Der BFH entscheidet einen langjährigen Rechtsstreit zur Frage der Entstrickung durch Überführung von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten. Demnach genüge es für die steuerpflichtige Entstrickung bzw. die Geltung der Entnahmefiktion nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte zugeordnetes Wirtschaftsgut in eine ausländische Betriebsstätte überführt wird (§ 4 Abs. 1 Satz 4 EStG). Verfassungsrechtliche Bedenken wegen der rückwirkenden Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG hat der BFH nicht, auch einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit sieht er nicht.
Der Streitfall betrifft eine im Inland ansässige KG (KG A). Ihre Kommanditisten sind zwei Kapitalgesellschaften (B.V.) mit Sitz in den Niederlanden. Diese waren zugleich Kommanditisten einer weiteren inländischen (beteiligungsidentischen) Schwester-KG (KG B), die immaterielle Wirtschaftsgüter (Patentrechte und weitere Rechte) innehatte. Die Wirtschaftsgüter wurden im Jahr 2005 teilentgeltlich auf die KG A übertragen. Kurze Zeit später wurde beim Handelsregister in den Niederlanden die Gründung einer Betriebsstätte der KG A eingetragen. Infolgedessen war streitig, ob die Überführung der Wirtschaftsgüter in die ausländische Betriebsstätte zur Aufdeckung und Versteuerung von stillen Reserven führt. Das angerufene FG Düsseldorf legte den Fall mit Blick auf einen möglichen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit dem EuGH vor, der keinen Verstoß erkannte (Urteil vom 21.05.2015, C-657/13). Gegen die daraufhin als unbegründet zurückgewiesene Klage wurde Revision beim BFH eingelegt, der das Verfahren jedoch zunächst mit Blick auf den mittlerweile ergangenen BVerfG-Beschluss v. 28.11.2023 zu Buchwertübertragung zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften (2 BvL 8/13, vgl. EY-Steuernachricht v. 12.01.2024) aussetzte.
Mit dem aktuellen Urteil entscheidet nun der BFH in Übereinstimmung mit dem vorstehend genannten Beschluss des BVerfG, dass die zuerst erfolgte Übertragung der Wirtschaftsgüter zwar nicht zu einer Aufdeckung der stillen Reserven führte, da die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 EStG i.d.F. des JStG 2024 erfüllt seien. Allerdings habe die anschließende Überführung der Wirtschaftsgüter durch die übernehmende KG in ihre niederländische Betriebsstätte zur Aufdeckung der stillen Reserven geführt (Urteil vom 26.03.2025, I R 5/24 (I R 99/15)). Die Überführung in die ausländische Betriebsstätte stehe nach § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG einer Entnahme im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG gleich. Der BFH konnte es insoweit dahinstehen lassen, ob der Satz 3 („allgemeiner Entstrickungstatbestand“) für sich genommen zu einer Gleichstellung der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte mit einer Entnahme führen würde. Denn jedenfalls § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG würde die Überführung eines bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zugeordneten Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte ausdrücklich als Anwendungsfall der Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG normieren. Hierbei ist zu beachten, dass im konkreten Urteilsfall das deutsche Besteuerungsrecht tatsächlich ausgeschlossen wurde. In andersgelagerten Fällen, in denen trotz Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte ein inländisches Besteuerungsrecht nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird, stellt sich die Frage, ob hier nicht ggf. eine teleologische Reduktion des Satzes 4 angezeigt ist, sodass eine Entstrickungsbesteuerung nur greift, wenn der allgemeine Entstrickungstatbestand nach Satz 3 erfüllt ist.
Der BFH hatte zudem keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der in § 52 Abs. 8b EStG normierten rückwirkenden Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG. Es handle sich zwar um einen nur unter engen Voraussetzungen zulässigen Fall der „echten“ Rückwirkung, da eine formal-gesetzliche Rückwirkung vorliege (es wurde eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abgeändert) und auch keine rein deklaratorische, sondern eine konstitutive materiell-rechtliche Rechtsänderung erfolgt sei. Allerdings könne sich im konkreten Fall nicht auf den aus dem Rechtsstaatsprinzip erwachsenden Vertrauensschutz berufen werden, da der Gesetzgeber durch das rückwirkende Gesetz lediglich eine in der Vergangenheit herrschende Rechtspraxis kodifiziert habe, um einer zwischenzeitlich erfolgten Rechtsprechungsänderung entgegenzuwirken. D.h. vorliegend sei der Rechtfertigungsgrund der „echten“ Rückwirkung die „Korrektur“ einer späteren Rechtsprechungsänderung, auf die die Betroffenen im fraglichen Zeitraum noch nicht haben vertrauen können.
Einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit nahm der BFH unter Berufung auf den EuGH nicht an. Ebenso wenig erkannte er einen Verstoß gegen das in Art 24 Abs. 2 DBA-Niederlande normierte Diskriminierungsverbot, da § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG in der Fassung des JStG 2010 auf inländische als auch auf ausländische Betriebsstätten gleichermaßen Anwendung findet und somit keine steuerliche Schlechterstellung ausländischer Unternehmen gegenüber inländischen Unternehmen erfolgt.
Der BFH hat den Fall dennoch zur finalen Entscheidung „der Höhe nach“ an das FG Düsseldorf zurückverwiesen, weil dieses entsprechend des mit dem SEStEG eingefügten § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG den Fremdvergleichswert angesetzt hat. Die Vorschrift ist gemäß § 52 Abs. 16 S. 1 EStG jedoch erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2005 enden (d.h. nach dem Streitjahr), so dass vorliegend der Teilwert hätte angesetzt werden müssen.
Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.
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