11 Minuten Lesezeit 15 September 2021
Frau schaut in ihr Smartphone

Wie sich der Markt für Apps auf Rezept weiterentwickelt

Autoren
Regina Vetters

Partnerin Strategy & Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Hilft Unternehmen der Life Sciences und Krankenkassen in ihrer strategischen Ausrichtung und entwirft digitale Erfolgspfade für Produkte und Services.

Felix Schaffelhofer

Director Health Sector, EY Consulting GmbH | Deutschland

Erfahrung in Transformation, Strategie und digitaler Produktentwicklung; Fokus: Gestaltung der Zukunft der Krankenkassen.

11 Minuten Lesezeit 15 September 2021

Digitale Gesundheitsanwendungen aka Apps auf Rezept: Sind sie das next big thing im eHealth-Sektor oder doch nur eine Blase?

Überblick
  • Trotz noch überschaubarem Markt sind digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) mehr als nur eine Blase und werden immer relevanter für den Gesundheitsmarkt.
  • Das große Wachstum des DiGA-Marktes steht aber erst noch bevor – der entscheidende Hebel sind Ärzte als Vertriebsweg zum Endkunden.
  • Unternehmen, die über einen Einstieg in die DiGA-Branche nachdenken, sollten die Entwicklungen und Marktbewegungen genau beobachten.

Die erste digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) kam vor fast einem Jahr auf den Markt. Zeit also für ein erstes Zwischenfazit. Obwohl der aktuelle Markt für DiGAs mit 20 angenommenen und 23 derzeit in Bearbeitung befindlichen Anwendungen (Stand 26.08.2021) noch überschaubar ist, sind klare Wachstumspotenziale erkennbar. Die meisten DiGAs kommen dabei als Mobile-App-Version (12 von 20) auf den Markt.

Das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) für „eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation“ ermöglicht es circa 73 Millionen gesetzlich Versicherten, DiGAs oder auch „Apps auf Rezept“ direkt zu erhalten – ohne finanzielle Eigenbeteiligung über Ärzte, Psychotherapeuten oder Krankenkassen – ein Grund wohl, weshalb ein Großteil der Versicherten eine positive Einstellung zu DiGAs hat. Laut einer Bitkom-Umfrage konnten sich bereits im Juli 2020 fast 6 von 10 Befragten gut vorstellen, eine App auf Rezept zu nutzen. Dazu muss die Anwendung allerdings im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet sein und bestimmte Kriterien – allen voran der wissenschaftliche Nachweis eines positiven Versorgungseffekts – erfüllt werden.

Derzeit ist ein erneuter Aufnahmeschwung in das DiGA-Verzeichnis zu erkennen. Doch der große Wachstumsschub dürfte erst noch bevorstehen. 

(Chapter breaker)
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Kapitel 1

Marktsicht: erfolgreiche Zukunft

In den nächsten Monaten sollte es zu einem Wachstum der digitalen Gesundheitsanwendungen kommen.

Mit 20 veröffentlichten DiGAs von insgesamt 89 beantragten ist eine von Teilen des Gesundheitsmarktes befürchtete Welle bis dato ausgeblieben. Der Aufnahmeprozess des BfArM scheint zu funktionieren und trotz scheinbar geringer Hürden mit erheblichem Aufwand verbunden zu sein. Zum heutigen Stand wurde die Aufnahme von vier DiGAs in das Verzeichnis abgelehnt und 42 Anträge wurden zurückgezogen. Die häufigsten Gründe hierfür sind unzureichende Studien (46 Prozent) und deren ebenfalls unzureichende systematische Datenauswertung (37 Prozent).

Ein genauerer Blick in das Verzeichnis bestätigt jedoch einen gängigen Kritikpunkt. Der Anteil der vorläufig ins Verzeichnis aufgenommenen DiGAs ist mit 75 Prozent sehr hoch. Insbesondere das Aufnahmekriterium des nachweislich positiven Versorgungseffekts wird oft infrage gestellt, weil die probeweise aufgenommenen DiGAs auch ohne diesen Nachweis für einen begrenzten Zeitraum von einem Jahr verschrieben werden können. Dies stellt ein Novum in der medizinischen Verordnung dar: Es wird nicht gegen vergleichbare Medikationen, sondern gegen die Nichtanwendung getestet.

Anwendungsfälle der DiGAs noch überschaubar

Derzeit behandelt ein Großteil der DiGAs psychische Krankheiten, beispielsweise Depressionen oder Angst- und Panikstörungen. Ein wesentlicher Grund dafür ist die schnelle Umsetzbarkeit der Behandlungstherapien in digitale Formate und die in diesem Feld schon weiter ausgeprägte Evidenz. 75 Prozent der DiGAs arbeiten mit verhaltenstherapeutischen Ansätzen, die besonders in den Bereichen „Psyche“ und „Nervensystem“ häufig Anwendung finden. Diese Behandlungsansätze können sich auf eine breite Studienlage stützen, was den Aufnahmeprozess erleichtert. Mittelfristig ist mit komplexeren Anwendungsfällen zu rechnen.

Innovative Apps auf Rezept sind in Zukunft zu erwarten

Nur zwei Apps auf Rezept nutzen Zusatzgeräte, wie beispielsweise VR-Brillen oder Fitnessarmbänder. Dies hat folgende Hintergründe: Zum einen erhöht dies die Therapiekomplexität und damit Time-to-Market entsprechender Lösungen und zum anderen müssen Patienten diesen Teil der DiGAs oft selbst bezahlen, wenn die Zusatzgeräte optional integrierbar sind. Daher ist ein Einstieg in den DiGA-Markt mit simpleren „Software-only“-Lösungen in der Regel leichter. Mit zunehmender Verbreitung oder niedrigeren Preisen dieser Add-ons  werden Markteintritte komplexerer Anwendungsfälle jedoch wahrscheinlich, wenn sich der DiGA-Markt etabliert hat und Investitionen somit risikoärmer sind. Ein erster Trend ist schon erkennbar. Unter allen 89 eingereichten DiGA-Anträgen befinden sich insgesamt 23 Anwendungen mit Hardwarenutzung wie beispielsweise Blutzuckersensoren, Insulinpens, oder 3D-Brillen. Es ist also zu erwarten, dass der Anteil komplexerer Anwendungsfälle unter den DiGAs noch steigen wird.

So hat der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung eine Liste mit Herstellern veröffentlicht, die sieben der derzeit in Bearbeitung befindlichen Anträge umfasst. Hiervon stützen sich drei auf verhaltenstherapeutische Ansätze, aber auch neue Anwendungsfälle in den Bereichen Monitoring und Bewegungsanalyse sind vorhanden. Diese gehen über reine App-Lösungen hinaus und bieten die Möglichkeit einer optionalen Integration weiterer Hardware an.

Insgesamt ist mit einem weiteren Marktwachstum zu rechnen. Bereits Ende November 2020 gab der dem Gesundheitsministerium angegliederte Thinktank Health Innovation Hub an, dass mehr als 500 Anträge im Portal des BfArM angelegt sind. Es ist davon auszugehen, dass nicht alle auch zur Bearbeitung eingereicht werden. Denn viele Hersteller wollen sich erst einmal ein Bild des BfArM-Prozesses machen. Dennoch ist es ein Indiz für weiteres Marktwachstum. Bis Ende des Jahres 2022 rechnen wir mit über 50 Anwendungen im DiGA-Verzeichnis. In einem späteren Schritt sind auch eine Konsolidierung sowie Übernahmen oder Aufkäufe durch andere Marktteilnehmer wie etwa Gesundheitskonzerne zu erwarten. Sobald mehrere Apps die gleichen Anwendungsfälle bedienen, könnte es zu einem Preiskampf kommen, der wiederum neue Markteintritte mindert.

Die Kosten für DiGAs sollten sinken

Die Verordnungsdauer für DiGAs beträgt 90 Tage. Ein Großteil der Hersteller empfiehlt bei Bedarf aber eine weitere Nutzung der App auch über diesen Zeitraum hinaus. 

In den vergangenen Monaten hat sich eine Diskussion bezüglich des Kosten-Nutzen-Faktors entwickelt. Der aktuelle Durchschnittspreis für die Erstverordnung einer DiGA liegt bei 411 Euro und schwankt stark. Die teuerste DiGA ist 6,3-mal so teuer wie die günstigste. Außerdem sind scheinbar willkürliche Preisänderungen zu beobachten. So hat sich beispielsweise der Preis der Tinnitus-App Kalmeda fast verdoppelt. Diese Preisgestaltung ist einer der größten Kritikpunkte an DiGAs. Die Höchstpreisdiskussion zwischen GKV- und DiGA-Hersteller-Spitzenverband wird nun von einer Schiedsstelle geregelt. Es ist also auf lange Sicht nach Beilegung des Streits mit einem sinkenden Durchschnittspreis zu rechnen.

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Kapitel 2

Herstellersicht: Startups dominieren den DiGA-Markt – noch

Startups beherrschen den Markt. Auf lange Sicht verlieren sie ihre Vorherrschaft an die Big Player.

Der Markt rund um digitale Gesundheitsanwendungen gehört derzeit klar den Startups: Nur einer der insgesamt 15 verschiedenen Hersteller ist kein Startup. Die jungen Unternehmen sind aufgrund ihrer geringen Größe und der damit verbundenen Schnelligkeit früher am Markt als Konzerne. Für zehn der Start-ups ist ihre DiGA das einzige Produkt, wodurch sie sich voll und ganz auf die Zulassung konzentrieren konnten. Allerdings ist der Zulassungsprozess mit gewissen Kosten verbunden, die von kleinen Unternehmen nicht ohne Weiteres zu stemmen sind. Die Gebühren des BfArM belaufen sich je nach Beratungsleistungen und Besonderheiten der Anträge auf rund 5.000 bis 30.000 Euro. Hinzu kommen die Aufwände für die Erfüllung der Kriterien, zum Beispiel für Studien zur Bestätigung des positiven Verwendungseffekts, Datenschutz, Nutzerfreundlichkeit, etc., die sich schnell im hohen sechsstelligen Bereich ansiedeln.

Startups ebnen den Weg für die Big Player

Das Marktphänomen der Startups als Vorreiter ist ein natürliches. Kleine, schnelle Anbieter schaffen den Markteintritt zuerst. Mit zunehmender Reife und Marktgröße werden größere Player wie beispielsweise Pharma- oder MedTech-Konzerne in den Markt einsteigen. Der Pharmakonzern Sanofi hat bereits eine Diabetes-DiGA angekündigt. Zusätzlich werden Übernahmen wahrscheinlicher, wodurch sich der Markt in einer späteren Phase konsolidieren kann. Darüber hinaus bietet der DiGA-Markt auch für branchenfremde Unternehmen Potenzial, um die Kundenschnittstelle zu besetzen. Insbesondere Technologiekonzerne, die den technischen Aspekt von DiGAs bestens abbilden können, werden in Zukunft vermehrt mit Unternehmen der Gesundheitsbranche kooperieren. Selbst für marktfremde Firmen, etwa aus der Medienbranche, sind DiGAs interessant. Ein Grund sind die niedrigeren Markteintrittsbarrieren im Vergleich zu klassischen Medizinprodukten. Zudem kennen gerade die Medienkonzerne ihre Zielgruppen schon sehr gut und haben meist einen direkten Kundenzugang. DIGAs können als verschreibungsfähige Produkte nur noch eingeschränkt Werbung machen, redaktionelle Beiträge zu innovativen Therapien bleiben aber möglich. So können Medienkonzerne mit einer viel höheren kommerziellen Schlagkraft direkt an die Kunden im Gesundheitsmarkt herantreten.

Das Bild der DiGAs als Startup-Metier wird dennoch in näherer Zukunft bestehen bleiben. Allein unter den sieben Unternehmen mit aktuellen DiGA-Anträgen sind fünf Startups. Allerdings bieten 71 Prozent dieser DiGA-Anwärter bereits mehr als ein Produkt an. 

Startup-Städte dominieren

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von 15 DiGA-Herstellern sitzen in Berlin oder Hamburg.

Acht von 15 Herstellern sitzen in den Startup-Hubs Berlin oder Hamburg. Der DiGA-Markt bleibt damit zunächst eine Nische im kleinen Kreis der deutschen MedTech-Startups, der sich derzeit vor allem im Nordosten Deutschlands konzentriert.

Weitere Akteure drängen auf den DiGA-Markt

DiGA-Hersteller werben häufig mit Kooperationen mit Pharmakonzernen und insbesondere mit Krankenkassen. Diese Kooperationsverträge stammen allerdings noch aus der Prä-DiGA-Ära. Vor Bestehen des DiGA-Verzeichnisses konnten sich Krankenkassen durch derartige digitale Versorgungsangebote differenzieren. Nachdem die Anwendungen und Aufwände nun zwangsläufig von gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) übernommen werden, hat diese Art von Verträgen für beide Seiten erheblich an Attraktivität verloren. Eine zweite DiGA-Vertragswelle könnte sich dennoch anbahnen, wenn der Preiskampf am Markt wie erwähnt zunimmt, da dann Rabattverträge relevant werden.

Weitere Partner der DiGA-Firmen sind Universitäten und Universitätskliniken, die die Hersteller bei den Versorgungseffektstudien unterstützen. Pharmakonzerne sind derzeit noch zurückhaltend in Bezug auf Kooperationen. Dies dürfte sich mit steigender Marktreife und Bekanntheit der DiGAs aber ändern, wenn entsprechend höhere Umsätze zu erzielen sind. Die wichtigsten Kooperationen für DiGA-Hersteller sind derzeit auf Vertriebsseite zu finden, da ihnen der Schnittpunkt zu den Arztpraxen fehlt, durch die ihr Produkt in erster Linie zum Patienten gelangt. 

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Kapitel 3

Versorgersicht: Ärzte treiben Marktwachstum

Ärzte entscheiden als wichtigster Vertriebskanal über die Zukunft der Apps auf Rezept.

Versicherte können DiGAs grundsätzlich auf zwei Arten über ihre Krankenversicherung erwerben: entweder durch eine ärztliche Verordnung oder durch eine direkte Anfrage bei ihrer Krankenkasse. Deutlich häufiger wird der erstgenannte Weg genutzt – 90 Prozent der DiGAs werden durch Ärzte verschrieben. Ein Hauptgrund dafür ist, dass viele DiGAs grundsätzlich eine ärztliche Einschätzung zur Verschreibung benötigen, zum Beispiel zu Kontraindikationen wie  Suizidgefährdung bei Apps zur Behandlung von Depressionen. Damit sind Arztpraxen der wichtigste Vertriebskanal und entsprechend der Faktor für weiteres Marktwachstum.

Ärzte offen gegenüber Apps auf Rezept

Einer im Februar 2021 von Bitkom veröffentlichten Umfrage zufolge kann sich jeder vierte Arzt vorstellen, in Zukunft eine DiGA zu verordnen. Diese Ärzte sehen die Apps auf Rezept als sinnvolle Ergänzung zum medizinischen Standardangebot und erkennen teilweise sogar Fälle, in denen sie konventionelle Therapien ersetzen können. Bisher haben allerdings nur 2 Prozent der Ärzte tatsächlich eine DiGA verordnet. Einen Grund zeigt die ebenfalls im Februar 2021 veröffentlichte Studie des Fraunhofer Instituts auf. Danach schätzen 75 Prozent der teilnehmenden Ärzte ihren Informationsstand zu DiGAs als schlecht oder sehr schlecht ein. Auch hier signalisieren aber 37 Prozent der Befragten eine hohe oder sehr hohe Bereitschaft, DiGAs zu verordnen.

Es kann davon ausgegangen werden, dass trotz der noch geringen Verordnungsquote bereits rund 20.000 DiGAs verschrieben wurden. Gelingt es, die tatsächliche Verschreibungsquote seitens der Ärzte noch weiter zu erhöhen, ist ein deutlich schnelleres Marktwachstum zu erwarten. Ein von den Ärzten häufig kritisierter Diskussionspunkt ist die Vergütung, die laut DeutschesArztPortal nur 21 Prozent als angemessen empfinden. Bisher erhalten Ärzte 2 Euro für das Verordnen einer DiGA, was ihrer Meinung nach zu niedrig ist, um sich proaktiv über die Wirkweisen der einzelnen Apps zu informieren.

EY-Analyse zeigt unterschiedliche Marktentwicklungen der DiGAs auf

Um das zukünftige Marktwachstum und die damit entstehenden Kosten für Krankenkassen wie auch die Potenziale für DiGA-Hersteller einschätzen zu können, hat EY eine auf drei Szenarien basierende Marktextrapolation  durchgeführt.

Dabei wurden die folgenden, wesentlichen Wachstums- und Kostentreiber in unterschiedlicher Ausprägung berücksichtigt:

  • ärztliche Versorgungsquote: Anzahl und Bereitschaft der Ärzte, DiGAs zu verschreiben
  • Durchschnittspreis der DiGAs: von den Krankenkassen zu zahlender Preis für eine DiGA-Behandlung
  • Anzahl zugelassener DiGAs: durch den BfArM-Prozess vorläufig oder dauerhaft angenommene DiGAs

Darüber hinaus gibt es weitere gewichtige Einflussfaktoren auf die Marktentwicklung, die jedoch in allen drei Szenarien gleich berücksichtigt sind:

  • Faktor für Anschlussbehandlung: Annahme über die Fortführung einer DiGA-Behandlung nach Beendigung der ersten 90 Tage
  • DiGA-Substitutionsfaktor: Berücksichtigung sowohl der vorläufig angenommenen DiGAs, die nicht dauerhaft zugelassen werden, als auch einer nur unterproportional steigenden Nachfrage bei steigender Anzahl DiGAs, z. B. durch Konsolidierungen

Im Basisszenario erwarten wir eine kontinuierlich steigende Akzeptanz von DiGAs bei Ärzten, die sich in einer ebenso steigenden Anzahl Verschreibungen spiegelt. Den Durchschnittspreis der DiGAs belassen wir – trotz der momentan starken Diskussionen – über den gesamten Zeitraum bis 2025 unverändert auf dem aktuellen Niveau. Bis zum Ende des Betrachtungszeitraums wächst die Anzahl DiGAs auf 85 im Jahresdurchschnitt an. Das erwartete Marktvolumen liegt für 2025 bei 217 Millionen Euro.

Das Kostenszenario setzt bei der Preisentwicklung an und belässt die Parameter des Basisszenarios ansonsten unverändert. Bis 2025 kalkulieren wir in diesem Szenario mit einem kontinuierlichen Preisrückgang von derzeit über 400 Euro auf ca. 277 Euro je DiGA-Behandlung. Die reinen DiGA-Kosten für die Krankenkassen reduziert dieses Szenario um mehr als 70 Millionen Euro im Jahr 2025, für die DiGA-Hersteller bleibt ein Marktvolumen von ca. 146 Millionen Euro.

Im Wachstumsszenario steigt die DiGA-Akzeptanz der Ärzte schnell und deutlich, was in hohen Verschreibungszahlen resultiert. Den Durchschnittspreis belassen wir bis 2025 unverändert. In der Folge gewinnt der Markt nochmals an Attraktivität und die Zahl der zugelassenen DiGAs steigt auf mehr als 100 im Jahr 2025. Für die Krankenkassen bedeutet diese Entwicklung mehr als eine Verdreifachung ihrer Ausgaben auf dann ca. 700 Millionen Euro pro Jahr. In diesem Szenario würden sich DiGAs bereits ab 2027 zu einem Milliardenmarkt entwickeln.

Für eine derartige Marktdynamik müsste die offene Frage nach der Evidenz sicherlich eindeutig positiv beantwortet sein. Gleichzeitig wären damit deutliche, zusätzliche Belastungen für das Gesundheitswesen verbunden. Daher gehen wir nicht von einer derart dynamischen Entwicklung aus, sondern halten eine Orientierung am Basisszenario für sinnvoll. Dass DiGAs sich im deutschen Gesundheitsmarkt etablieren werden, zeigen auch die Vorbereitungen der gesetzlichen Krankenkassen. Sechs der zehn größten GKVs haben bereits einen vollständig digitalen Verordnungsprozess für Kunden etabliert und bewerben diesen entsprechend. Die DiGAs könnten somit durch die Kombination aus gesetzlichen Anforderungen, innovativen Startups und veränderungsbereiten Krankenkassen einen Beitrag zur Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens leisten.

  • Co-Autor: Felix Finck

    Felix Finck ist Consultant im Business Consulting bei EY. Seine Schwerpunkte liegen vor allem in der Strategieentwicklung und -umsetzung von digitalen Geschäftsmodellen und Produkten sowie im Management disruptiver Innovationen. Seine Branchenschwerpunkte liegen in den Bereichen Health Care, Banking und FinTech sowie erneuerbaren Energie- und Mobilitätsformen.

Fazit

In den ersten Monaten seit Start der digitalen Gesundheitsanwendungen zeigt sich ein noch kleines, aber wachsendes Feld an Apps – getrieben durch junge, schnelle Startups. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Wachstumstrend auf dem DiGA-Markt weiter fortsetzt und in den kommenden Jahren sogar beschleunigt. Dabei wird sich der Markt noch stark wandeln: Neue Akteure, neuer Wettbewerb, unterschiedliche Preisdynamiken und Evidenzanforderungen, die Gegenstand zahlreicher Diskussionen sind, kennzeichnen dieses sehr agile Umfeld. Daher lohnt es sich für DiGA-Hersteller, Krankenkassen, Gesundheitskonzerne und auch branchenfremde Akteure, die Marktentwicklungen aufmerksam zu beobachten und zur rechten Zeit entsprechende Handlungsoptionen abzuleiten.

Über diesen Artikel

Autoren
Regina Vetters

Partnerin Strategy & Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Hilft Unternehmen der Life Sciences und Krankenkassen in ihrer strategischen Ausrichtung und entwirft digitale Erfolgspfade für Produkte und Services.

Felix Schaffelhofer

Director Health Sector, EY Consulting GmbH | Deutschland

Erfahrung in Transformation, Strategie und digitaler Produktentwicklung; Fokus: Gestaltung der Zukunft der Krankenkassen.