BVerfG zur körperschaft- und gewerbesteuerlichen Mindestgewinnbesteuerung bei Definitiveffekten

Am 11.08.2025 veröffentlichte das BVerfG seine Entscheidung zur Mindestgewinnbesteuerung bei Definitiveffekten. In dem Beschluss erachtet es die gesetzlichen Regelungen auch in einer Konstellation für verfassungsgemäß, in der bilanzsteuerliche Umkehreffekte zu einer Erhöhung der vorzutragenden Verluste geführt hatten, die unternehmerische Tätigkeit jedoch vor Aufzehrung der vorzutragenden Verluste beendet wurde (sog. Definitiveffekt). In seinem Beschluss verwies das BVerfG u.a. auf die im Einzelfall zu prüfenden Billigkeitsmaßnahmen.

Nach den Vorschriften zur Verlustvortragsnutzung (§ 10d Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. vom 22.12.2003, über § 8 Abs. 1 KStG für Körperschaften anwendbar, bzw. § 10a Satz 1 und 2 GewStG i.d.F. vom 23.12.2003) ist der zeitlich unbegrenzt nutzbare Verlustvortrag pro Besteuerungsperiode bei Überschreiten eines Sockelbetrages von 1 Million Euro der Höhe nach auf diesen Betrag zuzüglich weiterer 60 Prozent (derzeit für die VZ 2024 bis 2027 für den körperschaftsteuerlichen Verlustvortrag i.H.v. 70 Prozent) des diesen Betrag übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte beschränkt. Daraus ergibt sich eine zeitliche Streckung des Verlustvortrags. Infolge der dargestellten Verrechnungstechnik verbleibt in der jeweiligen Besteuerungsperiode ein positives, zu besteuerndes Einkommen (sog. Mindestgewinnbesteuerung). 

Der vorlegende BFH hält die Grundkonzeption der Mindestgewinnbesteuerung prinzipiell für verfassungsgemäß (vgl. BFH-Urteil vom 22.08.2012, I R 9/11; für die Gewerbesteuer vgl. BFH-Urteil vom 20.09.2012, IV R 36/10). Der I. BFH-Senat äußerte aber Zweifel in einem Fall, in dem Aufwand und Ertrag auf demselben Rechtsgrund beruhten und sich der Höhe nach entsprachen, sodass der Ertrag (als zeitverschobener actus contrarius zum Aufwand) weder einen Liquidationszufluss noch einen Zuwachs an besteuerungswürdiger Leistungsfähigkeit auslöste (sog. bilanzsteuerrechtlicher Umkehreffekt). Hinzu kam, dass vor einer vollständigen Aufzehrung der vorzutragenden Verluste die unternehmerische Tätigkeit mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen beendet wurde (sog. Definitiveffekt). Vor diesem Hintergrund legte der BFH dem BVerfG die Regelungen zur Mindestgewinnbesteuerung zur verfassungsrechtlichen Prüfung vor (BFH-Vorlagebeschluss vom 26.02.2014, I R 59/12).

In seiner Entscheidung sieht das BVerfG die Regelungen zur Mindestgewinnbesteuerung für Körperschaften i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG bzw. Gewerbebetriebe i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG auch in Fällen eines bilanzsteuerrechtlichen Umkehreffekts in Verbindung mit einem nachfolgenden Definitiveffekt als mit der Verfassung vereinbar an (BVerfG-Beschluss vom 23.07.2025, 2 BvL 19/14). Dabei erkannte das BVerfG weder einen ungerechtfertigten Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgrundsatz) noch gegen Art. 14 GG (Eigentumsgarantie).

Die Beschränkung des Verlustvortrags führe innerhalb der Gruppe der Körperschaftsteuersubjekte zwar zu einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Ob darüber hinaus eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem im Hinblick auf Fälle des Definitiveffekts vorliegt, ließ das BVerfG offen, da ein solcher Verstoß aus seiner Sicht gerechtfertigt wäre (vgl. Rn. 68, 87, 92, 96). Dabei genüge zur Rechtfertigung das Vorliegen eines sachlichen Grundes (sog. Willkürformel); ein strengerer Rechtfertigungsmaßstab sei nicht anzuwenden. Ein (vom BFH vorgebrachter) besonderer geschützter Kernbereich der Nettoertragsbesteuerung im Sinne eines absoluten Mindestmaßes der Abzugsfähigkeit von Verlusten ist laut BVerfG verfassungsrechtlich nicht vorgesehen (vgl. Rn. 115).

Hinsichtlich des Rechtfertigungsgrundes verwies das BVerfG auf das staatliche Interesse an einer gegenwartsnahen Besteuerung der Unternehmensgewinne durch eine verstetigende Verteilung der Nutzung vorhandener Verluste über die Besteuerungsperioden. Zudem genüge die Ausgestaltung der Beschränkung in Form des Sockelbetrags und des Abzugsprozentsatzes den verfassungsrechtlichen Anforderungen an typisierende Regelungen. Insbesondere resultiere das durch die zeitliche Streckung der Verlustvorträge begründete Risiko des Wegfalls der Verlustvorträge bzw. Eintritts von Zins- und Liquiditätsnachteilen nicht unmittelbar aus den Regelungen zur Mindestgewinnbesteuerung, sondern ergäbe sich erst mittelbar als Folge anderer Rechtsvorschriften (z.B. des schädlichen Beteiligungserwerbs nach § 8c KStG oder des § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG) oder aus der Beendigung der Steuerpflicht (vgl. Rn. 99). Insoweit sieht das BVerfG auch eine Parallele zum allgemeinen Unternehmerrisiko des Steuerpflichtigen (vgl. Rn. 146). Im Einzelfall könnten individuelle Billigkeitsmaßnahmen nach dem allgemeinen Verfahrensrecht gemäß §§ 163, 227 AO getroffen werden (vgl. Rn. 155, 160). 

Nach Ansicht des BVerfG lag auch kein Verstoß gegen Art. 14 GG (Eigentumsgarantie) vor. Zum einen sei das Vortragspotenzial keine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition. Zum anderen stelle die Festsetzung einer höheren Körperschaftsteuer bzw. eines höheren Gewerbesteuermessbetrags infolge der zeitlichen Streckung des Verlustvortrags selbst in Fällen eines bilanzsteuerrechtlichen Umkehreffekts mit nachfolgendem Definitiveffekt keine strukturelle und unverhältnismäßige Steuerbelastung dar (vgl. Rn. 105, 168 f.).

Im Ergebnis bejahte das BVerfG damit die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der körperschaft- und gewerbesteuerlichen Vorschriften zur Mindestgewinnbesteuerung auch in Fällen eines Definitiveffekts. Abzuwarten bleibt, wie das BVerfG den vollständigen Verlustuntergang nach einem schädlichen Anteilserwerb i.S. des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG (mehr als 50 Prozent) verfassungsrechtlich beurteilt. Hierzu ist weiter ein Verfahren beim BVerfG anhängig (2 BvL 19/17, derzeit auch in der Entscheidungsvorschau des BVerfG für 2025 genannt). In Sachen Mindestgewinnbesteuerung ist zudem eine Verfassungsbeschwerde gegen das o.g. BFH-Urteil vom 22.08.2012 (I R 9/11) anhängig (unter 2 BvR 2998/12). Dieser Fall betrifft eine Kapitalgesellschaft, die nach ihrem Geschäftsmodell hauptsächlich (zu 95 Prozent) steuerfreie Beteiligungseinkünfte erzielte und deren Geschäftstätigkeit auf 20 Jahre angelegt war. Der BFH sah in diesem Fall keinen tatsächlichen Definitiveffekt und damit auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Mindestgewinnbesteuerung.  

Der Volltext des Beschlusses steht Ihnen auf der Internetseite des BVerfG zur Verfügung.

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