Das BMF hat mit Schreiben vom 08.08.2025 – III C 3 – S 7117-j/00008/006//043 die umsatzsteuerliche Behandlung von Online-Veranstaltungsdienstleistungen neu geregelt. Im Fokus stehen die Abgrenzung zwischen Live-Streaming und Aufzeichnungen, die Anwendung von Steuerbefreiungen und -ermäßigungen sowie die Bestimmung des Leistungsorts.
Hintergrund
Online-Veranstaltungen gewinnen in nahezu allen Lebensbereichen an Bedeutung – von Konzerten über Fortbildungen bis hin zu Gesundheitsleistungen. Die steuerliche Behandlung solcher Angebote war bislang durch Unsicherheiten geprägt, insbesondere hinsichtlich der Frage, wann Steuerbefreiungen oder ermäßigte Steuersätze greifen und wie der Leistungsort zu bestimmen ist. Mit der Digitalisierung und der Zunahme von Streaming-Angeboten sind klassische Abgrenzungskriterien zunehmend an ihre Grenzen gestoßen.
Das BMF reagiert mit dem aktuellen Schreiben auf die Kritik an der bisherigen Typisierungspraxis und passt die umsatzsteuerliche Einordnung an die digitale Realität an. Ziel ist es, Rechtssicherheit für Anbieter und Nutzer zu schaffen und die Vorgaben unionsrechtskonform umzusetzen. Die Neuregelung ist auch eine Reaktion auf die intensive Diskussion in der Fachliteratur und die Rückmeldungen aus der Praxis, insbesondere aus dem Bildungssektor.
Bisherige Verwaltungspraxis / BMF-Schreiben vom 29.04.2024
Die bisherige Verwaltungspraxis typisierte Leistungskombinationen aus Live-Stream und Aufzeichnung regelmäßig als einheitliche Leistung eigener Art, was häufig zur Steuerpflicht der gesamten Leistung führte. Diese pauschale Typisierung wurde als praxisfern und rechtlich fragwürdig angesehen, da sie keine differenzierte Betrachtung zuließ.
Zudem wurden vorproduzierte Inhalte wie Video-Kurse, Lernplattformen oder Apps pauschal als elektronische Dienstleistungen eingestuft und damit von der Steuerbefreiung ausgeschlossen, selbst wenn sie Bildungszwecken dienen. Dies hatte zur Folge, dass die Anbieter für diese Leistungen Umsatzsteuer abführen mussten, was insbesondere kleinere Bildungsanbieter finanziell belastete.
Diese Sichtweise wurde insbesondere von Anbietern digitaler Bildungsleistungen kritisiert, da sie der Vielfalt moderner Lernformate nicht gerecht wurde.
Aktuelle Sichtweise des BMF
Mit Schreiben vom 08.08.2025 wurde das Schreiben aus 2024 ersetzt. Es regelt die umsatzsteuerliche Behandlung von Online-Veranstaltungsdienstleistungen im B2C-Bereich in einigen Punkten neu.
Das BMF unterscheidet nun klar zwischen verschiedenen Angebotsformen:
- Vorproduzierte Inhalte (z. B. Aufzeichnungen): Diese gelten weiterhin als elektronische Dienstleistungen (§ 3a Abs. 5 UStG). Der Leistungsort richtet sich nach dem Wohnsitz des Leistungsempfängers. Steuerbefreiungen oder ermäßigte Steuersätze sind ausgeschlossen.
- Live-Streaming: Wird eine Veranstaltung in Echtzeit übertragen, liegt keine elektronische Dienstleistung vor, sondern eine sonstige Leistung (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 UStG). Der Leistungsort ist ebenfalls der Wohnsitz des Leistungsempfängers. Steuerbefreiungen (§ 4 Nr. 20, 21, 22 UStG) oder der ermäßigte Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG) sind möglich, sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind
- Leistungskombinationen: Ob eine einheitliche oder mehrere selbständige Leistungen vorliegen, ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Entscheidend ist der wirtschaftliche Gehalt der erbrachten Leistungen. Hierbei soll die Sicht des Durchschnittsverbrauchers maßgeblich sein.
- Dienstleistungskommissionen: Bei Einbindung von Portalen oder Dritten in die Leistungserbringung sind die Voraussetzungen des § 3 Abs.11, bzw. 11a UStG zu prüfen. Da die leistungsbezogenen Merkmale in der Leistungskette gleich behandelt werden (anders als die personenbezogenen Merkmale), können auch die zwischengeschalteten Besorgungsleistungen steuerbefreit oder -ermäßigt sein. Für Anbieter bedeutet dies, dass die Gestaltung und Dokumentation der Angebote entscheidend für die steuerliche Einordnung sind.
Neu ist somit, dass die Abgrenzung zwischen Live- und Aufzeichnungsleistungen nicht mehr typisiert, sondern anhand des Gesamtbilds der Leistung vorgenommen wird. Das BMF betont, dass die Steuerbefreiung für Bildungsleistungen künftig auch für interaktive Live-Streams gilt, während reine Streaming-Angebote von Aufzeichnungen explizit ausgeschlossen bleiben.
Fazit
Die neue Regelung ermöglicht eine differenzierte Betrachtung und schafft grundsätzlich mehr Flexibilität für Anbieter. Allerdings ist auch davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung künftig verstärkt Einzelfallprüfungen vornehmen wird, was zu erhöhtem Dokumentationsaufwand führen kann. Anbieter müssen ihre Angebote individuell bewerten und dokumentieren, ob eine Steuerbefreiung oder -ermäßigung greift. Besonders bei kombinierten Leistungen (Live + Aufzeichnung) ist die Einordnung nach dem Gesamtbild entscheidend. Für reine Aufzeichnungen bleibt es bei der Steuerpflicht.
Die neuen Regelungen gelten für Umsätze ab dem 01.01.2025, mit Übergangsregelungen bis Ende 2025. Unternehmen sollten bestehende Verträge und Kursmodelle zeitnah überprüfen und ggf. anpassen, um steuerliche Risiken zu vermeiden. Zudem ist zu beachten, dass bei langfristigen Ausbildungen eine Rückwirkung der neuen Regelungen entstehen kann, was insbesondere für laufende Kurse steuerliche und zivilrechtliche Risiken birgt.
Allerdings sind Apps oder Lernplattformen als elektronische Dienstleistung weiterhin nicht von der Umsatzsteuer befreit, sofern die Leistungen nicht zum Beispiel durch Rückfragemöglichkeiten, o.ä. erweitert werden. Anbieter, die Rückfragemöglichkeiten oder persönliche Betreuung anbieten, müssen jedoch prüfen, ob sie unter das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) fallen. Seit einer Gesetzesausweitung ist oft eine Zulassung durch die Zentralstelle für Fernunterricht erforderlich. Fehlt diese, sind Verträge nichtig, Kursgebühren rückzuerstatten und umsatzsteuerliche Bescheinigungen ungültig.
Autorinnen: StB Gabriele Kirchhof, StB Lisa Hüllbüsch