EuGH-Urteil zur umsatzsteuerlichen Behandlung von enteigneten landwirtschaftlichen Flächen gegen Entschädigung

Auslegung von Art. 9 Abs. 1, 14 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL

Mit Urteil vom 11. Juli 2024 (Rechtssache C-182/23) legt der EuGH dar, dass die Übertragung des Eigentums an einer landwirtschaftlichen Fläche gegen Zahlung einer Entschädigung aufgrund einer behördlichen Entscheidung im Rahmen einer Enteignung der Umsatzsteuer unterliegt. Er nimmt Stellung zur Auslegung von Art. 9 Abs. 1 und 14 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL.

Hintergrund und Vorlagefrage

Ein polnischer Landwirt betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb und ist als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert. Schon vor Jahren hat er Grundstücke gekauft, die er sodann landwirtschaftlich genutzt hat. Auf deren Erwerb wurde keine Mehrwertsteuer erhoben und er war auch nicht Gegenstand eines Vorsteuerabzugs. Das Eigentum an einem Teil dieser Grundstücke, auf denen sich der Betrieb des Landwirtes befand, wurden in der Folge aufgrund einer behördlichen Entscheidung enteignet, um dort Straßenbauinvestitionen durchführen zu können. Im Gegenzug erhielt der Landwirt eine Entschädigung. Daraufhin beantragte der Landwirt einen Steuervorbescheid, um prüfen zu lassen, ob er aufgrund der Veräußerung der Flächen als mehrwertsteuerpflichtig anzusehen war und ob er von dem erhaltenen Betrag Umsatzsteuer abführen muss.

Aus dem Steuervorbescheid ging hervor, dass es sich bei der Enteignung der Grundstücke um eine steuerbare Lieferung (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL) gegen Entgelt handelt. Diesen Bescheid focht der Landwirt an. Daraufhin wurde der Steuervorbescheid mit Urteil von Oktober 2018 aufgehoben. Das Gericht argumentierte, der Landwirt habe selbst nichts unternommen, um die Grundstücke zu verkaufen und er habe auch nicht freiwillig gehandelt.  Daher habe die Enteignung in keinem Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Tätigkeit gestanden. Folglich läge die Voraussetzung des Handelns im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit (Art. 15 Abs. 2 MwStSystRL) – d.h. als Mehrwertsteuerpflichtiger - nicht vor.

Gegen dieses Urteil wiederum legte die Steuerbehörde beim Obersten Verwaltungsgericht Warschau Kassationsbeschwerde ein. Sie macht geltend, die Enteignung habe sehr wohl im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeiten des Landwirtes stattgefunden, die in der Nutzung dieser Grundstücke im Rahmen seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit bestehe. Der Erwerb sei daher als Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt anzusehen, die der Mehrwertsteuer unterliegen müsse.  

So stellt sich nun die vom Obersten Verwaltungsgericht an den EUGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV vorgelegte Frage, ob die Enteignung als Lieferung von Gegenständen durch einen Steuerpflichtigen, der eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, anzusehen sei, weil dieser die Immobilie im Rahmen seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit genutzt habe. In diesem Fall unterläge der Entschädigungsbetrag der Mehrwertsteuer.

EuGH bestätigt Mehrwertsteuerpflicht

Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, ist der Betroffene aufgrund seiner wirtschaftlichen Tätigkeit als Landwirt mehrwertsteuerpflichtig. Damit dessen erhaltener Entschädigungsbetrag als mehrwertsteuerbar angesehen werden kann, müssen die Voraussetzungen für eine steuerbare Lieferung nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL erfüllt sein.

Dazu muss es sich vorliegend zunächst um eine „Lieferung von Gegenständen“ handeln, wozu die drei Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL vorliegen müssen. Es bedarf also erstens einer Übertragung des Eigentums an den Grundstücken. Sodann muss diese aufgrund behördlicher Anordnung oder kraft Gesetzes vorgenommen werden. Schließlich muss eine Entschädigung gezahlt werden.

Vorliegend war eindeutig, dass durch die Enteignung die Eigentümereigenschaft auf den Fiskus übergegangen ist und zum anderen dieser Übergang auf einer Anordnung einer öffentlichen Verwaltungsbehörde beruhte. Die ersten beiden Voraussetzungen waren daher unstreitig erfüllt. Da bzw. sofern der Entschädigungsbetrag für die Enteignung geleistet wurde – wobei die tatsächliche Leistung des Betrages noch endgültig zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist - und damit unmittelbar im Zusammenhang mit der Eigentumsübertragung steht, ist auch die dritte Voraussetzung erfüllt.

Diese Lieferung muss „gegen Entgelt“ getätigt werden (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL), was aufgrund des bloßen Bezugs einer Entschädigung im Sinne von Art. 14 Abs.  2 Buchst. a MwStSystRL durch den Steuerpflichtigen erfüllt ist.

Schließlich muss es sich bei dem Landwirt um einen „Steuerpflichtige[n] als solche[n]“ (Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL) handeln und er muss bei der Übertragung des Eigentums an den in Rede stehenden Grundstücken in dieser Eigenschaft tätig geworden sein.  Dies ist nur der Fall, wenn eine Lieferung im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit stattfindet. Zum Zeitpunkt der Übertragung der landwirtschaftlich genutzten Grundstücke zählten diese zu den Vermögenswerten des Unternehmens des Landwirts. Daraus folgt laut dem Gericht, dass er unter den vorliegenden Umständen als Steuerpflichtiger gehandelt hat – auch wenn er keine Tätigkeit im Immobilienhandel ausübt und nichts zu diesem Zweck aktiv selbst unternommen hat.

Die Eigentumsübertragung gegen Zahlung einer Entschädigung unterliegt damit laut EuGH der Mehrwertsteuer.

Nur sofern das vorlegende Gericht feststellen würde, dass der Landwirt den Umsatz im Rahmen der Verwaltung des nicht landwirtschaftlich genutzten Teils seines Vermögens getätigt hat, wäre davon auszugehen, dass er nicht als Steuerpflichtiger gehandelt hat und dieser Umsatz nicht der Mehrwertsteuer unterliegt.

Fazit

Als Antwort auf die vorgelegte Frage teilt der EUGH mit, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL dahingehend auszulegen ist, dass eine Übertragung des Eigentums an einer landwirtschaftlichen Fläche im Wege der Enteignung gegen Zahlung einer Entschädigung der Mehrwertsteuer unterliegen muss, wenn der Eigentümer mehrwertsteuerpflichtiger Landwirt ist, der als solcher handelt. Dies gilt, selbst wenn er keine Tätigkeit im Immobilienhandel ausübt und oder die Eigentumsübertragung nicht aus freien Stücken unternimmt oder aktiv betreibt.

Autorinnen: StB Gabriele Kirchhof, RA StB Nicole Kuhn