Der BFH äußert sich in einem AdV-Verfahren erstmalig zur neuen Grundsteuerwertfeststellung nach dem sog. Bundesmodell. Der BFH hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Grundsteuerwertbescheids und gewährt die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Den Steuerpflichtigen müsse bei verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften die Möglichkeit eingeräumt werden, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen. Von detaillierten Ausführungen zu einer möglichen Verfassungswidrigkeit sah der BFH ab.
Nachdem das BVerfG im Jahr 2018 das frühere Grundsteuerrecht für verfassungswidrig erklärte und der Gesetzgeber daraufhin das Grundsteuergesetz reformierte, mussten alle Grundstücke in Deutschland zum Stichtag 01.01.2022 neu bewertet werden und Grundstückseigentümer Anfang 2023 entsprechende Grundsteuererklärungen abgeben. Auf Basis der infolgedessen erlassenen Grundsteuerwertbescheide (Grundlagenbescheide) wird die „neue“ Grundsteuer zum 01.01.2025 erstmalig durch die Gemeinden erhoben werden.
Hinsichtlich der gesetzlichen Neuregelungen bestehen jedoch weiterhin erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere im Hinblick auf die teils erheblichen Belastungsunterschiede in den einzelnen Bundesländern aufgrund eigener Modelle. Das FG Nürnberg lehnte verfassungsrechtliche Zweifel am bayerischen Modell ab (Beschluss vom 08.08.2023, 8 V 300/23). Auch das FG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 01.09.2023, 3 V 3080/23) sowie das Sächsische FG äußerten (Urteil vom 24.10.2023, 2 K 574/23) keine Zweifel hinsichtlich des Bundesmodells. Zuletzt wies auch das FG Baden-Württemberg die beiden anhängigen Verfahren (8 K 2368/22, 8 K 1582/23) zum Grundsteuermodell in Baden-Württemberg ab. Das FG ließ jedoch die Revision zum BFH zu (vgl. Pressemitteilung des FG Baden-Württemberg vom 11.06.2024). Damit besteht die Chance, dass zeitnah ein Hauptsacheverfahren zur neuen Grundsteuer beim BFH anhängig wird.
Einzig das FG Rheinland-Pfalz äußerte bisher verfassungsrechtliche Bedenken und gewährte Aussetzung der Vollziehung (Beschlüsse vom 23.11.2023, 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23).
Mit den beiden weitgehend inhaltsgleichen AdV-Beschlüssen vom 27.05.2024 (II B 78/23, AdV; II B 79/23, AdV) äußert sich nun der BFH erstmalig zu verfassungsrechtlichen Bedenken beim Bundesmodell. Grundsätzlich seien Abweichungen zwischen dem nach den §§ 218 ff. BewG ermittelten Wert und dem gemeinen Wert aufgrund Typisierung und Pauschalierung hinzunehmen. Verfassungsrechtlich findet diese Abweichung ihre Grenze jedoch im Übermaßverbot, das laut BFH erreicht sei, wenn der vom Finanzamt festgestellte Wert mindestens 40 Prozent über dem gemeinen Wert liegt. Wenn, wie vorliegend, keine gesetzlichen Billigkeitsmaßnahmen bestehen (vgl. § 220 Satz 2 BewG), sei laut BFH der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zuzulassen, wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt hat. Das heißt, nach ständiger BFH-Rechtsprechung müssten die betreffenden Normen dann verfassungskonform ausgelegt werden und ein solcher Nachweis (wohl von Seiten der Finanzverwaltung) zugelassen werden.
Diese Rechtsprechungsgrundsätze seien laut BFH bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen und zugleich ausreichenden summarischen Prüfung der Bewertungsregelungen gem. §§ 218 ff. BewG anzuwenden, sodass für den BFH ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen. Dennoch sei nicht ausgeschlossen, dass zur Vermeidung einer Übermaßbesteuerung im konkreten Einzelfall der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts in verfassungskonformer Auslegung der §§ 218 ff. BewG im Hauptsacheverfahren gelinge.
Insofern äußert sich der BFH nicht hinsichtlich einer möglichen Verfassungswidrigkeit des neuen Grundsteuerrechts. Eine Vorlage an das BVerfG im Rahmen des Hauptsacheverfahrens ist daher wahrscheinlich. Außerdem ist zu beachten, dass die Wirkung der beiden AdV-Beschlüsse auf die beiden Einzelfälle beschränkt ist.
Die Volltexte der Beschlüsse stehen Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.
Direkt zum BFH-Beschluss II B 79/23 (AdV) kommen Sie hier.
Direkt zum BFH-Beschluss II B 78/23 (AdV) kommen Sie hier.