7 Minuten Lesezeit 27 Januar 2022
Geschäftsleute diskutieren im Sitzungssaal

DCGK 2022: Welche Änderungen zur Konsultation stehen

Von Anja Pissarczyk

Senior Managerin, Corporate Governance Services, EY Center for Board Matters, EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Unterstützt Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführungen bei der effektiven Unternehmensführung und -überwachung.

7 Minuten Lesezeit 27 Januar 2022

Neue Anforderungen an Vorstand, Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss im Zeichen der Nachhaltigkeit

Überblick
  • Die Änderungsvorschläge der Konsultationsfassung des DCGK betreffen vor allem soziale und ökologische Nachhaltigkeitsaspekte bei der Leitung und Überwachung börsennotierter Unternehmen.
  • Redaktionelle Änderungen ergeben sich aufgrund des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität und des Zweiten Führungspositionengesetzes.
  • Weitere Empfehlungen richten sich an die Arbeitsweise von Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss.

20 Jahre nach der Geburtsstunde des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) im Jahr 2002 hat die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex zum nunmehr 16. Mal ihr Regelwerk für eine verantwortungsvolle Leitung und Überwachung börsennotierter Unternehmen überarbeitet. Am 21. Januar 2022 hat sie ihre Änderungsvorschläge gegenüber der derzeit geltenden DCGK-Fassung vom 16. Dezember 2019 beschlossen. Mit Beginn des Konsultationsverfahrens am 25. Januar wurde der Konsultationsentwurf (DCGK-E 2022) mitsamt Erläuterungen veröffentlicht.

Die inhaltlichen Änderungsvorschläge des DCGK-E 2022 betreffen insbesondere

  • Nachhaltigkeitsaspekte bei der Unternehmensleitung und -überwachung unter Berücksichtigung der erwarteten Neuerungen durch die EU Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD),
  • redaktionelle Änderungen aufgrund des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) und des Zweiten Führungspositionengesetzes (FüPoG II) sowie
  • weitere Empfehlungen für die Arbeitsweise und die personelle Zusammensetzung von Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss.

Während in der vorherigen Überarbeitung des Kodex im Jahr 2019 vor allem die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen im Fokus stand, betont die Regierungskommission nun die Bedeutung von Nachhaltigkeitsaspekten bei Unternehmensleitung und ­-überwachung und verankert diese explizit im Aufgabenprofil von Vorstand und Aufsichtsrat. Sie greift damit die anhaltende Diskussion in der breiten Öffentlichkeit und unter den europäischen und nationalen Regulatoren auf, Nachhaltigkeit insbesondere in Bezug auf Sozial- und Umweltbelange und die damit einhergehenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt stärker in die Verantwortung der Unternehmen zu legen.

Die Änderungsvorschläge je Kodexabschnitt im Detail

  • Präambel

    Die Verantwortung von Vorstand und Aufsichtsrat, die Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf Mensch und Umwelt im Rahmen der Leitung und Überwachung zu berücksichtigen, wird in die Präambel des DCGK-E 2022 aufgenommen. In ihrer Begründung nimmt die Kodexkommission auf die CSRD und das darin verankerte Prinzip der doppelten Wesentlichkeit Bezug. Darunter definiert die Richtlinie die Anforderung an Unternehmen, nicht nur darüber zu berichten, wie sich Nachhaltigkeitsaspekte auf das Geschäftsergebnis auswirken („Outside-in-Perspektive“), sondern auch darüber, welche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu erwarten sind („Inside-out-Perspektive“).

  • A. Leitung und Überwachung

    In Einklang mit der Ergänzung in der Präambel sieht der DCGK-E 2022 eine neue Empfehlung (A.1) mit Bezug zur CSRD vor. Danach sollen Vorstände die mit Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für ihre Unternehmen gemeinsam mit ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit systematisch identifizieren und bewerten. In der Unternehmensstrategie soll verankert werden, wie wirtschaftliche, ökologische und soziale Zielsetzungen in einem ausgewogenen Verhältnis umgesetzt werden können. Die Unternehmensplanung soll finanzielle wie auch nachhaltigkeitsbezogene Ziele berücksichtigen.

    In Grundsatz 4 formuliert die Kodexkommission die Pflicht zur Einrichtung eines an der Risikolage des Unternehmens ausgerichteten Compliance-Management-Systems (CMS) als Bestandteil des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems (IKS und RMS). Der bisherige Grundsatz 5 des DCGK zur Compliance-Verantwortung des Vorstands soll entsprechend gestrichen werden. Aus Sicht der Kommission entspricht dies einer redaktionellen Ergänzung, die im Einklang mit den am 1. Juli 2021 in Kraft getreten Anforderungen des FISG in § 91 Abs. 3 AktG erfolgt.

    Daran anknüpfend rät die neue Empfehlung A.3 die Ausrichtung von IKS und RMS sowohl auf finanzielle als auch auf nachhaltigkeitsbezogene Belange, einschließlich der Etablierung entsprechender Prozesse und Systeme zur Erfassung und Verarbeitung nachhaltigkeitsbezogener Daten.

    Darüber hinaus enthält der Konsultationsvorschlag in Ziffer A.5 eine Empfehlung zur erweiterten Berichterstattung im Lagebericht. Künftig sollen die wesentlichen Merkmale des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems (inkl. CMS) beschrieben werden. Zudem soll zur Angemessenheit und Wirksamkeit dieser Systeme Stellung genommen werden. § 289 Abs. 4 HGB sieht bereits heute eine Pflicht für Kapitalgesellschaften vor, wesentliche Merkmale des IKS und des RMS in Bezug auf den Rechnungslegungsprozess zu beschreiben. Da mit dem FISG die Pflicht zur Einrichtung eines umfassenden bzw. unternehmensweiten IKS und RMS gesetzlich formuliert wurde, empfiehlt die Kodexkommission in der Neufassung des Kodex, die Offenlegungsanforderungen entsprechend auszuweiten. In der Begründung zum DCGK-E 2022 führt die Regierungskommission aus, dass sich die Stellungnahme zur Angemessenheit und Wirksamkeit regelmäßig darauf beziehen soll, wie eine unternehmensinterne Überwachung der Systeme erfolgt ist und für welche Systeme ggf. extern Prüfungen durchgeführt wurden.

    Für den Aufsichtsrat sieht die Konsultationsfassung eine neue Empfehlung A.6 zu erweiterten Überwachungspflichten in Bezug auf eine nachhaltige Unternehmenstätigkeit vor – korrespondierend zu den o. g. Empfehlungen für den Vorstand. So soll der Aufsichtsrat u. a. überwachen, wie soziale und ökologische Nachhaltigkeitsaspekte im Rahmen der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und deren Umsetzung berücksichtigt werden. Die Kodexkommission regt in ihrer Begründung an, dass sich für diese Überwachungstätigkeit die Übertragung auf einen Nachhaltigkeitsausschuss eignen kann. Ferner soll der Aufsichtsrat (bzw. sein Prüfungsausschuss) überwachen, dass IKS und RMS auf Nachhaltigkeitsaspekte ausgerichtet sind. 

  • B. Besetzung des Vorstands

    Der DCGK-E 2022 enthält eine redaktionelle Ergänzung in Bezug auf die neue Rechtslage nach Inkrafttreten des FüPoG II am 12. August 2021. Die Neufassung von § 76 Abs. 3a AktG sieht vor, dass der Vorstand eines börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmens, der aus mehr als drei Mitgliedern besteht, verpflichtend mit mindestens einer Frau und mindestens einem Mann besetzt sein muss (Mindestbeteiligungsgebot). Unverändert ist die Regelung für börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen: Der Aufsichtsrat ist nach wie vor in der Verantwortung, Zielgrößen für den Frauenanteil im Vorstand festzulegen (§ 111 Abs. 5 AktG).

    Der Aufsichtsrat ist somit dafür verantwortlich, die verpflichtende Mindestbeteiligung der Geschlechter sicherzustellen bzw. Zielgrößen für den Frauenanteil im Vorstand festzulegen (Grundsatz 9 DCGK-E 2022). 

  • C. Zusammensetzung des Aufsichtsrats

    Die stetig steigenden Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit erfordern korrespondierende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen nicht nur auf Leitungsebene, sondern auch im Aufsichtsrat der Unternehmen. Aus diesem Grund erweitert die Konsultationsfassung des DCGK (mit Ergänzung von Empfehlung C.1) das Kompetenzprofil des Aufsichtsrats um Expertise zu Nachhaltigkeitsfragen, die für das jeweilige Unternehmen von Relevanz sind.

  • D. Arbeitsweise des Aufsichtsrats

    Die Anpassungen betreffen insbesondere die Arbeit des Prüfungsausschusses. Empfehlung D.3 wird gänzlich neu gefasst, da die Einrichtung eines Prüfungsausschusses für alle Unternehmen von öffentlichem Interesse durch das FISG nunmehr gesetzlich verpflichtend ist (§ 107 Abs. 4. Satz 1 AktG). An die Stelle der Empfehlung zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses – mit einem im Vergleich zum Aktiengesetz erweiterten Aufgabenportfolio – sollen Best-Practice-Anforderungen zu ausgewählten Aspekten der Prüfungsausschussarbeit treten.

    Der erste Teil der neuen Empfehlung D.3 betrifft die Zusammenarbeit des gesamten Prüfungsausschusses mit dem Abschlussprüfer. Gemeinsam soll neben der Prüfungsstrategie, der Prüfungsplanung und den Ergebnissen auch die Risikoeinschätzung diskutiert werden. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses soll darüber hinaus in regelmäßigem Austausch mit dem CFO und dem Abschlussprüfer stehen und sich über den Fortgang der Prüfung informieren sowie an Diskussionen bezüglich kritischer Prüfungssachverhalte teilnehmen und darüber an den Prüfungsausschuss berichten. 

    Zur Konkretisierung der Wirksamkeitsüberwachung der unternehmerischen Kontrollsysteme in § 107 Abs. 3 AktG formuliert die Regierungskommission in D.3 Abs. 2 die Empfehlung an den Prüfungsausschuss, sich durch die internen Prüfungshandlungen zur Wirksamkeit und Angemessenheit von IKS, RMS und CMS zu überzeugen. Darüber hinaus soll er künftig externe Prüfungen des internen Revisionssystems veranlassen.

    Basierend auf den Anforderungen des FISG und der Nachhaltigkeitsberichterstattung ergänzt und präzisiert die Kommission in Empfehlung D.4 die Kompetenzanforderungen an den Prüfungsausschuss und insbesondere an seinen Vorsitzenden. Künftig soll der Prüfungsausschussvorsitzende über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen, im Bereich der unternehmerischen Kontrollsysteme und der Nachhaltigkeitsberichterstattung verfügen oder aber über Expertise zur Abschlussprüfung inklusive der Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Ein weiteres Mitglied des Prüfungsausschusses soll die komplementären Kenntnisse abdecken. In der Erklärung zur Unternehmensführung soll der Aufsichtsrat nähere Angaben zu ebendiesen Kompetenzen der jeweiligen Mitglieder machen.

    Die Kompetenzanforderungen an den Prüfungsausschuss bzw. den Prüfungsausschussvorsitz in der Konsultationsfassung gehen deutlich über das gesetzlich geforderte Maß hinaus. In § 100 Abs. 5 AktG fordert das Gesetz Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung und Abschlussprüfung; der DCGK-E 2022 empfiehlt hingegen besondere Kenntnisse und praktische Erfahrungen auf diesen Gebieten. Zudem lässt der Gesetzgeber offen, wer die Anforderungen erfüllen sollte. Der DCGK-E 2022 betont (weiterhin) explizit die Sonderrolle des Prüfungsausschussvorsitzenden, dessen Aufgabenportfolio eine besondere Verantwortung begründet. Diese soll sich aus Sicht der Kodexkommission auch in seinen Kompetenzen widerspiegeln.

    Die derzeitige Empfehlung D.11 DCGK 2020 empfiehlt eine regelmäßige Beurteilung der Qualität der Abschlussprüfung durch den Prüfungsausschuss. Die Übernahme in den Pflichtenkatalog des Prüfungsausschusses in § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG durch das FISG macht die Empfehlung redundant, sodass sie in der neuen Kodexfassung gestrichen wurde. Die Kodexkommission formuliert stattdessen eine neue Empfehlung an den Prüfungsausschuss zur Förderung der kritischen Diskussion zwischen Abschlussprüfer und Prüfungsausschuss. Analog zur Regelung in § 109 Abs. 3 AktG empfiehlt der DCGK-E 2022, dass der Prüfungsausschuss ebenfalls regelmäßig mit dem Abschlussprüfer auch ohne Beisein des Vorstands tagen soll.

    § 109 Abs. 3 AktG sieht vor, dass der Vorstand an Sitzungen des Aufsichtsrats (und seiner Ausschüsse), zu denen der Abschlussprüfer als Sachverständiger hinzugezogen wird, nicht teilnimmt, es sei denn der Aufsichtsrat/Ausschuss hält dies für erforderlich. Die Gesetzesbegründung zum FISG stellt klar, dass hierin weder ein gesetzliches Recht noch eine gesetzliche Pflicht der Vorstandsmitglieder zur Teilnahme an den Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse begründet ist.

Für die übrigen Kodexabschnitte „E. Interessenkonflikte“, „F. Transparenz und externe Berichterstattung“ sowie „G. Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat“ sieht die Konsultationsfassung des DCGK-E 2022 keine Änderungen vor.

Ausblick

Das Konsultationsverfahren endet am 11. März 2022. Die eingereichten Stellungnahmen werden auf der Website der Regierungskommission veröffentlicht. Nach anschließender Beratung und gegebenenfalls weiteren Anpassungen durch die Regierungskommission wird die neue Fassung des DCGK dem Bundesministerium der Justiz vorgelegt und tritt nach Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger in Kraft. 

Fazit

Die Konsultationsfassung des Deutschen Corporate Governance Kodex sieht für börsennotierte Unternehmen erweiterte Anforderungen in Bezug auf ökologische und soziale Nachhaltigkeitsaspekte vor, die nicht zuletzt durch künftige EU-Regularien noch weiter an Bedeutung gewinnen werden. Die übrigen Änderungen beruhen größtenteils auf Gesetzesänderungen.

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Von Anja Pissarczyk

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