6 Minuten Lesezeit 30 Mai 2023
Umweltfreundliches Bauen

Energetische Gebäudeanforderung: Wie Neubau und Sanierung gelingt

Von Anna Schümann

Partner, Strategy and Transaction, EY Real Estate GmbH I EMEIA

Spezialisiert auf Infrastrukturprojekte und Dekarbonisierung im Gebäudesektor. Lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Bad Soden am Taunus.

6 Minuten Lesezeit 30 Mai 2023

Immobilienbesitzer und Bauherren stehen vor komplexen Herausforderungen, um standardkonform und energieeffizient zu agieren.

Überblick
  • National und international werden Standards, Regularien und Verordnungen dynamisch entwickelt und umgesetzt, um Klimaziele im Immobilienbereich zu erreichen.
  • Förderungen sollen es Gebäudebesitzern ermöglichen ihren Bestand zu Sanieren oder Neubauten standardkonform zu errichten.
  • Immobilienbesitzer sollten sich frühzeitig einen Überblick über den Ist-Zustand ihres Portfolios machen, um „Stranded Assets“ und mögliche Strafen zu vermeiden.

Immobilienbesitzer und Bauherren sollten sich unbedingt einen Überblick über die aktuellen und zukünftigen Regularien, Standards und Änderungen im Bereich der energetischen Gebäudeanforderungen verschaffen, bevor sie in die Bau- oder Sanierungsplanung gehen.

Dazu gehört auch die europäische Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, die Energy Performance of Buildings Directive (EPBD). Sie ist 2010, als sogenannte „EBPB-Neufassung“, in Kraft getreten und wurde insbesondere 2018 novelliert. Die Richtlinie formuliert europäische Vorgaben für die Umsetzung des energieeffizienten Bauens und Sanierens und wirkt als zentrales Rechtsinstrument der Europäischen Union zur Förderung der Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden.

Sie besagt, dass seit Anfang 2021 alle neuen Gebäude in der EU als Niedrigstenergiegebäude – nearly zero-energy buildings (NZEB) – errichtet werden müssen. Dabei wird das NZEB als ein Gebäude mit einem Energiebedarf definiert, der sehr gering ist oder fast bei Null liegt. Der verbleibende Energiebedarf ist zu einem wesentlichen Teil aus erneuerbaren Quellen zu decken. Die Richtlinie überlässt den Mitgliedstaaten die Konkretisierung und die Umsetzung.

In Deutschland war die genaue Definition des Niedrigstenergiegebäudes lange Zeit unklar. Mit dem Anfang 2020 in Kraft getretenen Gebäudeenergiegesetz (GEG), welches das Energieeinspargesetzes (EnEG), die Energieeinsparverordnung (EnEV) und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes (EEWärmeG) zusammengelegt und ersetzt hat, wurde der Standard des Niedrigstenergiegebäudes spezifiziert. Dabei wurde das Referenzgebäudeverfahren zu Rate gezogen, das durch festgelegte Referenzwerte bei der Ermittlung des maximal zulässigen Primärenergiebedarfs nach dem GEG dient. Außerdem ist es in Geometrie, Gebäudenutzfläche und Ausrichtung identisch zum nachzuweisenden Gebäude. Demnach darf ein Niedrigstenergiegebäude höchstens das 0,75-fache des Primärenergiebedarfs eines entsprechenden Referenzgebäudes aufweisen.

Europäische Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden

2021

markiert den Start der Verpflichtung, dass alle neuen Gebäude in der EU als Niedrigstenergiegebäude gebaut werden müssen.

Nationale Förderungen – Was ist der aktuelle Stand?

Mit dem Ziel, Förderungen für Neubauten und Sanierungen einfacher zu gestalten, wurden im Jahr 2021 bestehende Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zur Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien im Gebäudebereich durch die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) zusammengefasst. Mit Bezug auf das GEG wurden Förderungen von Wohngebäuden (BEG WG), Nichtwohngebäuden (BEG NWG) oder Einzelmaßnahmen (BEG EM) unterschieden und in Form von Zuschüssen oder Krediten gewährt. Die Förderungen orientieren sich generell am Primärenergiebedarf des Referenzgebäudes.

Zum 24. Januar 2022 wurde die Bewilligung von Anträgen nach der BEG mit einem vorläufigen Programmstopp belegt, während zum 22. Februar 2022 die Förderung von Sanierungen wieder aufgenommen wurde. Die Neubauförderung zum Effizienzhaus 40 soll in Kürze wieder aufgenommen werden allerdings nur bis Ende 2022 und mit reduzierten Fördersätzen. Endgültig eingestellt wurde dahingehend die Neubauförderung des Effizienzhauses/Effizienzgebäudes 55 (EH55), da dieses gemäß Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) bereits heute praktisch Neubaustandard ist und bei der Überarbeitung vom GEG auch offiziell werden soll.

Ab 2023 soll ein neues Förderprogramm zum klimafreundlichen Bauen aufgelegt werden, das gemäß Koalitionsvertrag eine „klimapolitisch ambitionierte, ganzheitlich orientierte Förderung für neue Gebäude“ beinhalten soll. Besonders die Treibhausgasemissionen pro Quadratmeter sollen bei Wohngebäuden im Fokus stehen.

  • Exkurs: Nachhaltige Investitionen nach der EU-Taxonomie

    Seit 2022 müssen große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und Finanzdienstleister jährlich über die Nachhaltigkeit ihrer Geschäftstätigkeiten berichten. Die EU-Taxonomie beinhaltet auch eine Klassifizierung von „grünen” oder „nachhaltigen” Wirtschaftstätigkeiten im Gebäudebereich. Zur Klassifizierung als nachhaltige Investitionen muss bei Neubauten der Primärenergiebedarf des Gebäudes beispielsweise zehn Prozent unter dem definierten Standard des Niedrigstenergiegebäudes liegen.

    Im Bereich der Sanierungen von Bestandsgebäuden müssen die geltenden Anforderungen entsprechend dem GEG eingehalten werden oder eine Verringerung des Primärenergiebedarfs um 30 Prozent erzielt werden. Im Bereich „Erwerb und Eigentum“ müssen Gebäude, die vor 2021 gebaut wurden, beispielsweise einen Energieausweis der Klasse A haben oder alternativ nachweisen, dass sie in Bezug auf ihren Primärenergiebedarf zu den besten 15 Prozent des nationalen oder regionalen Gebäudebestands zählen.

EPBD: Kommende Veränderungen, Verschärfungen und verpflichtende Vorgaben

Am 15. Dezember 2021 hat die EU-Kommission im Rahmen des „Fit for 55“-Programms einen Vorschlag für eine Neufassung der EPBD-Richtlinie vorgelegt. Damit sollen die Vorgaben zur Energieeffizienz bei Neubauten und Bestandsgebäuden mit dem europäischen „Green Deal“ in Einklang gebracht werden und der Weg zu einem emissionsfreien Gebäudebestand bis 2050 geebnet werden. Die Bundesregierung hat bereits mit einer Stellungnahme und dem Koalitionsvertrag verdeutlicht, dass diese Anpassungen übernommen werden sollen.

Der überarbeitete Entwurf der EPBD-Richtlinie zeigt insbesondere auf, dass Neubauten zukünftig nur sehr wenig Energie verbrauchen dürfen und vollständig mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen. Der aktuelle Neubaustandard (Niedrigstenergiegebäude) soll daher zum Null-Emissions-Gebäude zero-emission building (ZEB) hin verschärft werden. Außerdem ist angedacht, dass das Treibhauspotenzial auf Grundlage der Lebenszyklusemissionen im Energieausweis angegeben wird. Dies ist als verpflichtende Vorgabe für Neubauten der öffentlichen Hand ab 2027 und für alle anderen Neubauten ab 2030 formuliert.

Mindeststandards für die Energieeffizient von Bestandsgebäuden

15 %

des Wohngebäudebestands eines jeden EU-Landes sollen laut der MEPS, die bis 2025 eingeführt werden soll, in Klasse G eingestuft werden.

Im Bereich der Bestandsgebäude sollen insbesondere Mindeststandards für die Energieeffizienz von Bestandsgebäuden, die minimum energy performance standards (MEPS), eingeführt werden. Zunächst soll diesbezüglich bis 2025 eine EU-weit harmonisierte Skala der Energieeffizienzklassen von A bis G eingeführt werden. Dabei sollen die 15 Prozent der Gebäude eines jeden Landes in Klasse G eingestuft werden, die in Bezug auf die Gesamtenergieeffizienz am schlechtesten abschneiden. Die übrigen Gebäude sollen gleichmäßig auf die anderen Klassen aufgeteilt werden, wobei emissionsfreie Gebäude der Klasse A zugeordnet werden.

Für Nichtwohngebäude innerhalb der Klasse G soll gelten, dass bis 2027 mindestens die Klasse F und bis 2030 die Klasse E erreicht werden muss. Unklar bleibt allerdings die nationale Ausgestaltung, insbesondere in Bezug auf die verschiedenen Nutzungsarten von Nichtwohngebäuden. Für Wohngebäude soll gelten, dass die 15 Prozent des Gebäudebestands mit der schlechtesten Energieeffizienz bis 2030 mindestens die Effizienzklasse F und bis 2033 die Klasse E erreichen müssen. Welche Folgen eine Nichteinhaltung für Immobilienbesitzer haben wird, ist ebenfalls noch unklar. Es könnten jedoch Strafzahlungen, wie bereits zum Teil jetzt schon im GEG formuliert, oder Vermietungsverbote als Konsequenzen auf Immobilienbesitzer zukommen.

Schließlich wird neben dem neuen Neubaustandard ZEB und den Mindeststandards für die Energieeffizienz von Bestandsgebäuden MEPS in der Neufassung des EPBD ein Vorschlag zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen thematisiert. Insofern ist angedacht, dass mit fossilen Brennstoffen betriebene Heizkessel ab 2027 nicht mehr für eine öffentliche Förderung in Betracht kommen sollen. Es wird zwar damit kein Ausstiegsdatum für mit fossilen Brennstoffen betriebene Heizkessel definiert, allerdings wird eine Rechtsgrundlage für nationale Verbote geschaffen, wodurch Mitgliedsstaaten die Möglichkeit erhalten, beispielsweise Anforderungen an die Art der verwendeten Brennstoffe festzulegen.

In Zukunft sollen Mindeststandards für die Energieeffizienz von Bestandsgebäuden eingeführt werden, sogenannte MEPS. Bis 2025 soll zunächst eine EU-weite, harmonisierte Skala etabliert werden, die in Energieeffizienzklassen von A bis G eingeteilt ist.

Die Vorgaben und Mindeststandards sowie die Förderprogramme im Gebäudebereich (Neu- und Bestandsgebäude) unterliegen aktuell einem sehr dynamischen Prozess. Welche konkreten Vorgaben auf Immobilienbesitzer zu kommen, bleibt spannend und abzuwarten. Dass weitere Verschärfungen und zeitnahe Verpflichtungen verabschiedet werden, ist allerdings gewiss. Dementsprechend sind Immobilienbesitzer aufgerufen, sich frühzeitig mit der Ist-Situation ihres Immobilienportfolios auseinander zu setzen, um Strafzahlungen und „Stranded Assets” –  „gestrandeten“ Vermögenswerten oder Ressourcen, die wertlos oder abgeschrieben werden, sobald ihre Kosten die Gewinne überschreiten – zu vermeiden.

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Fazit

Die Baulandschaft unterliegt stetigen Veränderungen, auch EU-seitig werden Regularien konsequent verschärft mit dem Ziel Gebäudestandards umzusetzen, die nachhaltig und klimafreundlich sind. Dabei sind Förderstrukturen teils mit Unsicherheit behaftet und die Gesetzeslage ist so dynamisch wie komplex. Bauherren und Immobilienbesitzer sollten sich einen guten Überblick über die Situation und den Ist-Zustand ihrer Gebäude machen, um bestmöglich agieren zu können und „Stranded Assets“ zu vermeiden.

Über diesen Artikel

Von Anna Schümann

Partner, Strategy and Transaction, EY Real Estate GmbH I EMEIA

Spezialisiert auf Infrastrukturprojekte und Dekarbonisierung im Gebäudesektor. Lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Bad Soden am Taunus.