5 Minuten Lesezeit 8 März 2022
Porträtfoto von Andreas Klautzsch

„Wir wollen in Europa die Nummer eins im Premium-Schuhsegment werden“

Von Wolfgang Glauner

Leiter Marktaktivitäten Familienunternehmen, EY Corporate Solutions GmbH & Co KG | Deutschland

Wolfgang Glauner weiß, was Familienunternehmen bewegt, welche Herausforderungen sie haben und was ihre Erfolgsfaktoren sind. Er lebt mit seiner Familie in Stuttgart.

5 Minuten Lesezeit 8 März 2022

Das Familienunternehmen Kennel & Schmenger fertigt seit 100 Jahren in Pirmasens Schuhe. Jetzt will es die Nummer 1 im Premiumsegment werden.

Überblick

  • Kennel & Schmenger gehört zu den letzten übrig gebliebenen Schuhmanufakturen in Deutschland.
  • Durch die Verbindung von Tradition und Lifestyle, Qualität und Chic hat sich das Unternehmen eine unverwechselbare Position geschaffen.
  • Kennel & Schmenger zeigt, wie sich ein mittelständisches deutsches Familienunternehmen international erfolgreich behaupten kann.

Das Familienunternehmen Kennel & Schmenger aus Pirmasens gehört zu den wenigen übrig gebliebenen Schuhfabriken in Deutschland. CEO Andreas Klautzsch erklärt, wie er aus dem ehemals klassisch ausgerichteten Unternehmen einen Fashion-affinen Premiumhersteller gemacht hat, der in seinen Produkten auf einzigartige Weise Tradition und Handarbeit mit Lifestyle, Chic und Luxus vereint. Und er verrät, welche Bedeutung Emotionen und Begehrlichkeiten bei jeder Kennel & Schmenger-Kollektion haben und warum Concept Stores, hippe Videoclips und Social-Media-Aktivitäten so wichtig sind, um nah am Kunden und am Puls der Zeit zu bleiben.

Kennel & Schmenger hat gerade sein 103-jähriges Firmenjubiläum gefeiert – und ist gleichzeitig eine der letzten übrig gebliebenen Manufakturen in der ehemaligen Schuhmetropole Pirmasens. Was hat das Unternehmen anders gemacht als die vielen anderen Schuhhersteller, die es heute nicht mehr gibt?

Andreas Klautzsch: Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist Kennel & Schmenger ein Familienunternehmen, das sich nie in den Vordergrund gespielt hat und eher bescheiden aufgetreten ist. Das Geld, das das Unternehmen in den Boomjahren verdient hat, ist im Unternehmen geblieben und nicht in irgendwelche Statussymbole geflossen. Das war bei vielen Pirmasenser Schuhherstellern anders. Die haben ihren Wohlstand gezeigt. Als dann die übermächtige Konkurrenz zuerst aus Süd- und Osteuropa und dann aus Asien kam, sind sie in Konkurs gegangen, weil es keine Rücklagen gab. Zum anderen haben sich die anderen Hersteller oft auf ein Produkt konzentriert. Wir sind breit aufgestellt und produzieren alles, von Sneakers über Pumps und Stiefeletten bis hin zu High Heels. Bei uns stehen der Kunde und der Markt im Vordergrund. Und schließlich haben wir uns in einer exklusiven Nische positioniert, was uns vom oft mörderischen Preiskampf befreit. Das macht uns zu einem guten Stück weniger angreifbar.

Andreas Klautzsch, CEO, Gesellschafter und Chef-Designer der Kennel & Schmenger Schuhfabrik, Pirmasens

Andreas Klautzsch, CEO, Gesellschafter und Chef-Designer der Kennel & Schmenger Schuhfabrik, Pirmasens

Sie sind 1995 ins Unternehmen eingestiegen und waren für den „Generationswechsel“ der Marke hin zu einem Fashion-affinen Premiumlabel verantwortlich. Wo und wie haben Sie den Schalthebel umgelegt und die Transformation geschafft?

Klautzsch: Es war nicht so, dass ich vom einen auf den anderen Tag einen Schalter umgelegt hätte. Die Transformation war ein langwieriger Prozess mit viel Überzeugungsarbeit. Wir haben früher klassische Schuhe produziert. Sie waren solide und hochwertig, aber nicht wirklich aufregend. Meine Idee war es, das Solide und Hochwertige, die Handwerkskunst beizubehalten, aber etwas Cooles zu machen. Unsere Schuhe sollten Emotionen wecken und ein besonderes Lebensgefühl ausdrücken. Die Kundin, die sich für einen Schuh von uns entscheidet, sollte nicht nur von der exzellenten Qualität, den hochwertigen Materialien und der perfekten Passform, sondern auch vom Chic, der Haptik und dem gewissen Etwas unserer Schuhe begeistert sein. Dafür steht die DNA von Kennel & Schmenger. Ich glaube, unser Team hat diesen Turnaround großartig geschafft. Jetzt kommt es darauf an, dass wir nicht stehen bleiben, sondern uns immer weiterentwickeln und am Puls der Zeit bleiben.

Was war die größte Herausforderung, die Sie bei diesem Turnaround bewältigen mussten? Und was der größte Erfolg?

Klautzsch: Wir wollten unsere Produktion unbedingt in Pirmasens behalten. Das war unser unverrückbarer Qualitätsanspruch – und zugleich unsere größte Herausforderung. Denn auch für uns mussten die Kosten irgendwie stimmen. Deshalb haben wir zwei zusätzliche Standorte in Ungarn aufgebaut, die nach unseren Standards produzieren. Über diesen Mix können wir die hohen Lohnkosten in Deutschland abfedern und weiterhin in Pirmasens Schuhe herstellen. Wenn wir uns damals nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten entschieden hätten, hätten wir die komplette Produktion ins Ausland verlagern müssen. Aber dann würde es uns heute auch nicht mehr geben; dies zeigt das Schicksal vieler anderer Hersteller. Unsere Produktion in Deutschland ist heute ein ganz starker Trumpf – und dass wir unseren Standort in Pirmasens halten konnten, unser größter Erfolg.

„Meine Idee war es, Handwerkskunst und Qualität mit Chic und Luxus zu verbinden. Dafür steht die DNA von Kennel & Schmenger. Ich glaube, unser Team hat diesen Turnaround großartig geschafft.“

Kennel & Schmenger verbindet Chic mit handwerklichem Können, Design mit außergewöhnlicher Qualität. Wie schaffen Sie diesen Spagat zwischen Tradition und Moderne?

Klautzsch: Das ist kein Spagat, sondern eine Kombination – und für mich die spannendste, die ich mir vorstellen kann. Mit ihr beschäftige ich mich 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche! Wir haben bei uns die einzigartige Möglichkeit, handwerkliches Können und Schuhmacherkunst mit Design, Chic und Luxus zu verbinden und so außergewöhnliche Schuhe herzustellen. Das hängt auch mit unserem Manufakturcharakter zusammen, der es uns erlaubt, unglaublich schnell und flexibel zu sein. Für die Entwicklung einer neuen Kollektion brauchen wir etwa sechs bis zwölf Monate. Unser Anspruch ist es, dass jedes Modell zum Zeitpunkt seines Erscheinens topaktuell ist; es muss die richtige Form und die richtige Farbe haben und aus dem richtigen Material sein. Und es muss Begehrlichkeiten wecken. Dazu gehört es auch, dass wir den Markt nicht überschwemmen. Unsere Schuhe sollen etwas Einzigartiges bleiben. 

„Der erste Corona-Lockdown hat uns bei der Digitalisierung einen Riesenschub nach vorn gegeben. In unserem digitalen Showroom, unseren Lifestyle-Videos und Social-Media-Communitys zeigen wir nicht nur unsere Produkte, sondern wir vermitteln ebenso Emotionen.“

Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei Ihnen im Unternehmen – in der Produktion, im Vertrieb, im Marketing und in der Kundenbindung?

Klautzsch: Die Schuhherstellung ist nach wie vor eine echte Handwerkskunst. Bis ein guter Schuh fertig ist, müssen mehrere Hundert Arbeitsschritte durchgeführt werden. Das erklärt auch den hohen Preis von handgemachten Schuhen. Gleichwohl spielt bei uns die Digitalisierung eine große Rolle – nicht so sehr in der Produktion, sondern vor allem im Vertrieb, im Marketing und in der Kundenbindung. Der erste Corona-Lockdown hat uns hier einen Riesenschub nach vorn gegeben. So haben wir von heute auf morgen einen digitalen Showroom aufgebaut, um unsere neuen Kollektionen virtuell zeigen zu können. Ebenso haben wir Lifestyle-Videos produziert und eigene Social-Media-Communitys ins Leben gerufen. Damit erreichen wir auch die jüngere Generation, die sich in den Social Media umschaut und dort ihre Anregungen erhält. In unseren Videos und Fotostrecken zeigen wir nicht nur unsere Produkte, sondern wir vermitteln auch Lebensgefühle und Emotionen, für die unsere Schuhe stehen.

Das „Direct to Customer“-Geschäftsmodell gewinnt immer mehr an Bedeutung. Wie reagieren Sie auf diesen neuen Trend?

Klautzsch: Wir haben bereits vor etwa zehn Jahren damit begonnen, uns in den Städten weiße Flecken zu suchen und dort unsere eigenen Concept Stores einzurichten. Damit haben wir den direkten Kontakt zu den Kunden und erhalten auch wichtige Anregungen von ihnen. Daneben stellen wir unsere Kollektionen auch im ausgewählten Einzelhandel aus. Ich halte es für wichtig, dass Kennel & Schmenger neben anderen Premiumherstellern steht. Unser Ziel ist es, 50 Prozent unserer Kollektion in unseren eigenen Stores und 50 Prozent im ausgesuchten Einzelhandel zu präsentieren. Auch hier gilt für mich: Wir wollen nicht unendlich viele Schuhe verkaufen, sondern eine exklusive Marke bleiben, die Wünsche weckt und Leidenschaften wachruft.

Leuchtturm von Cap de Formentor Mallorca Spanien bei Sonnenuntergang

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Nachhaltige und ressourcenschonende Produktionsmethoden gewinnen auch in der Textil- und Schuhindustrie immer mehr an Bedeutung. Welche Rolle spielt die ökologische Verantwortung bei Kennel & Schmenger?

Klautzsch: Sie spielt bei uns eine sehr große Rolle – nur haben wir bislang wenig darüber geredet. Das soll sich mit Janin Ullmann jetzt ändern. Sie ist unsere Markenbotschafterin, mit der wir gerade einen kleinen Clip über unsere ökologische Verantwortung gedreht haben. Diese beginnt damit, dass wir uns in der Produktion konsequent für Leder entschieden haben; Leder ist ein Abfallprodukt aus der Nahrungsmittelindustrie und muss nicht aufwendig hergestellt werden. Ebenso arbeiten wir mit lösungsmittelfreien Klebstoffen. Darüber hinaus haben wir sehr kurze Lieferketten, die sich allesamt in Europa bewegen: Das Leder beziehen wir aus Italien, und die Schuhe stellen wir entweder bei uns in Pirmasens oder in Ungarn her. Und wir produzieren keine Fast-Fashion-Schuhe, sondern Modelle, die – auch aufgrund ihrer hohen Qualität – über mehrere Saisons getragen werden können. All das schont die Umwelt. Wir stellen mit großer Freude fest, dass unsere Kundinnen und Kunden all das sehr schätzen. Das spornt unser Engagement an. So wollen wir demnächst auf unserem Werksdach in Pirmasens eine Photovoltaikanlage installieren.

„Nachhaltigkeit spielt bei uns eine sehr große Rolle. Und wir stellen mit großer Freude fest, dass unsere Kundinnen und Kunden das sehr schätzen. Das spornt unser Engagement an.“

Die Zukunft der Schuhindustrie in Deutschland und auch in Pirmasens hängt wesentlich vom Nachwuchs ab, der sich für den Beruf des Schuhmachers entscheidet. Was tun Sie, um die notwendigen Fachkräfte zu gewinnen?

Klautzsch: Das ist eine sehr große Herausforderung. Es geht darum, das Know-how, das wir hier in Pirmasens aufgebaut haben, auch zu behalten und an die nächste Generation weiterzugeben. Wenn uns das nicht gelingt, geht die Produktion hier verloren. Deshalb versuchen wir über Tage der offenen Tür oder den Besuch in Realschulen, junge Menschen für den Beruf des Schuhfertigers zu begeistern. Ebenso kooperieren wir auch mit der Schuhfachschule hier in Pirmasens. Mit unserem Produktionsstandort in der Stadt, unserer familiären Unternehmenskultur und unseren ausgefallenen Modellen haben wir es in den letzten Jahren wirklich geschafft, Menschen aus anderen Städten für unser Handwerk zu begeistern und zu uns zu holen – so, wie mich seinerzeit Klaus Kennel aus Bayern nach Rheinland-Pfalz geholt hat.

Was können andere mittelständische Unternehmen insbesondere aus der Schuh-, Leder- und Textilbranche, die mit der scheinbar übermächtigen Konkurrenz aus Osteuropa und Asien zu kämpfen haben, von Ihnen lernen?

Klautzsch: Man braucht eine große Vision, ein klares Konzept und muss genau wissen, wohin man will. Es kommt darauf an, seine Nische zu finden und sein ganz unverwechselbares Alleinstellungsmerkmal, seine nicht kopierbare DNA herauszustellen. Bloßer Durchschnitt reicht nicht aus. Darüber hinaus halte ich es für wichtig, kontinuierlich in neue Produkte zu investieren, sparsam, aber kein Sparfuchs zu sein, und langfristig zu denken und zu handeln. Ich glaube, dass gerade viele junge Kunden nicht nur großen Wert auf modischen Chic und unverwechselbares Design legen, sondern auch auf Qualität, Nachhaltigkeit und eine transparente und faire Produktion, die ohne globale Lieferketten auskommt.

„Erfolg braucht eine große Vision, ein klares Konzept und das genaue Wissen, wohin man will. Es kommt darauf an, seine Nische zu finden und sein ganz unverwechselbares Alleinstellungsmerkmal, seine nicht kopierbare DNA herauszustellen. Bloßer Durchschnitt reicht nicht aus.“

Wo soll die weitere Reise von Kennel & Schmenger hingehen? Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Klautzsch: Wir wollen in Europa die Nummer eins im Premium-Schuhsegment werden und mit den Luxusmarken auf Augenhöhe stehen. Wir wollen auch die Kundinnen für unsere Schuhe begeistern, die sich normalerweise nur im Luxussegment bewegen. Ich bin überzeugt, dass wir dies schaffen. Dafür stehen nicht nur Pirmasens und der Name Kennel & Schmenger, sondern unser ganzes Team, das tagtäglich einzigartige Schuhe designt, entwickelt und fertigt.

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Podcast Zukunft Familienunternehmen

Disruption. Transformation. Resilienz.

In unseren gemeinsamen Podcasts mit dem Lehrstuhl für Familienunternehmen der WHU – Otto Beisheim School of Management behandeln wir Top-Themen, mit denen sich der Mittelstand und Familienunternehmen im Zeitalter der Disruption auseinandersetzen müssen. Zusammen mit erfolgreichen Familienunternehmen diskutieren wir, worauf es ankommt, damit die Transformation gelingt.

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Fazit

Das Familienunternehmen Kennel & Schmenger aus Pirmasens gehört zu den letzten übrig gebliebenen Schuhfabriken in Deutschland. CEO Andreas Klautzsch hat die Firma in einem mehrjährigen Turnaround-Prozess von einem klassischen Schuhproduzenten zu einem Fashion-affinen Premiumhersteller umgebaut, der in seinen Produkten auf einzigartige Weise Tradition mit Zeitgeist und Chic vereint. Das Unternehmen hat es geschafft, sich in einer Nische zu positionieren und sich damit von den oft unerbittlichen Preiskämpfen befreit. Kennel & Schmenger zeigt, wie sich ein deutsches mittelständisches Unternehmen mit einer starken Vision und einer unverwechselbaren Produktpalette gegen die scheinbar übermächtige Konkurrenz aus Osteuropa und Asien erfolgreich behauptet.

Über diesen Artikel

Von Wolfgang Glauner

Leiter Marktaktivitäten Familienunternehmen, EY Corporate Solutions GmbH & Co KG | Deutschland

Wolfgang Glauner weiß, was Familienunternehmen bewegt, welche Herausforderungen sie haben und was ihre Erfolgsfaktoren sind. Er lebt mit seiner Familie in Stuttgart.