BFH-Urteil vom 29.8.2024, V R 14/24 – Organschaft und Entnahmebesteuerung bei hoheitlicher Tätigkeit des Organträgers

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit seiner Entscheidung vom 29.8.2024 die Revision des Beklagten Finanzamtes zurückgewiesen. Das Niedersächsische Finanzgericht hatte zugunsten des Steuerpflichtigen entschieden, dass entgeltliche Leistungen einer Organgesellschaft an den Organträger nicht zu unentgeltlichen Wertabgaben führen, soweit die Leistungen dem nichtwirtschaftlichen Bereich des Organträgers zugutekommen. Die Entscheidung des BFH basiert auf der Vorlageentscheidung des EuGH vom 11.7.2024 – C 184/23. Die Entscheidung eröffnet eine Zeitenwende für die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand. Bei vergleichbaren Sachverhalten wird ermöglicht, dass eine Organgesellschaft nicht steuerbare Umsätze an den nichtwirtschaftlichen Bereich von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbringt. Auf diese Weise können Dienstleistungen an Eigengesellschaften ausgegliedert werden, ohne dass der Leistungsbezug durch den hoheitlichen Bereich der Umsatzbesteuerung unterliegt.

Hintergrund

Den Entscheidungen des BFH und des Niedersächsischen Finanzgerichts lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Stiftung des öffentlichen Rechts ist Trägerin einer Universität, zu der auch ein Universitätsklinikum gehört. Die Stiftung ist zudem Alleingesellschafterin einer GmbH, die gegen Entgelt Reinigungsleistungen sowohl gegenüber dem Klinikbetrieb des Universitätsklinikums als auch gegenüber dem universitären Teil des Klinikums erbringt. In diesem Zusammenhang reinigte die Tochtergesellschaft auch Hörsäle. Zwischen der Stiftung des öffentlichen Rechts und der Tochtergesellschaft wurde wirksam eine umsatzsteuerliche Organschaft begründet. Das Betriebsstättenfinanzamt ging davon aus, dass vom unternehmerischen Bereich Universitätsklinikum im Hinblick auf die für die Hörsäle bezogenen Reinigungsleistungen eine unentgeltliche Wertabgabe erfolgt. Gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer wandte sich die Steuerpflichtige und bekam sowohl vor dem Niedersächsischen Finanzgericht als auch vor dem BFH Recht. Nach zwei Vorlageentscheidungen an den EuGH erkannte der BFH mit seiner Entscheidung vom 29.8.2024 nunmehr, dass es bei entgeltlichen Leistungen der Organgesellschaft an den nichtwirtschaftlichen Bereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zu keinen Umsatzsteuerbelastungen kommt. Es liegen nach Ansicht des BFH nicht steuerbare Innenumsätze vor. Zudem kommt es bei entgeltlichen Leistungen der Organgesellschaft an den Organträger mangels Unentgeltlichkeit auch nicht zu einer unentgeltlichen Wertabgabe vom wirtschaftlichen an den nichtwirtschaftlichen Bereich (keine Entnahmebesteuerung gemäß § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG).

Fazit

Die aktuelle BFH-Rechtsprechung bedeutet einen Paradigmenwechsel bei der Beurteilung von unentgeltlichen Wertabgaben. Der Leistungsbezug von Beteiligungsgesellschaften an den hoheitlichen bzw. nicht wirtschaftlichen Bereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts kann auf Grundlage der Grundsätze der Entscheidung als nicht steuerbar ausgestaltet werden. Der öffentlichen Hand und ihren Beteiligungen stehen damit neue Gestaltungsmöglichkeiten offen. Insbesondere kann die Erbringung von Tätigkeiten auf Eigengesellschaften ausgegliedert werden, ohne dass dies zwingend zu umsatzsteuerbaren Leistungsbeziehungen und Umsatzsteuerbelastungen führt. In diesem Zusammenhang empfehlen wir, das Vorliegen der Voraussetzungen für die umsatzsteuerliche Organschaft einerseits und die Konsequenzen auf den Vorsteuerabzug andererseits im Auge zu behalten.

Autor:innen: RA StB Dr. Erik Ohde, StB Dr. Carolin Rublack