Mehrkostenfinanzierung im ÖPNV – ein Überblick

Die Verkehrsunternehmen sind derzeit in einer besonders schwierigen Lage. Einerseits haben sie noch mit den pandemiebedingt gesunkenen Fahrgastzahlen und den sich hieraus ergebenden Mindereinnahmen zu kämpfen; andererseits sind sie u.a. mit massiven Treibstoffkostensteigerungen konfrontiert. Die vorübergehende Senkung der Energiesteuer wie auch die ÖPNV-Rettungsschirmmittel entlasten zwar auch die Verkehrsunternehmen, sie reicht aber nicht dazu aus, um die Zusatzkosten adäquat abzufedern. Auch zeigen die ersten Reaktionen auf angekündigte Ticketpreisanpassungen im Anschluss an die 9-Euro-Maßnahme sowie die Diskussionen um mögliche Anschlussregelungen, dass die bei den Unternehmen eingetretenen Kostensteigerungen nur in geringem Umfang über Preisanpassungen an die Endkunden weitergegeben werden können.

Entsprechend haben sich die Verkehrsunternehmen gemeinsam mit den verantwortlichen Aufgabenträgern die Frage zu stellen, welche Möglichkeiten in Betracht kommen, um die erheblichen Mehrkosten aus den Treibstoffkostensteigerungen über Ausgleichsleistungen der öffentlichen Hand zu finanzieren und letztlich die Gefahr der Einstellung von Verkehren zu vermeiden. 

Bestehende öffentliche Dienstleistungsaufträge

Soweit bereits öffentliche Dienstleistungsaufträge (öDA) zwischen den Verkehrsunternehmen und den Aufgabenträgern bestehen, wäre zu prüfen, inwieweit diese bereits vertraglich die Anpassung der Ausgleichsleistungen zulassen. Gerade für sog. exogene Ereignisse, die außerhalb der Risikosphäre der Beteiligten liegen, sehen öDA häufiger die Anpassung der Ausgleichsleistungen zur Kompensation der Mehrkosten vor. 
 
Ist dies im öDA nicht berücksichtigt, wäre im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob insoweit eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ nach § 313 BGB angenommen werden kann und die Anpassung der Ausgleichsleistungen auch in den Grenzen des § 132 GWB vergaberechtlich möglich erscheint. Im Zusammenhang mit der Anpassung von öDA, die gezielt als Dienstleistungskonzession ausgestaltet wurden, um z.B. den Weg zu einer ausschreibungsfreien Direktvergabe auch an private Verkehrsunternehmen gangbar zu machen (Art. 5 Abs. 4 VO 1370/2007), ist zudem ein besonderes Augenmerk auf das Thema „wirtschaftliches Gleichgewicht“ und „unternehmerisches Marktrisiko“ zu legen.

Notmaßnahmen

Alternativ könnte ein Ausgleich auf Basis der VO 1370/2007 durch eine neu erteilte sog. Notmaßnahme bzw. einen Not-öDA erfolgen. Auf Basis eines solchen, auf maximal 2-Jahre befristeten, öDA können grds. alle Arten von gemeinwirtschaftlicher Verpflichtung ausgeglichen werden, sodass u.E. ein Ausgleich für die erhöhten Treibstoffkosten unter der Vorhabe „(quantitativ und qualitativ) unveränderte Fortführung des Verkehrs trotz der Energiepreisentwicklung auf Grund des Kriegs in der Ukraine“ unter Beachtung der inhaltlichen Anforderungen der VO 1370/2007 (insb. Vorab-Parameter, Trennungsrechnung, Überkompensation etc.) möglich erscheint. 
 
Im Falle von bisher eigenwirtschaftlich erbrachten Verkehrsleistungen ist zu berücksichtigen, dass der Erteilung eines solchen Not-öDA regelmäßig ein (zeitweiser) Entbindungsantrag bei der zuständigen Genehmigungsbehörde sowie ein Antrag auf Erteilung von einstweiligen Erlaubnissen vorausgehen muss. Schließlich schließt das Bestehen bzw. die Erteilung eines öDA grundsätzlich eine eigenwirtschaftliche Erbringung der Verkehrsleistungen aus (§ 8 Abs. 4 S. 2 PBefG). Auf Grund der aktuellen Sondersituation verzichten einzelne Genehmigungsbehörden auf ein solches Vorgehen. Entsprechend sollte im Vorfeld hinsichtlich der üblichen Vorgehensweise Rücksprache mit der jeweils zuständigen Genehmigungsbehörde gehalten werden. 

Allgemeine Vorschriften

In bestimmten Konstellationen können auch bestehende allgemeine Vorschriften als Finanzierungsgrundlage in Betracht kommen. Hierbei ist allerdings auf folgendes zu achten:  

Während über einen öDA nach der VO 1370/2007 alle Arten von gemeinwirtschaftlicher Verpflichtung ausgeglichen werden dürfen, beschränkt der europäische Gesetzgeber den Anwendungsbereich der allgemeinen Vorschrift auf Tarifvorgaben („Höchsttarife“). Ein „Dieselkosten-Ausgleichtatbestand“ stellt keine Tarifvorgabe dar, für die ein Ausgleich gewährt werden könnte, sodass eine derartige Regelung nach der VO 1370/2007 – sei es als Fortschreibung einer bestehenden oder als Teil einer neuen allgemeinen Vorschrift – nicht ohne Weiteres zulässig wäre. In bestimmten Konstellationen könnte aber mittelbar bei der Berechnung des nach der allgemeinen Vorschrift zulässigen Tarifausgleichs die eingetretenen Treibstoffpreissteigerungen durchaus Berücksichtigung finden, um die gestiegenen Kosten, die eigentlich eine Tarifmaßnahme der Verkehrsunternehmen zu Folge hätten, zu kompensieren. Inwieweit Kostensteigerungen aber letztlich Einfluss auf den Ausgleichsmechanismus einer allgemeinen Vorschrift nehmen können, hängt in erheblichem Umfang von ihrer aktuellen Ausgestaltungsform und auch Zielrichtung ab und wäre jeweils individuell zu prüfen. 

Weitere allgemeine beihilferechtliche Maßnahmen 

Neben den durch die VO 1370/2007 vorgegebenen Finanzierungsinstrumenten existieren noch allgemeine beihilferechtliche Regelungen, die die Gewährung von zusätzlichen Mitteln an die Verkehrsunternehmen erlauben. 
 
Bekannt und bewährt ist die sog. De-minimis-Regelung (VO (EU) Nr. 1407/2013). Hiernach werden Beihilfen, die insgesamt einen Schwellenwert von 200 TEUR in drei Steuerjahren nicht überschreiten, nicht als schädliche staatliche Beihilfen gewertet. Die EU-Kommission geht in diesem Fall davon aus, dass solche minimalen Subventionen keine spürbaren Auswirkungen auf den Handel und den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten haben. 
 
Ein Treibstoffkostenzuschuss wäre im Rahmen dieser Vorgaben mithin grds. denkbar, soweit die Verkehrsunternehmen die Voraussetzungen noch erfüllen können, d.h. sie die beihilferechtlichen De-Minimis-Grenzen noch nicht ausgereizt haben. Allerdings haben nach unserer Erfahrung viele Verkehrsunternehmen vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie, aber teilweise auch auf Grund von Fahrzeug- und diversen Infrastrukturförderungen bzw. einer anzustellenden Konzernbetrachtung, die zulässige De-minimis-Schwelle bereits erreicht, sodass die Einhaltung der Voraussetzungen vorab sehr genau mit dem jeweiligen Verkehrsunternehmen zu prüfen und abzustimmen wäre.  

Co-Autor: RA Erik Pelizäus