiz läuft vollständig ins Leere.

b)    Die Steuer im Heimatland beträgt 10.000 Euro, die deutsche Steuer im gleichen Zeitraum 18.200 Euro (26 Prozent von 70.000 Euro). Anrechenbar sind demnach 10.000 Euro und die Expertin würde trotz Niedrigbesteuerung im Heimatland auf das deutsche Steuerniveau – unter Anwendung der Expertensteuer 18.200 Euro – hochgeschleust. Ein echter Anreiz bei Zuzug aus einem Niedrigsteuerland ist daher im Vergleich zu deutschen Mitarbeitenden zwar gegeben, nicht aber im Vergleich zum Herkunftsland. Relevant für die Entscheidung, das Heimatland zu verlassen, wird aber für die Fachkraft in der Regel weniger der Vergleich zu einem deutschen Kollegen, sondern zum „gewohnten“ Heimatsteuersatz sein.

Steuerbelastung bei Abzug der ausländischen Steuer

Auf Antrag kann statt der Anrechnung ein Abzug der ausländischen Steuer von der inländischen Bemessungsgrundlage (BMG) gewährt werden.

a)    Der Abzug der Heimatlandsteuer in Höhe von 45.000 Euro von der inländischen BMG führt zu einem zu versteuernden Arbeitslohn von 25.000 Euro zu einem Durchschnittssteuersatz von 12,2 Prozent, im Ergebnis also zu einer Steuer von 3.050 Euro in Deutschland plus den 45.000 Euro im Herkunftsstaat und demnach zu einer effektiven Steuerbelastung von 48.050 Euro. Das Beispiel zeigt, dass eine Anreizwirkung auch in diesem Fall nicht gegeben wäre.

b)    Der Abzug der Heimatlandsteuer in Höhe von 10.000 Euro von der inländischen BMG führt zu einem zu versteuernden Arbeitslohn von 60.000 Euro zu einem Durchschnittssteuersatz von etwa 24,5 Prozent, im Ergebnis also zu einer Steuer von 14.700 Euro in Deutschland plus den 10.000 Euro im Herkunftsstaat und demnach zu einer effektiven Steuerbelastung von 24.700 Euro. Auch in diesem Fall besteht der Vorteil nur im Vergleich zu deutschen Kollegen, nicht aber zum „gewohnten“ Heimatsteuersystem als Anreiz zum Wegzug.

Ergebnis

Im Falle des Expertenzuzugs aus Nicht-DBA-Ländern ist eine echte Anreizwirkung nicht zu erwarten, wenn der Experte bzw. die Expertin im Heimatland etwa aufgrund Beibehaltung des Wohnsitzes weiterhin als nach nationalem Recht steuerlich ansässig behandelt wird. Die Steuerlast erhöht sich zudem in den Folgejahren, in denen der steuerfreie Teil des Bruttoarbeitslohns sinkt (im Jahr 2 20 Prozent und im Jahr 3 nur noch 10 Prozent).

Fall 2: IT-Experte aus einem DBA-Land mit Anrechnungsmethode

Auch im Falle des Expertenzuzugs aus Ländern, mit denen Deutschland grundsätzlich ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung geschlossen hat, ist der Anreizeffekt zweifelhaft. Sieht ein entsprechendes Abkommen zur Vermeidung der Doppelbelastung der Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit die Anwendung der Anrechnungsmethode vor, sind die bereits unter Fall 1 dargestellten Effekte auch in diesem Fall einschlägig (vorausgesetzt das Gehalt ist auch im Heimatland steuerpflichtig und Deutschland ist als Ansässigkeitsstaat im Sinne des Abkommens anzusehen).

Ein echter „Pull-Faktor“ ist aus den dargelegten Gründen auch in diesem Fall nicht gegeben.

Fall 3: IT-Expertin aus einem DBA-Land mit Freistellungsmethode

In der überwiegenden Anzahl der von Deutschland geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen vermeidet Deutschland als Ansässigkeitsstaat die Doppelbelastung für Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, indem die Einkünfte von der Besteuerung freigestellt werden. Dies erfolgt jedoch unter Progressionsvorbehalt. Es werden also die weltweiten Einkünfte zur Berechnung des Steuersatzes herangezogen, auch wenn die Bemessungsgrundlage (hier Arbeitslohn) nach den geplanten Expertenregelungen berechnet wird.

Sachverhalt

Hier soll davon ausgegangen werden, dass die Expertin mit Zuzug auch abkommensrechtlich in Deutschland (nach Art. 4 OECD-MA) ansässig wird und der gesamte Arbeitslohn ab Zuzug in Deutschland zu besteuern ist. Das weltweite Gesamteinkommen (inklusive ausländischer Einkünfte wie z. B. nachlaufenden Arbeitslohns vom vorherigen Arbeitgeber, Einkünfte aus Vermietung etc.) soll 30.000 Euro betragen.

  • Gehalt in Jahr 1 des Zuzugs: 100.000 Euro (Arbeitslohn in Deutschland)
  • Steuersatz für 100.000 Euro (Durchschnittssteuersatz, vereinfacht): 31,4 Prozent
  • Bruttoeinkommen (30 Prozent Kürzung im Zuzugsjahr) und Steuersatz mit Expertensteuer: 70.000 Euro; 26 Prozent
Lösung

Vergleich effektive Steuerbelastung mit und ohne Expertensteuer:

a)    Ohne Expertensteuer: BMG 100.000 Euro × 45 Prozent (Steuersatz bei Anwendung des Progressionsvorbehalts, also bei einem zu versteuernden Betrag von 130.000 Euro, vereinfacht) = 45.000 Euro zu zahlende Steuer in Deutschland

b)    Mit Expertensteuer: BMG 70.000 Euro (im Erstjahr) × 31,4 Prozent (Steuersatz bei Anwendung der Steuerbefreiung für Experten und des Progressionsvorbehalts), also bei einem zu versteuernden Betrag von 100.000 Euro) = 31.400 Euro zu zahlende Steuer in Deutschland

Ergebnis

In beiden Fällen zeigt sich, dass eine reine Kürzung des Bruttoarbeitslohns nur zu einer geringen Begünstigung führt. Auch hier reduziert sich der steuerliche Vorteil noch einmal bei vorliegenden anderen Einkünften und mit sinkender Steuerbefreiung (Jahr 2 in Höhe von 20 Prozent und Jahr 3 nur noch 10 Prozent).

Das geplante Regime im internationalen Kontext

Die vorgeschlagene Vergünstigung für Experten ähnelt stark der niederländischen 30-Prozent-Regelung. In Outbound-Fällen hat die deutsche Finanzverwaltung bereits mit BMF-Schreiben vom 12.12.2023 eine Gewährung steuerlicher Vorteile im Gastland in Konstellationen, in denen Deutschland der Ansässigkeitsstaat bleibt, ausgeschlossen. Durch einen Rückfall des unbesteuerten Teils der Bemessungsgrundlage an den Ansässigkeitsstaat werden die Vorteile des niederländischen Expat-Regimes völlig negiert. Sollten andere Staaten künftig ähnliche Wege beschreiten, kann die geplante Vergünstigung die gewünschte Anreizwirkung wohl kaum erreichen.

Darüber hinaus gilt Deutschland im internationalen Vergleich immer noch als Hochsteuerland (vgl. Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich 2023, Ausgabe 2024 [bundesfinanzministerium.de]).

Fazit

Es ist insgesamt fraglich, ob eine Verringerung der Bemessungsgrundlage in der geplanten Ausgestaltung zum ersehnten Fachkräftezuzug beitragen kann. Vielmehr ist hier wiederum die globale Bekanntheit Deutschlands als Hochsteuerland, speziell im Vergleich zu den meisten Heimatländern, zu betonen. Ob eine zeitlich begrenzte Kürzung der Bemessungsgrundlage in den ersten Jahren bei gleich bleibenden Steuersätzen die gewünschte „Pull“-Wirkung erzielen kann, ist zweifelhaft.

Neben der politischen Brisanz einer Begünstigung ausländischer Fachkräfte ist wohl eher ein erneutes Bürokratiemonster für die künftigen Arbeitgeber und die ausländischen Expertinnen und Experten zu befürchten. Denn jede neue Regelung muss erst einmal umgesetzt, Höchst- und Mindestgrenzen mühsam berechnet, Veranlagungen durchgeführt und Dokumentationspflichten erfüllt werden.

Aufwand und erwarteter Nutzen sind daher kritisch abzuwägen und andere Instrumente ggf. eher in Betracht zu ziehen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Nach unserer Auffassung sollte der Gesetzgeber vielmehr über eine Reduktion des Steuersatzes insgesamt nachdenken. Dies trüge zum einen der Steuergerechtigkeit Rechnung und hätte zum anderen Inflationsanpassungen, die in den vergangenen Jahren unterlassen wurden, sowie eine allgemeine Verbesserung der Standortbedingungen Deutschlands insgesamt zur Folge. Zudem sollte eine Verminderung der Steuerlast positive Wirkung auf die Kaufkraft der Gesamtbevölkerung entfalten und der allgemein aufgeheizten politischen Stimmung in diesem Zusammenhang zumindest in Teilen den Nährboden entziehen.

Autoren: Heidi Schindler, Markus Harz