Die Bewertung von Wirtschaftsgütern führt in verschiedenen Konstellationen regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen der Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen. Zur Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft hat der BFH nun in zwei Urteilen für etwas mehr Klarheit gesorgt. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung bildet der Substanzwert nicht immer die Untergrenze bei der Bewertung.
Die Bewertung von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft erfolgt mit dem gemeinen Wert (§ 11 Abs. 2 BewG). Wenn dieser nicht aus Verkäufen unter fremden Dritten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, abzuleiten ist, kommen gängige Bewertungsverfahren zur Anwendung. Der Substanzwert darf dabei jedoch nicht unterschritten werden. Bislang war unklar, ob der gesetzlich vorgeschriebene Substanzwerts als Mindestwert auch dann gilt, wenn der gemeine Wert aus einem Verkauf unter fremden Dritten abgeleitet wird. Der BFH führt in den Urteilen vom 25.09.2024 (II R 15/21, II R 49/22) aus, dass der Substanzwert nicht in jedem Fall die Untergrenze der Bewertung darstelle. Nach systematischer und teleologischer Auslegung könne der Substanzwert unterschritten werden, wenn sich der gemeine Wert durch zeitnahe Verkäufe unter fremden Dritten ableiten lässt. Damit widerspricht er der Auffassung der Finanzverwaltung.
In beiden Urteilen scheiterte die Ableitung des gemeinen Werts der Kapitalgesellschaftsanteile aus Verkäufen mit fremden Dritten an anderen Umständen. Ein solcher Verkauf erfordert einen Preis, der bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielt wurde. Dafür muss sich dieser unter Berücksichtigung von Einzelfallumständen nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage gebildet haben. Außerdem müssen die Beteiligten freiwillig und im eigenen Interesse handeln können. Wie die beiden Urteile vom 25.09.2024 zeigen, muss auf diese Kriterien besonderes Augenmerk gerichtet werden.
In einem der Urteile (II R 15/21) fand laut BFH unter Berücksichtigung der Gesamtumstände gerade keine solche Preisbildung statt, weil über Jahre hinweg für die Anteile regelmäßig derselbe Preis mit Bezug auf den Nominalwert zugrunde gelegt wurde. Geänderte Vermögensverhältnisse der Gesellschaft und ihrer Beteiligungsgesellschaften blieben hingegen unberücksichtigt.
Das zweite BFH-Urteil (II R 49/22) behandelte eine Familienholding, deren Gesellschaftsvertrag detaillierte Bestimmungen zum Anteilsverkauf enthielt. Demnach war die Veräußerung von Anteilen etwa von der Zustimmung einzelner Gesellschafter abhängig. Ferner musste ein Vermittlungsbüro die Anteile des verkaufswilligen Gesellschafters anderen Familienmitgliedern nach einer festgelegten Reihenfolge anbieten. Unter diesen Umständen sei laut BFH ebenfalls keine Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr anzunehmen, da die Vertragsparteien folglich nicht freiwillig und unter Wahrung der eigenen Interessen handeln können. Darüber hinaus wurde bei der Preisermittlung über mehrere Jahre hinweg ein gleichbleibender pauschaler Holdingabschlag i.H.v. 20 Prozent vorgenommen. Laut BFH ist ein solcher gleichbleibender Holdingabschlag hingegen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr gerade nicht festzustellen. Vielmehr wären tatsächliche Änderungen des Holdingabschlags notwendig gewesen, um die objektivierte und konkrete Beschaffenheit der verkauften Anteile hinreichend widerzuspiegeln.
Die Volltexte der Urteile steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung. Direkt zum BFH-Urteil kommen Sie hier.
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