Multi-State Workers und Sozialversicherung
Welcher Staat ist zuständig?
Nach Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterliegt eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt, den Rechtsvorschriften des Wohnsitzmitgliedstaates, wenn sie
- dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt oder
- bei mehreren Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten (außerhalb des Wohnsitzstaates des Mitarbeiters) haben.
Sofern sie keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeiten im Wohnsitzmitgliedstaat ausübt, gelten für sie die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz oder Wohnsitz hat.
EU-Verordnung gilt auch für die Schweiz
Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz regelt, dass die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auch für die Schweiz gilt und diese insoweit wie ein Mitgliedstaat zu behandeln ist.
Was ist ein „wesentlicher Teil“ der Tätigkeit?
Die Antwort auf diese Frage findet sich in Art. 14 VO (EG) Nr. 987/2009. Danach ist im Fall einer Beschäftigung die Arbeitszeit und/oder das Arbeitsentgelt maßgeblich. Als wesentlich gilt ein Anteil von mindestens 25 Prozent der betreffenden Tätigkeit.
Noch nicht geklärt ist allerdings bislang, ob bei dieser Betrachtung nur die Tätigkeit in Mitgliedstaaten zählt oder auch der auf Drittstaaten entfallende Teil zu berücksichtigen ist.
Streitfall: Wohnsitz in Deutschland und Arbeitgeber in der Schweiz
Der Kläger wohnt in Deutschland und war vom 01.12.2015 bis zum 31.12.2020 bei einem Unternehmen mit Sitz in der Schweiz als Exporttechniker beschäftigt. Er arbeitete an 10,5 Tagen im Quartal in der Schweiz und an 10,5 Tagen im Quartal im Homeoffice in Deutschland. An den übrigen Tagen besuchte er Kunden in Drittstaaten (Russland, Moldawien, Weißrussland, Ukraine …), um sie zu beraten bzw. um Schulungen, Seminare und Verkostungen vorzunehmen.
Gilt deutsches oder Schweizer Sozialversicherungsrecht?
Der Kläger schloss zum 01.12.2015 eine Krankenversicherung in der Schweiz ab. Der Sozialversicherungsträger stellte mit Bescheid vom 18.08.2016 allerdings fest, dass vom 01.12.2015 bis zum 30.11.2020 die deutschen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit Anwendung fänden. Der Kläger erhob nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage vor dem Sozialgericht, das den deutschen Sozialversicherungsträger am 04.08.2022 dazu verurteilte, die Anwendbarkeit der Rechtsvorschriften der Schweiz festzustellen.
LSG Saarland
Im Streitfall erhielt der Kläger eine einheitliche Vergütung für seine Tätigkeit. Eine Aufteilung auf die verschiedenen Tätigkeitsorte war nicht vorgesehen. Deshalb stellt das LSG auf die Arbeitszeit ab. Wenn auch die Tätigkeit in Drittstaaten berücksichtigt wird, ergibt sich ein Anteil der Tätigkeit in Deutschland von weniger als 25 Prozent und das schweizerische Recht wäre anwendbar. Kommt es dagegen nur auf die Arbeitstage in Deutschland und der Schweiz an, beträgt der Anteil der Tätigkeit in Deutschland 50 Prozent. In diesem Fall wäre das deutsche Sozialversicherungsrecht anzuwenden.
Da dem LSG in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH keine eindeutige Stellungnahme zur Frage der Einbeziehung der Tätigkeit in Drittstaaten ersichtlich war, legte es dem EuGH die folgenden Fragen vor:
1. Ist Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009 so auszulegen, dass bei der Prüfung, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird, alle Tätigkeiten des Arbeitnehmers einschließlich seiner Tätigkeit in Drittstaaten zu berücksichtigen sind?
2. Oder ist Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009 so auszulegen, dass bei der Prüfung, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird, nur die Tätigkeiten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind, die in Mitgliedstaaten ausgeübt werden?