Das Finanzgericht (FG) Hamburg hatte über die Frage zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Stromverbräuche in einer Müllverbrennungsanlage (MVA), die zur Stromerzeugung genutzt wird, nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG steuerfrei gestellt werden können (Urteil vom 3.12.2024, Az. 4 K 90/22).
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt eine Müllverbrennungsanlage, in der mittels einer Dampfturbine Strom erzeugt wird. Das Hauptzollamt lehnte die von der Klägerin beantragte Steuerbefreiung größtenteils ab. Nur die direkte Dampferzeugung und Turbinenaggregate seien begünstigt. Für die restlichen Verbräuche in der Anlage erhob das Hauptzollamt die Stromsteuer, da es sich um „Sowieso-Entnahmen“ handele, die auch ohne Stromerzeugung „sowieso“ im Rahmen der Müllverbrennung angefallen wären.
Mit derselben Fragestellung hatte sich auch das FG Düsseldorf schon zu befassen. Über die beiden Urteile vom 29. Mai 2024 hatten wir bereits in unserem Artikel vom 25. Oktober 2024 berichtet (https://www.ey.com/de_de/technical/newsboard-energiewirtschaft-politik-oeffentlicher-sektor/finanzgericht-duesseldorf-schraenkt-stromsteuerbefreiung-fuer-kwk-anlagen-erheblich-ein).
Zum Umfang der Steuerbefreiung
Das FG stellte nun klar, dass auch Müllverbrennungsanlagen dem Grunde nach Anspruch auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG haben, sofern die Stromverwendung unmittelbar der Stromerzeugung dient. Die Vorschrift sei im Licht von Art. 14 Abs. 1 lit. a der EU-Richtlinie 2003/96/EG auszulegen und betreffe nicht nur klassische Kraftwerke. Als steuerbegünstigt erkannte das Gericht folgende Prozesse an:
- betriebsnotwendige Beleuchtung im Kraftwerk,
- Müllbunker mit Krananlage,
- Luftzufuhraggregate im Brennraum,
- Aggregate zur Verbrennung,
- Rauchgasreinigung,
- Schlackebunker,
- Entaschung, Entschlackung und Abtransport von Rückständen.
Diese Prozesse seien entweder technisch notwendig für den sicheren Betrieb der Dampferzeugung oder rechtlich verpflichtend (z. B. Umweltauflagen), wodurch sie unmittelbar der Stromerzeugung dienen.
Nicht begünstigt wurde dagegen nur der geringfügige Stromverbrauch zur Dampferzeugung während Turbinenstillständen (Reinigungsphasen). Diese Phasen dienten allein der Fortsetzung der Müllverbrennung – und damit nicht der Aufrechterhaltung der Stromerzeugungsfähigkeit im Sinne der Richtlinie.
Keine Kuppelproduktbesteuerung
Das Gericht prüfte auch, ob durch die Schlacke oder entstehende Metalle marktgängige Kuppelprodukte anfielen, die zu einer anteiligen Besteuerung führen müssten. Dies verneinte es: Die enthaltenen Metalle werden nicht von der Klägerin, sondern erst von einem Dritten aufbereitet. Auch Gips und Filterstaub aus der Rauchgasreinigung würden lediglich deponiert – eine wirtschaftliche Verwertung liege nicht vor.
Bewertung und Ausblick
Die Hamburger Richter haben die restriktive Auffassung der Zollverwaltung zur Stromsteuerbefreiung von Müllverbrennungsanlagen klar zurückgewiesen. Eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung nach Haupt- oder Nebenzweck lehnte das FG ausdrücklich ab. Weder nach dem Gesetz noch aus der europäischen Richtlinie sei eine Beschränkung der Steuerbefreiung für nicht klassische Stromerzeugungsanlagen vorgesehen. Vielmehr sei für alle Anlagen eine prozessbezogene Auslegung der Stromsteuerbefreiung vorzunehmen. Die Zollverwaltung hat gegen die Entscheidung des FG Hamburg Revision eingelegt, die beim BFH anhängig ist (Az. VII R 3/25).
Autoren: Dipl.-Finw. Robert Böhm, RA Ralf Reuter