Die bei einer Veräußerung bestimmter Wirtschaftsgüter (etwa Immobilien) aufgedeckten stillen Reserven können unter den Voraussetzungen des § 6b EStG von den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten bestimmter Reinvestitionsgüter abgezogen oder (im Vorgriff auf Investitionen) in eine Rücklage eingestellt werden. Eine zu Unrecht gebildete Rücklage ist laut BFH ein Bilanzierungsfehler. Er erteilte daher der von der Vorinstanz vertretenen späteren gewinnwirksamen Auflösung eine Absage.
Bilanzierungsfehler sind grundsätzlich zeitlich rückwirkend an der Fehlerquelle zu berichtigen. Liegt die entsprechende Bilanz bereits einer rechtskräftigen Veranlagung zu Grunde, ist die Berichtigung in der Schlussbilanz des ersten Wirtschaftsjahres vorzunehmen, für das die Veranlagung nach allgemeinen Grundsätzen berichtigt oder geändert werden kann (formeller Bilanzenzusammenhang). Diese Grundsätze wendet der BFH auch für Fälle einer zu Unrecht gebildeten 6b-Rücklage an.
Im konkreten Fall veräußerte eine GmbH ihren Immobilienbestand und bildete im VZ 2002 eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG, obwohl sie im Inland nicht mehr über eine Betriebsstätte verfügte. Die Veranlagung wurde bestandskräftig. Laut BFH ist diese zu Unrecht gebildete 6b-Rücklage nach dem formellen Bilanzenzusammenhang im nächsten offenen Jahr (hier das Streitjahr 2003) in der Bilanz zu korrigieren und gewinnerhöhend aufzulösen (BFH-Urteil vom 02.07.2025, XI R 27/22). Der BFH bestätigt dabei seine bisherige Sichtweise, dass es sich bei der Rücklage um einen eigenständigen Bilanzposten handelt, und widersprach damit der Vorinstanz (FG Düsseldorf, Urteil v. 03.05.2022, 6 K 3388/16 K,F). Die Vorinstanz sah die Rücklage nur als Saldoposten im (unveränderten) steuerlichen Eigenkapital an und verneinte daher einen Bilanzierungsfehler und den formellen Bilanzenzusammenhang. Laut FG hätte eine gewinnwirksame Auflösung erst bei Erfüllen der Auflösungstatbestände des § 6b Abs. 3 EStG (etwa Ablauf der Reinvestitionsfrist) erfolgen müssen.
In diesem Zusammenhang sollte auch die unter C-410/25 beim EuGH anhängige Klage der Europäischen Kommission gegen Deutschland zur Frage, ob die Voraussetzung des Inlandsbezugs der veräußerten Wirtschaftsgüter (6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG) für die Inanspruchnahme des § 6b EStG gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt, weiter beachtet werden (vgl. auch EY-Steuernachricht v. 20.11.2024).
Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.
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