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„Verantwortung für Deutschland“: arbeitsrechtliche Reformen im Koalitionsvertrag 2025

Am 09.04.2025 haben sich Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, der unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ steht. Auf insgesamt 146 Seiten sind die Regierungsvorhaben für die kommende Legislaturperiode zusammengefasst. Auch und insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts hat vieles Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden, was bereits im Sondierungspapier und in den Ergebnissen der Arbeitsgruppe „Arbeit und Soziales“ enthalten war. Nachfolgend eine Zusammenfassung:

AGG-Reform 

Nach Auffassung der Koalitionsparteien sind Benachteiligungen und Diskriminierungen Gift für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Daher soll der Diskriminierungsschutz gestärkt und verbessert werden.

Digitalisierung 

Die Koalitionspartner möchten auch in der Arbeitswelt die Digitalisierung vorantreiben. Online-Betriebsratssitzungen und ­Betriebsversammlungen sollen als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten ermöglicht werden. Zudem soll die Option, digitale Betriebsratswahlen durchzuführen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden. Das Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe soll zukünftig um einen digitalen Zugang ergänzt werden, der ihren analogen Rechten entspricht.  

Dies alles ist nicht völlig neu: Nach § 129 BetrVG waren digitale Betriebsversammlungen bereits während der Corona-Pandemie zulässig. Ein digitales Zugangsrecht von Gewerkschaften in die Betriebe war bereits im Referentenentwurf der Ampel für ein Bundestariftreuegesetz enthalten, was jedoch scheiterte. Auch Online-Wahlen zum Betriebsrat waren schon unter der Ampel-Regierung geplant, wurden aber letztlich nicht umgesetzt. 

Mindestlohn

Die Koalitionsparteien „stehen zum gesetzlichen Mindestlohn“. Dieser soll erwartungsgemäß auch weiterhin von einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission festgelegt werden und sich für die weitere Entwicklung des Mindestlohns im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“ 

Obwohl die Koalitionspartner hinsichtlich der Entwicklung und Festlegung des Mindestlohns ausdrücklich auf die Mindestlohnkommission verweisen, sieht der Koalitionsvertrag dennoch eine konkrete Empfehlung zur Erhöhung des Mindestlohns vor. Allerdings relativierte der voraussichtlich zukünftige Bundeskanzler Friedrich Merz die Aussage zur Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro im Jahr 2026 in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ vom 13.04.2025: „Das haben wir so nicht vereinbart. Wir haben verabredet, dass wir davon ausgehen, dass die Mindestlohnkommission in diese Richtung denkt. Es wird keinen gesetzlichen Automatismus geben.“  

Eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro im Jahr 2026 wird insbesondere für Unternehmen im Niedriglohnbereich eine Herausforderung werden und könnte damit dem erklärten Ziel des Wirtschaftswachstums entgegenstehen. 

Neugestaltung der wöchentlichen Arbeitszeit

Die Koalitionsparteien sind bestrebt, flexiblere Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. So soll im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit geschaffen werden – „auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Arbeitgeber und Arbeitnehmende wären dadurch freier in der Aufteilung der wöchentlichen Arbeitszeit. Das Vorhaben soll in Absprache mit Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgestaltet werden. 

Die hohen Standards im Arbeitsschutz sind allerdings weiterhin zu wahren und (tägliche) Ruhezeiten nach wie vor zu beachten.

Die elektronische Erfassung von Arbeitszeiten soll unbürokratisch erfolgen und dabei für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregeln vorsehen. Die Vertrauensarbeitszeit soll auch ohne Zeiterfassung im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich sein. Es bleibt insoweit abzuwarten, ob und in welcher Weise das in der Praxis häufig genutzte Modell der klassischen Vertrauensarbeitszeit EU-rechtskonform ohne eine Erfassung der Arbeitszeit umgesetzt werden kann. 

Steuerliche Anreize für mehr Arbeit

Die Koalitionspartner schaffen im Koalitionsvertrag steuerliche Anreize für mehr Arbeit. Zum einen sollen Zuschläge für Mehrarbeit steuerfrei sein, wenn sie über die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinausgehen. „Vollzeit“ ist aber nicht gleich „Vollzeit“: Der Maßstab für Vollzeitarbeit bei tariflich festgelegter Wochenarbeitszeit liegt bei mindestens 34 Stunden und bei nicht tariflich festgelegten oder vereinbarten Arbeitszeiten bei 40 Stunden. Letzteres soll offenbar auch dann gelten, wenn insbesondere arbeitsvertraglich eine geringere Wochenstundenzahl als Vollzeit festgelegt wurde: Gilt beispielsweise in einem Betrieb eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden, müssten die Zuschläge für die ersten beiden Überstunden folglich noch versteuert werden, ab der dritten Überstunde dann nicht mehr. Bei einer tariflich festgelegten Wochenarbeitszeit von 38 Stunden würden dagegen bereits ab der ersten Überstunde keine Steuern auf Mehrarbeitszuschläge anfallen. 

Teilzeitbeschäftigte werden von dieser steuerlichen Begünstigung nicht erfasst. Dies stellt nach herrschender EuGH- und BAG-Rechtsprechung eine Ungleichbehandlung und damit eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten dar. Ob eine solche in dieser Form gerechtfertigt ist, wird im Zweifel gerichtlich geklärt werden müssen. 

Tarifbindung

Die Koalitionsparteien streben eine höhere Tarifbindung an: „Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben.“ Deswegen wird die Gesetzesinitiative zum Bundestariftreuegesetz wieder aufgegriffen. Nach dem Gesetzentwurf dürfen öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die tarifvertragliche Arbeitsbedingungen einhalten und ihren Beschäftigten Löhne in Höhe des üblichen Branchentarifs bezahlen. Laut Koalitionsvertrag soll das Bundestariftreuegesetz für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 Euro und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro gelten. 

Umsetzung der EU-Transparenzrichtlinie in nationales Recht

Bereits unter der Ampel-Regierung wurde der Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie mit Spannung erwartet. Ziel der Richtlinie ist die Bekämpfung der Lohndiskriminierung und geschlechtsspezifischer Lohnunterschiede. Auch die Koalitionsparteien setzen sich für „gleichen Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer bis 2030“ ein. Eine entsprechende Kommission soll bis Ende 2025 Vorschläge zur Umsetzung machen. Da die Richtlinie bis Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt werden muss, ist dies auch dringend erforderlich. Unternehmen bleibt dann nur noch wenig Zeit zur Vorbereitung. Sie sollten sich bereits jetzt mit den wesentlichen Aspekten der Richtlinie auseinandersetzen.  

Bürokratieabbau

Die Koalitionspartner haben sich zudem auf verschiedene Maßnahmen zur Entbürokratisierung verständigt. So sollen zum Beispiel Schriftformerfordernisse, insbesondere im Arbeitsrecht, abgebaut werden, etwa bei Befristungen von Arbeitsverträgen. Weiterhin der Schriftform unterliegen jedoch Kündigungen und Aufhebungsverträge.

Zudem soll im Rahmen eines nationalen „Sofortprogramms für den Bürokratierückbau“ bis Ende des Jahres 2025 insbesondere mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen die Verpflichtung zur Bestellung von Betriebsbeauftragten abgeschafft und der Schulungs-, Weiterbildungs- und Dokumentationsaufwand signifikant reduziert werden. 

An der bürokratieabbauenden Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung soll festgehalten werden. Sie soll aber so verändert werden, dass Missbrauch zukünftig ausgeschlossen ist. So soll zum Beispiel eine Online-Krankschreibung über private Online-Plattformen ausgeschlossen werden. 

Arbeitsschutz und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Die Koalitionsparteien wollen die Prävention von psychischen Erkrankungen stärken und streben auch eine Verbesserung des europäischen Arbeitsschutzstandards an, insbesondere für stark belastete Berufsgruppen wie Berufskraftfahrer. Auch die Arbeitsbedingungen in der Kurier-, Express- und Paketdienstbranche sollen verbessert werden. 

Menschen mit Behinderung sollen ihr Recht auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt verwirklichen können. In diesem Zusammenhang soll die Aufnahme einer Arbeit für Menschen mit Behinderung verstärkt gefördert werden. Die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) sollen mit Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation und der Vermittlungstätigkeit der Bundesagentur für Arbeit vernetzt und die Schwerbehindertenvertretungen gestärkt werden.

Fazit

Beide Koalitionsparteien konnten im Rahmen der Verhandlungen Erfolge für sich verbuchen und jeweils wichtige Themen im Koalitionsvertrag festschreiben. Aus Arbeitgebersicht hervorzuheben ist, dass jedenfalls die Arbeitszeiterfassung nun angegangen werden soll und Ausnahmen für die Vertrauensarbeitszeit geplant sind. Einige andere Vorstöße, die im Sondierungspapier noch enthalten waren, wie die Einführung eines arbeitsrechtlichen Verbandsklagerechts der Gewerkschaften oder die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen haben im Koalitionsvertrag hingegen keine Berücksichtigung mehr gefunden. Es bleibt abzuwarten, wie die geplanten Vorhaben nun tatsächlich realisiert werden.

Autoren: Dr. Yavuz Topoglu, Martina Buhr 

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