7 Minuten Lesezeit 4 Februar 2021
Planzen und Glaskuppel im Hintergrund aus Froschperspektive

Sustainable Finance: Wie Finanzdienstleister den Klimaschutz unterstützen

Die Finanzbranche hat beim Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Ein Gespräch über den grünen Finanzmarkt.

Überblick
  • Was erwarten Aufsichtsbehörden künftig von Banken, Versicherungen und Anlagegesellschaften?
  • Wie sieht das neue Regelwerk aus und wie bereiten Anbieter sich darauf vor?
  • Welche Chancen ergeben sich für die Finanzbranche?

Auf dem Weg zum nachhaltigen Wirtschaften ist auch die Finanzbranche in der Pflicht. Investoren, Stakeholder und Anleger bemessen Kapitalanlagen immer stärker an ihren positiven Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft. Wichtige Rahmenbedingungen für die Finanzwirtschaft steckt der EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums ab („EU Action Plan: Financing Sustainable Growth“). Er ist Teil des Green Deals, der die Europäische Union bis 2050 klimaneutral machen soll. Eine entscheidende Maßnahme des Aktionsplans ist die sogenannte Taxonomie-Verordnung, die nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten an Hand von Kriterien klassifiziert. Im Interview erläutern Dr. Max Weber, verantwortlicher Partner für Sustainable Finance bei EY, und Robert E. Bopp, Director Financial Services, Sustainable Finance, die Verbindungen zwischen Klimaschutz und Finanzsektor.

Worum geht es bei den europäischen Nachhaltigkeitsinitiativen?

Weber: Mit den Initiativen will die EU Anreize für private und institutionelle Anleger schaffen, in nachhaltige Projekte zu investieren. Außerdem sollen so die damit verbundenen Risiken richtig erkannt, bewertet und gemanagt werden. Für die Marktteilnehmer bringen die Initiativen mehr Transparenz. Einen guten Eindruck, in welche Richtung diese Trends gehen, gibt der Zwischenbericht des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung.

  • Sustainable-Finance-Beirat: Berater in Sachen Nachhaltigkeit

    Der Sustainable-Finance-Beirat berät die Bundesregierung seit Juni 2019 bei der Ausarbeitung und Umsetzung einer Strategie für Nachhaltigkeit in der Finanzbranche. Neben Praktikern aus der Finanzdienstleistung und anderen Wirtschaftszweigen gehören Wissenschaftler und Vertreter von Verbänden und Aktionsgruppen dazu.

    Ziel ist es, Deutschland zu einem führenden Standort für Sustainable Finance zu machen. Gleichzeitig soll die Volkswirtschaft nachhaltiger aufgestellt werden.

    Hier informiert der Beirat regelmäßig über den aktuellen Stand der Diskussion.

Was bedeutet das für die Finanzdienstleister?

Bopp: Mit der Taxonomie-Verordnung hat die EU-Kommission ein Rahmenwerk erstellt, mit dem Investitionen anhand ihrer Nachhaltigkeit bewertet werden können. Um diese Einschätzung vornehmen zu können, müssen Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften eine ganze Reihe von Informationen bei ihren Geschäftspartnern abfragen, etwa von den Unternehmen, denen eine Bank Kredit gibt oder die eine Investmentgesellschaft in einen Fonds aufzunehmen beabsichtigt.

Zu Art und Umfang der benötigten Informationen und der Frage, wer welche Daten bereitstellen muss, wird eine lebhafte Diskussion geführt. Eins ist aber sicher: Der Informationsaustausch hilft Unternehmen und Finanzdienstleistern, ein transparentes Bild der wirtschaftlichen Aktivität zu erhalten. Mögliche Chancen und Risiken für ein nachhaltiges Wirtschaften lassen sich so besser einschätzen und früher erkennen. Für alle Beteiligten ist der Datenaustausch damit sowohl Bring- als auch Holschuld.

Die europäische Politik hat daher immer wieder deutlich gemacht, dass sie die Finanzwirtschaft bei dem Übergang in ein nachhaltigeres Zeitalter in der Pflicht sieht.
Robert E. Bopp
Director Financial Services, Sustainable Finance | Deutschland

Gibt es weitere Verbindungen zwischen Klimaschutz und Finanzsektor?

Bopp: Die Folgen des Klimawandels sind längst zu einem finanziellen Risiko geworden. Steigende Temperaturen, Starkregen, Dürreperioden oder Wirbelstürme beeinträchtigen direkt die Geschäfte vieler Unternehmen. Das schafft auch zusätzliche Risiken für Kreditinstitute, Versicherungen und Investmentgesellschaften. Hinzu kommen regulatorische Veränderungen in dem Bereich. Für Finanzdienstleister ist es daher essenziell, die Zusammenhänge immer wieder neu zu beleuchten und in ihrer Risikovorsorge und bei der Bilanzierung zu berücksichtigen.

Was man bei all den Herausforderungen nicht vergessen darf: Neue Produkte, die auf den Klimaschutz abzielen, bringen auch erhebliche Chancen für Finanzdienstleister und ihre Kunden. Durch zusätzliche Regulierung, aber auch eine hohe Innovationsbereitschaft dürften sich viele Unternehmen, die nach nachhaltigen Konzepten wirtschaften, in den kommenden Jahren positiv entwickeln. 

Der Klimawandel kostet Geld, die Anpassung an die Folgen des Klimawandels auch. In welcher Dimension liegen die Kosten für die Volkswirtschaften?

Bopp: Wir brauchen einen fundamentalen Umbau der Wirtschaft, das lässt sich nicht von der Hand weisen. Laut dem EU-Aktionsplan zur nachhaltigen Finanzierung benötigen wir bis 2030 jährlich 180 bis 250 Milliarden Euro zusätzlicher Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Derartige Volumina kann die öffentliche Hand nicht alleine stemmen. Die europäische Politik hat daher immer wieder deutlich gemacht, dass sie die Finanzwirtschaft bei dem Übergang in ein nachhaltigeres Zeitalter in der Pflicht sieht.

Eine wichtige Rolle bei der Finanzierung können sogenannte grüne Finanzanlagen, also nachhaltige Investments, von privaten Investoren spielen. Finanzdienstleister bieten dafür verstärkt Produkte mit mittelbarem und unmittelbarem Nachhaltigkeitsbezug an. Inzwischen gibt es fast zu jedem traditionellen Finanzprodukt eine grüne beziehungsweise nachhaltig ausgestaltete Variante. Green Loans oder Bonds etwa sind Kredite und Anleihen, die direkt der Finanzierung eines nachhaltigen Unternehmensziels dienen. Breiter definiert sind Produkte mit ESG-Link (Environment, Social, Governance). Sie dienen Zielen des Umweltschutzes, sozialer Gerechtigkeit und verantwortungsvoller Unternehmensführung.

Wieso sollten Investoren hier aktiv werden?

Weber: In den vergangenen Jahren wurde die Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit wegen der damit verbundenen Kosten häufig als Risiko betrachtet. Doch längst sehen Anleger sehr viel deutlicher die Chancen, die sich aus dem erforderlichen Umbau der Wirtschaft ergeben können und an denen sie mit den neuen Produkten teilhaben können. Das Spektrum reicht von Fonds, die in nachhaltige Forstwirtschaft investieren, über günstigere Hypothekenkredite für energieeffiziente Gebäude bis zu Tagesgeldkonten, aus deren Zinserträgen Bäume gepflanzt werden. So lassen sich neue Kundengruppen und neue Märkten erschließen, Nischensegmente können profitabel werden.

Die Taxonomie-Regeln sind ab dem 1. Januar 2022 anzuwenden. Wie können sich Unternehmen schon jetzt darauf vorbereiten?

Weber: Die Taxonomie ist letztlich ein Werkzeug, mit dem Unternehmen ihre Strategie und ihr Portfolio anpassen können, um die Nachhaltigkeit ihrer Kapitalanlage zu verbessern. Entscheidend ist dabei, Risiken besser offenzulegen. Am Anfang steht die Identifikation von Umwelt- und Klimaaspekten, die für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens entscheidend sind. Im nächsten Schritt geht es um nötige Anpassungen, um die Klimabilanz zu verbessern, und darum, diese mit den betroffenen Funktionsbereichen abzustimmen. Dabei können weitere Daten und Informationen erforderlich werden, um die EU-Taxonomie umzusetzen. Schließlich sollten sich die Anpassungen zur Bewältigung klimabedingter Risiken auch in den Unternehmenszielen, -strategien und -abläufen spiegeln.

Zahlreiche Details der Taxonomie wie auch anderer Teile des EU-Aktionsplanes sind derzeit noch in der Abstimmung. Für Unternehmen empfiehlt sich daher eine agile Implementierung, um die künftige Offenlegung vorzubereiten. Frühzeitige Schritte ermöglichen es, Beteiligte auf allen Unternehmensebenen mitzunehmen und ihre Kenntnisse einzubringen.

Was bedeutet nachhaltig im Sinne der Taxonomie?

Weber: Laut der Verordnung ist eine Wirtschaftsaktivität dann nachhaltig, oder taxonomiekonform, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem von sechs Klimazielen der EU leistet. Dazu zählen Klimaschutz, die Anpassung an den Klimawandel, eine nachhaltige Nutzung und der Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, der Übergang zu einer natürlichen Kreislaufwirtschaft (Circular Economy), die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie der Schutz und die Wiederherstellung der Artenvielfalt und Ökosysteme. Wichtig ist zusätzlich, dass die Wirtschaftsaktivität keinem der Klimaziele zuwiderläuft, was in der Verordnung mit „do no significant harm“ bezeichnet wird. Schließlich müssen eine Reihe von Mindestanforderungen in Bezug auf Soziales und Menschenrechte erfüllt werden.

Können Sie uns ein typisches Beispiel einer als nachhaltig eingestuften Investition geben?

Weber: Nehmen wir ein energieintensives Produktionsunternehmen. Das Unternehmen entscheidet sich dafür, einen Teil der Energie aus regenerativen Quellen zu beziehen und will dafür Photovoltaikanlagen auf seinen Produktionshallen installieren. Prüft die Bank den Kreditantrag, kann sie auch klären, ob das Vorhaben taxonomiekonform ist. Ist das der Fall, kann sich das zum Beispiel niederschlagen in einer geringeren Ausfallwahrscheinlichkeit und somit besseren Konditionen für den Antragsteller. Auf der anderen Seite kann die Bank dem Unternehmen auch helfen, Fördermittel zu beantragen, die für taxonomiekonforme Investitionen bereitgestellt werden.

Kann eine Bank auch entscheiden, nur noch solche Investments zu unterstützen?

Bopp: Ja, das könnte sie machen. Allerdings sind dabei Grenzen zu berücksichtigen, denn die Taxonomie stellt auf Tätigkeiten ab, nicht auf Finanzinstrumente. Damit lassen sich „braune Investments“ und „grüne Investments“ unterscheiden. Braun steht dabei für klimaschädlich, grün für zukunftsfähig beziehungsweise klimaschonend. Doch eine Aktie oder ein ganzes Unternehmen sind weder per se grün noch braun, es kommt darauf an, was und wie der Konzern produziert. Das kann sich innerhalb eines Unternehmens sogar von Geschäftsbereich zu Geschäftsbereich unterscheiden.

Wie weit sind die Finanzdienstleister mit den Vorbereitungen?

Bopp: Traditionell ist die Begeisterung für die Umsetzung neuer regulatorischer Vorgaben begrenzt, da sie Zeit, Personal und Budget kostet. Was die Banken aber nicht vergessen sollten: Mit neuen Produkten und Dienstleistungen lassen sich auch neue Marktsegmente erschließen und neue Kunden gewinnen.

Aktuell besteht die größte Herausforderung darin, die neuen Regeln in den Risiko- und Steuerungsmodellen abzubilden und mit den richtigen Daten zu füllen. Auf dieser Basis lassen sich Szenarien entwickeln und Stresstests berechnen, wie sie Aufsichtsbehörden künftig zunehmend fordern werden. Die Finanzmarktakteure haben verstanden, dass sich hier Chancen auftun, die die Risiken deutlich übertreffen. 

Fazit

Der Green Deal der EU, der für Klimaneutralität bis 2050 sorgen soll, nimmt auch Finanzdienstleister in die Pflicht. Mit der sogenannten Taxonomie-Richtlinie steht Banken, Versicherungen und Anlagegesellschaften ein Werkzeug zur Verfügung, mit dem sie Investments auf ihre Nachhaltigkeit hin überprüfen können. Zur Beurteilung sind zahlreiche Informationen notwendig. Werden diese offen dargelegt, verbessern sie das Verständnis für Risiken und verschaffen dem Markt eine deutlich größere Transparenz.