6 Minuten Lesezeit 26 Februar 2021
Rückansicht von zwei Frauen, welche auf einem Baumstamm im Park sitzen mit Sonnenuntergang im Hintergrund

Wie zwei Familienunternehmen die Nachhaltigkeit vorantreiben

Von Wolfgang Glauner

Leiter Marktaktivitäten Familienunternehmen, EY Corporate Solutions GmbH & Co KG | Deutschland

Wolfgang Glauner weiß, was Familienunternehmen bewegt, welche Herausforderungen sie haben und was ihre Erfolgsfaktoren sind. Er lebt mit seiner Familie in Stuttgart.

6 Minuten Lesezeit 26 Februar 2021

Die Klimawende braucht den Mittelstand. Vor ihm stehen hohe Auflagen und große Aufgaben. Doch die Dekarbonisierung lohnt sich.

Überblick
  • Durch die Klimaziele von EU und Deutschland steht gerade der industriellen Produktion eine tiefgreifende Transformation bevor.
  • Dr. Antje von Dewitz und Michael Durach sind als Unternehmensführer Vorreiter bei Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung und wissen, worauf es ankommt.
  • Mittelständische Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen. Gehen sie die Dekarbonisierung an, können sie in vielen Bereichen profitieren.

Klimapolitik ist längst raus aus der oft belächelten Öko-Nische und mitten im Zentrum der Wirtschaftswelt. Klimapolitik steht heute für die Transformation der Industrie hin zu völlig neuen Wertschöpfungsformen – und das bedeutet für den Mittelstand in Deutschland steigenden Druck und eine große Kraftanstrengung.

Bis 2030 will Deutschland die Emission von Treibhausgasen um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Die Europäische Union (EU) will bis 2050 klimaneutral werden, so legt es der European Green Deal fest. Die EU-Kommission will Anpassungen vieler Gesetze vorlegen, um diese Klimaziele zu erreichen. Kurz: Wer nicht am Markt vorbei wirtschaften will, kommt um die Dekarbonisierung nicht herum. Dekarbonisierung wird zur neuen Digitalisierung.

Wie kann Dekarbonisierung gelingen? Wie schafft man es, den ersten Schritt zu machen – und das Thema dann auch nachhaltig zu verfolgen? Welche Chancen bringt die Dekarbonisierung für den Mittelstand? Der Outdoor-Ausstatter VAUDE und das Familienunternehmen Develey Senf & Feinkost beschäftigen sich seit Jahren mit Nachhaltigkeit. Michael Durach, geschäftsführender Gesellschafter bei Develey Senf & Feinkost, und Dr. Antje von Dewitz, geschäftsführende Gesellschafterin bei VAUDE, sprechen im Rahmen der EY Private Lounge über Herausforderungen und darüber, warum die Devise „einfach machen“ helfen kann.

Wir lernen das von Start-ups: Lieber 80 Prozent richtig und schnell als hundertprozentig zu spät.
Michael Durach
Develey Senf & Feinkost GmbH

Dekarbonisierung im Mittelstand: Anspruchsvolle Ziele für größere Erfolge

Zwei Unternehmer, ein Zeitstrahl: Beide haben 2008/2009 mit der Dekarbonisierung in ihren Unternehmen begonnen, beide waren dabei extrem ambitioniert. „Wir haben uns von Anfang an die Null zum Ziel gesetzt. 2013 waren unsere Zentrale und das erste Werk in Unterhaching dann CO2-neutral. Seit 2011 haben wir unseren CO2-Fußabdruck an unseren deutschen Develey Produktionsstandorten um insgesamt 50 Prozent reduziert. Das wäre nicht möglich gewesen, hätten wir 2008 gesagt: Wir reduzieren mal um 20 Prozent“, ist Michael Durach überzeugt. Er führt ein Familienunternehmen, in dem die Devise seit jeher lautete: „Einfach mal machen.“ Auch Fehler gehören für ihn dazu. Das Wichtigste sei, sich anspruchsvolle Ziele zu setzen und weniger darüber nachzudenken, welche Effekte das für das Marketing oder für die Gewinn- und Verlustrechnung haben könne. „Sondern: Ist es gut für die Gesellschaft und für uns? Man kann ja korrigieren. Wir lernen das von Start-ups: Lieber 80 Prozent richtig und schnell als hundertprozentig zu spät.“

Ein Merksatz für Unternehmen, die sich bisher zu wenig oder noch gar nicht mit der Dekarbonisierung beschäftigt haben. Denn der Pfad zum Klimaziel 2030 wird mit radikalen Maßnahmen in der Regulatorik gepflastert sein, durch die steigende CO2-Bepreisung wird es auch zur betriebswirtschaftlichen Handlungsmaxime.

  • Mit Herzblut und Verantwortung: Dr. Antje von Dewitz und Michael Durach

    Dr. Antje von Dewitz übernahm 2009 die Geschäftsführung der VAUDE Sport GmbH & Co. KG von ihrem Vater, der das Unternehmen 1974 in Tettnang gründete. Der Jahresumsatz des mehrfach ausgezeichneten Unternehmens liegt bei rund 110 Millionen Euro, etwa 550 Mitarbeiter sind bei dem Outdoor- und Bergausrüster tätig. 2020 hat von Dewitz das Buch „Mut steht uns gut!“ veröffentlicht.

    Michael Durach ist geschäftsführender Gesellschafter der Develey Senf & Feinkost GmbH, die 1845 in München gegründet wurde. An den insgesamt 18 Standorten weltweit arbeiten über 2.000 Menschen für das Unternehmen, der Jahresumsatz beträgt rund 500 Millionen Euro. EY hat Develey 2019 als „EY Entrepreneur of the Year“ ausgezeichnet. 2020 erhielt das Unternehmen den Deutschen Nachhaltigkeitspreis.

Dass Unternehmen den Umbau als unüberwindbaren Berg vor sich sehen könnten, kann Dr. Antje von Dewitz nachvollziehen – auch sie brauchte zu Beginn viel Motivation. „Am Anfang ist das enorm viel und zähe Arbeit, erst einmal zu erheben, wo überall Emissionen und Verbräuche sind“, erzählt sie. Hinzu kam, dass sie – genau wie Michael Durach – nicht ernstgenommen wurde: „Der Handel meinte: ‚Ist ja nett, was ihr da vorhabt, aber nach Nachhaltigkeit fragt kein Mensch.‘ Die Banken sagten, wir sollten den Schmarrn doch lassen.“ Beide Unternehmer blieben dennoch unbeirrt und das, obwohl es noch keine Fördertöpfe und wenig Verständnis bei Mitarbeitern gab. „Den Kreis der Geschäftsleitung hatte ich gleich auf meiner Seite, aber in der Belegschaft bestanden zu Beginn  Zweifel und Sorgen, ob wir wissen, was wir tun. Ob das überhaupt erfolgreich sein kann“, erinnert sich die Volkswirtin.

EYCarbon

Die Dekarbonisierung treibt die nächste große Transformation voran, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit umgestaltet. Um die Herausforderungen der Dekarbonisierung zu meistern und die Chancen zu nutzen, haben wir EYCarbon gegründet.

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Corporate Social Responsibility ist Chefsache

Für die Unternehmen ist klar, dass Nachhaltigkeitsmanagement und Corporate Social Responsibility (CSR) von der Unternehmensspitze vorgelebt werden müssen, um eine Nachhaltigkeitskultur im gesamten Unternehmen zu etablieren. Bei VAUDE sorgt ein interdisziplinäres CSR-Team für die Verästelung des Themas in einzelne Bereiche. Die im vergangenen Jahr gegründete VAUDE Academy unterstützt auch andere Unternehmen beim Transformationsprozess zum nachhaltigen Wirtschaften. Bei Develey führt eine übergeordnete Mitarbeiterin die einzelnen Nachhaltigkeitsmanager an den verschiedenen Standorten, wo auch regelmäßig Roadshows für Fortbildung und Feedback stattfinden. Für Michael Durach ist das gegenüber seinen Mitarbeitern eine Sache des „klaren Commitments“: „Wenn ich merke, das Ganze ist eine klassische Marketing-Plattitüde, warum soll ich mich dann als Mitarbeiter engagieren? Wenn ich aber sehe, dass alle Ebenen daran arbeiten, möchte ich Teil dieser Kultur und Bewegung sein. Und dann machen alle mit.“  

Wir sind Teil eines Problems. Wir möchten aber Teil der Lösung sein. Das ist unsere ganzheitliche, unternehmerische Verantwortung.
Dr. Antje von Dewitz
VAUDE Sport GmbH & Co. KG

Es gab einiges mitzumachen beim Senf- und Saucenhersteller: Infrastruktur, Stromversorgung, Geothermie, Holzhackschnitzel- und Biokraftwerke, regionaler Senfanbau, jetzt Photovoltaik. Es wurde und wird neu und anders gedacht, neu- oder umgebaut. Zuerst vor allem, um der Verantwortung gerecht zu werden. Inzwischen auch, um wirtschaftlich zu bleiben. „Wir First Mover wurden von der Politik nicht belohnt, letztendlich machen wir das aus eigener Tasche, weil wir glauben, dass es zurückkommt. Aber da sind wir nicht unglücklich drüber und verzichten gezielt auf Profit. Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung zum Nulltarif gibt es nicht. Im Moment ist es teurer, das muss man in Kauf nehmen. Aber wenn wir sehen, wie die Emissionsziele immer weiter hochgehen, dann sind wir langfristig vorne“, sagt Betriebswirt Durach. Ein Punkt, in dem Antje von Dewitz ihm beipflichtet: „Wer sich keine Nachhaltigkeit leistet, ist bald vom Markt. Nachhaltigkeitsmanagement ist für mich eine moderne Businessdisziplin, die man sich ganz schnell aneignen sollte.“

Purpose als Voraussetzung für die Rekrutierung von Mitarbeitern

Der VAUDE-Firmensitz in Oberschwaben arbeitet seit 2012 klimaneutral, das Ziel lautet, dass es auch alle Produkte werden. Darum agiert von Dewitz mit Produktionspartnern im Ausland in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess, um auch dort das Thema Nachhaltigkeit zu implementierten und voranzutreiben. Von der Fair Wear Foundation, bei der VAUDE Mitglied ist und den Leader Status trägt, werden externe Produktionsstätten regelmäßig auditiert. Wer die hohen Standards nicht erfüllt, wird aus dem Verband ausgeschlossen und darf seine Produkte nicht mehr mit dem Nachweis kennzeichnen. Doch gerade solche Dinge seien mit Hinblick auf das sich ändernde Verhalten der Konsumenten wichtig, vor allem bei der jungen Generation. „Ich sehe es bei meinen Kindern, ich sehe es bei unserer Kundschaft, die in den vergangenen drei, vier Jahren deutlich jünger geworden ist. Die Jugend macht Druck, weil es um ihre Zukunft geht. Es gibt kaum mehr Start-ups ohne sozialen oder ökologischen Hintergrund.“ Darum appelliert Antje von Dewitz an die Politik, von den Unternehmen mehr Nachhaltigkeit einzufordern. Deutschland könne sich als nachhaltiges Land positionieren, müsse dafür aber auch bereit sein, unbequeme Entscheidungen zu treffen. „Ich erwarte, dass ein Lieferkettengesetz beispielsweise nicht endlos hinausgezögert wird“, sagt sie. 

Wir First Mover wurden von der Politik nicht belohnt, letztendlich machen wir das aus eigener Tasche, weil wir glauben, dass es zurückkommt. Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung zum Nulltarif gibt es nicht.
Michael Durach
Develey Senf & Feinkost GmbH

Dass eine nachhaltige Ausrichtung nicht allein für Konsumenten eine Rolle spielt, sondern auch bei der Personalrekrutierung, ist für Michael Durach ganz deutlich. Was er vor mehr als einem Jahrzehnt noch als „vererbungswürdige Unternehmensführung“ formulierte, umfasst heute der Begriff „Purpose“. Und der sei inzwischen ein Entscheidungskriterium für viele Bewerberinnen und Bewerber: „Wenn sich Unternehmen nicht danach ausrichten, wird es schwierig, die richtigen Mitarbeiter zu bekommen. Diejenigen, die engagiert sind, mitdenken und gemeinsame Ziele leben, die erreicht man nur über den Purpose-Ansatz.“

  • EY Private Lounge

    Die EY Private Lounge ist eine Plattform zum Erfahrungsaustausch und zur Vernetzung für Vorstände, Inhaber und Geschäftsführer von erfolgreichen mittelständischen Unternehmen und Familienunternehmen.

Michael Durach und Dr. Antje von Dewitz haben diesen Ansatz für ihre Unternehmen stringent und konsequent verfolgt und sind heute auf die Zukunft vorbereitet, in ökonomischer wie in regulatorischer Hinsicht. Auch wenn manche Hindernisse den Weg bis hierhin hemmten: Durch die Nachhaltigkeitsstrategie habe sich bei VAUDE ein großes Innovationspotenzial entfaltet, „weil wir Antworten suchen und uns Herausforderungen stellen“, erklärt Antje von Dewitz. Sie fasst zusammen, was für ihr Unternehmen im Hinblick auf nachhaltiges Wirtschaften gilt – und für alle gelten sollte: „Wir sind Teil eines Problems. Wir möchten aber Teil der Lösung sein. Das ist unsere ganzheitliche, unternehmerische Verantwortung.“

Fazit

Viele Mittelstandsunternehmen in Deutschland haben sich der nachhaltigen Unternehmensführung angenommen und treiben sie voran. Die übrigen sollten nachziehen, denn der Umbruch wird in Anbetracht der ambitionierten Klimaziele unaufhaltsam kommen. Dieser Druck kann Potenzial entfalten, wenn der erste Schritt erst einmal gegangen ist. Das wissen Dr. Antje von Dewitz, Geschäftsführerin von VAUDE, und Michael Durach, Geschäftsführer von Develey, aus eigener Erfahrung.

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Von Wolfgang Glauner

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Wolfgang Glauner weiß, was Familienunternehmen bewegt, welche Herausforderungen sie haben und was ihre Erfolgsfaktoren sind. Er lebt mit seiner Familie in Stuttgart.