Vorlage an das BVerfG: Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes für AdV-Zinsen

Der BFH hält den gesetzlichen Zinssatz von 6 Prozent pro Jahr für sog. Aussetzungszinsen für verfassungswidrig. Er legt die Frage, ob der Zinssatz (auch im Hinblick auf den Zinssatz von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen von 1,8 Prozent pro Jahr) seit dem 01.01.2019 bis zum 15.04.2021 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar oder verfassungswidrig ist, dem BVerfG zur Klärung vor.

Mit Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14) hat das Bundesverfassungsgericht die ursprünglich geltenden Zinssätze von 6 Prozent p.a. für die Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen (sog. Vollverzinsung) für verfassungswidrig erklärt, dies aber nicht auf die Aussetzungszinsen und andere Teilverzinsungstatbestände erstreckt. Daraufhin hat der Gesetzgeber rückwirkend auf den 01.01.2019 allein den Zinssatz für die Vollverzinsung auf nunmehr 1,8 Prozent p.a. gesenkt. Seitdem besteht zwischen der Verzinsung von Nachforderungen und Erstattungen nach § 233a AO und der Verzinsung bei Aussetzung der Vollziehung (AdV), die gemäß § 237 AO weiterhin 6 Prozent p.a. beträgt, ein erheblicher Unterschied, dessen Verfassungswidrigkeit diskutiert wird.

Mit Beschluss vom 08.05.2024 (VIII R 9/23) legt der BFH dem BVerfG nun die Frage zur Klärung vor, ob § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO seit dem 01.01.2019 bis zum 15.04.2021 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als der Zinsberechnung für die Zinsen bei AdV ein Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat zugrunde gelegt wird (im Streitfall wurden Aussetzungszinsen von 6 Prozent p.a. für den Zeitraum bis zum 15.04.2021 festgesetzt). In seiner umfangreichen eigenen Analyse zur Verfassungsmäßigkeit kommt der BFH dabei zu dem Ergebnis, dass die Höhe der AdV-Zinsen gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Eine Ungleichbehandlung zwischen Steuerpflichtigen, die AdV beantragen und solchen die es nicht tun, sei zwar dem Grunde, nicht aber der Höhe nach, gerechtfertigt. Dies gelte umso mehr in einer Niedrigzinsphase. Zweck der Einführung von AdV-Zinsen war insbesondere, den Liquiditätsvorteil derjenigen Steuerpflichtigen abzuschöpfen, die AdV beantragen und gewährt bekommen. Dieser Liquiditätsvorteil sei aber zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase nicht gegeben. 

Zudem werden Steuerpflichtige, die Zinsen schulden, weil sie die Steuer nach AdV nicht bezahlt haben, und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, weil ihre Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag (§ 233a Abs. 3 AO) geführt hat und sie die materiell-rechtlich von Anfang an geschuldete Steuer deshalb erst später zahlen müssen, ungleich behandelt. Für diese Ungleichbehandlung von Nachzahlungszinsen und AdV-Zinsen sieht der BFH keine Rechtfertigung. Die Ungleichbehandlung entfalle insbesondere auch nicht, weil Steuerpflichtige hinsichtlich AdV-Zinsen eine Wahl hätten und diesen ausweichen könnten, wenn sie keine AdV beantragten. Der BFH sieht die Möglichkeit zur AdV durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützt, sodass Steuerpflichtige von der AdV nicht ohne Weiteres abgehalten werden dürfen.

Der Beschluss des BFH ist für die Praxis von hoher Relevanz, da bislang noch keine höchstrichterliche Entscheidung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Aussetzungszinsen vorlag. Es empfiehlt sich, Einspruch und Antrag auf Verfahrensruhe wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes gegen die Festsetzung von AdV-Zinsen für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 unter Verweis auf den BFH-Beschluss und das beim BVerfG anhängige Verfahren einzulegen.

Der Volltext des Beschlusses steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.

Direkt zum BFH-Beschluss kommen Sie hier.