17 Minuten Lesezeit 17 Mai 2022
Angehörige der Gesundheitsberufe bei einer Besprechung im Krankenhaus

Welche Transaktionsmöglichkeiten die Ambulantisierung bietet

Autoren
EY Deutschland

Building a better working world

Florian Benthin

Digital Health Leader for EU Institutions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Leiter Transformation und Strategieberater. Er berät bei der strategischen Nutzung digitaler Technologien, um das Gesundheitswesen zu verändern.

17 Minuten Lesezeit 17 Mai 2022

Im Zuge der fortschreitenden Ambulantisierung in Deutschland wird das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) weiter an Bedeutung gewinnen.

Überblick
  • Der Marktentwicklung zugunsten der ambulanten Leistungserbringung gilt es durch gezielte Versorgungsangebote wie beispielsweise ein MVZ zu begegnen.
  • Somit steht der ambulante und damit auch der MVZ-Markt zukünftig einer gesteigerten Nachfrage ambulanter Behandlungen gegenüber, die es zu befriedigen gilt.
  • Damit dürften MVZ zukunftssichere Transaktionsobjekte eines wachsenden Marktes sein.

Spätestens seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie rückt der Stellenwert der Gesundheitswirtschaft, insbesondere der akutstationären Versorgungslandschaft, in den Fokus ganzer Nationen. Dabei handelt es sich um einen Markt, der seit Jahren ein steigendes Wachstum beziehungsweise Finanzvolumen sowie eine Verschiebung in den ambulanten Bereich verzeichnet – und somit auch für Investoren immer bedeutsamer wird. Der Zugang zu diesem Markt ist jedoch insbesondere für Krankenhäuser und Kommunen stark reguliert. Im folgenden Artikel wird der Fokus auf das medizinische Versorgungszentrum (MVZ) als Transaktionsobjekt gelegt, das im Zuge der fortschreitenden Ambulantisierung weiter an Bedeutung im Markt gewinnen wird. Zudem werden Chancen und Herausforderungen beleuchtet, die sich im Zuge einer Transaktion ergeben können. Abschließend wird im Rahmen eines Phasenmodells die nachhaltige und wirtschaftliche Vorgehensweise im Falle einer MVZ-Gründung beziehungsweise eines MVZ-Erwerbs dargestellt.

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Chapter #1

Relevante Zukunftstransaktionsobjekte

Medizinische Versorgungszentren und ambulante Niederlassungen stehen im Fokus.

Eine sich stark entwickelnde Branche mit immerwährend hoher Stabilität und zukünftig noch zunehmender Bedeutung: der Gesundheitssektor. Nicht nur die Gesundheitsversorgung selbst, sondern insbesondere auch der Trend hin zur Ambulantisierung werden in Zukunft die in den vergangenen Jahrzehnten aufgebauten Strukturen deutlich verändern und den Aufbau von beziehungsweise die Investition in neue Strukturen und Leistungserbringer fördern. Bestärkt wurde dieser Trend bereits durch die COVID-19-Pandemie und durch neue rechtliche Gegebenheiten: Die Ausweitung des Katalogs für ambulante Operationen (AOP), die durch das MDK-Reformgesetz im Jahr 2020 angestoßen wurde, ermöglicht eine umfangreichere Nutzung bereits bestehender ambulanter Behandlungsmöglichkeiten. Zudem wurden im Koalitionsvertrag (2021) Hybrid-DRGs (Diagnosis-Related Groups“, dt. diagnosebezogene Fallgruppen) vorgestellt, die zukünftig den vergütungsstrukturellen Fehlanreiz zwischen ambulanter und stationärer Versorgung gezielt beheben und damit die Ambulantisierung weiter vorantreiben sollen.

Der ambulante Markt tritt also immer weiter in den Fokus. Doch was genau umfasst er? Unter ambulanter Versorgung werden alle Leistungen subsumiert, die von niedergelassenen Ärzten, Psychotherapeuten und Zahnärzten erbracht werden. Dabei steht es diesen frei, ob sie Kassensitze kaufen oder einer bereits bestehenden ärztlichen Einrichtung beitreten. Zu beachten ist jedoch, dass der Zugang zum ambulanten Markt stark reguliert ist. Für Nicht-Vertragsärzte ist es nicht einfach, Leistungen im ambulanten Bereich zu erbringen.

Im Fokus stehen hier insbesondere Krankenhäuser. Originär der stationären Versorgung gewidmet fehlt ihnen der immer dringender benötige Zugang zum ambulanten Sektor, denn die Fallverschiebung von der stationären zur ambulanten Behandlung trifft gerade sie. Eine Kooperation mit Vertragsärzten löst das Problem meistens nicht, denn die so entstehenden ambulanten Fälle sind zu komplex und brauchen die Nähe zur stationären Versorgung. Eine der wichtigsten Möglichkeiten, als Nicht-Vertragsarzt den Zugang zur Leistungserbringung im ambulanten Sektor zu erhalten, ist das MVZ, das sowohl strategische als auch wirtschaftliche Vorteile bietet.

MVZ sind ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen mehrere ambulant tätige Ärzte eine interdisziplinäre Versorgung gewährleisten. Als Form der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung und damit als Bindeglied zwischen ambulanter und stationärer Versorgung bieten MVZ neben versorgungsfördernden Potenzialen auch wirtschaftliche. Um ein MVZ erfolgreich gründen beziehungsweise erwerben und betreiben zu können, gilt es, verschiedene Herausforderungen und Chancen zu berücksichtigen und gezielt anzugehen.

Steckbrief „Medizinisches Versorgungszentrum“ grafik
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Chapter #2

Der ambulante Gesundheitsmarkt

Die Herausforderungen und Risiken der Teilnahme sind vielfältig.

Die Herausforderungen und Risiken der Teilnahme am ambulanten Gesundheitsmarkt sind vielfältig und sollten nicht unterschätzt werden. So schränken beispielsweise rechtliche Rahmenbedingungen den Zugang zum ambulanten Markt ein. Herausforderungen entstehen aber auch durch die starke Segmentierung des Gesundheitswesens und durch Fehleinschätzungen von Markt- und Wettbewerbstendenzen beim Kauf eines MVZ. Im Folgenden wird auf diese Herausforderungen eingegangen und erläutert, wie sie bewältigt werden können.

Rechtliche Herausforderungen

Die Gründung oder Übernahme eines bereits bestehenden MVZ ist nicht nur von strategischen Überlegungen geprägt, sie ist vor allem aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen in der Umsetzung komplex und bedarf intensiver Planung und rechtlicher Beratung.

Hintergrund sind die Vorgaben des § 95 Abs. 1 a und 1b SGB V, in dem die Voraussetzungen für die Gründung eines MVZ geregelt sind. Dabei ist nicht nur relevant, wer Gründer und Träger eines MVZ sein kann. Diesbezüglich gilt eine klare Eingrenzung: zugelassene Ärzte, zugelassene Krankenhäuser, Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen nach § 126 Ab. 3 SGB V, anerkannte Praxisnetze nach § 87b Abs. 2 Satz 3 SGB V, gemeinnützige Träger, die aufgrund von Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, oder Kommunen, § 95 (1a) SGB V.

Wenn diese Hürde gemeistert und die Voraussetzungen geschaffen sind, können weitere rechtliche Herausforderungen darin bestehen, dass im Falle einer MVZ-Neugründung – und damit des Erwerbs von Kassenarztsitzen – das Zulassungsrecht beachtet werden muss. An dieser Stelle kann es unter Umständen kompliziert werden, denn neben der Einigung mit einem verkaufswilligen Vertragsarzt ist gemäß KV-Recht die Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) bei der Entscheidung darüber, wer einen Kassenarztsitz erwerben darf, erforderlich. Am Ende entscheidet der Zulassungsausschuss der KV. Gerade Nicht-Vertragsärzten ist zu empfehlen, sich intensiv mit den rechtlichen Regelungen zu beschäftigen und sich in dem Prozess rechtlich beraten zu lassen. Des Weiteren empfiehlt sich ein offener Austausch mit der zuständigen KV, denn in diesen Gesprächen können häufig Bedenken und Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.

Wurde ein Vertragsarztsitz erfolgreich erworben, gilt es, ihn im Rahmen der rechtlichen Bedingungen in das MVZ zu integrieren. Auch hier sind rechtliche Voraussetzung zu beachten, zum Beispiel die Anstellung des abgebenden Vertragsarztes auf dem Sitz oder die gegebenenfalls notwendige Sitzverlegung.

Einfacher ist es, eine bestehende MVZ GmbH zu erwerben, da hier die Vertragsarztsitze bereits Bestandteil des MVZ und die zulassungsrechtlichen Fragestellungen schon geklärt sind. Es geht dann lediglich um einen Trägerwechsel, nicht aber um die Übernahme einzelner Vertragsarztsitze. Entscheidend ist allerdings, dass auch für den neuen Träger die Gründungsvoraussetzungen des § 95 Abs.1 SGB V vorliegen müssen und dass auch der neue Träger eine Bürgschaftserklärung gegenüber der KV abgeben muss.

Damit entfällt zwar der komplexe Erwerbsvorgang eines Vertragsarztsitzes, dringend zu beachtende rechtliche Hürden und Voraussetzungen gibt es aber auch hier.

Aktuelle Gesundheitsstrukturen und Marktumfeld

Neben rechtlichen Herausforderungen bringen auch die Gesundheitsstrukturen beziehungsweise das Marktumfeld weitere Herausforderungen mit sich. Der deutsche Gesundheitsmarkt weist eine klare sektorale Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung auf: Während Krankenhäusern gemäß Krankenhausplanung die stationäre Leistungserbringung obliegt, übernehmen primär niedergelassene (Kassen-)Ärzte die ambulante Versorgung. Organisiert wird der ambulante Sektor durch die Kassenärztlichen Vereinigungen gemäß dem Sicherstellungsauftrag. Folgen der Sektorengrenzen sind jedoch unter anderem Versorgungsbrüche. Um diese zu mildern, haben Krankenhäuser die begrenzte Möglichkeit erhalten, mithilfe von Ermächtigungen, Regelungen zum ambulanten Operieren und des Erwerbs von Kassensitzen an der ambulanten Versorgung teilzunehmen. Die Problematik dieser gesundheitspolitischen Entwicklung besteht dennoch darin, dass sie keinem übergeordneten Konzept folgt, sondern auf Ad-hoc-Lösungen für einzelne Fragen der Gesundheitsversorgung basiert.

Auch die Vergütungssysteme beider Sektoren unterscheiden sich in ihrer Systematik stark voneinander. Die ambulante Versorgung orientiert sich am einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM), während stationäre Eingriffe mittels Diagnosis Related Groups (DRG) vergütet werden. Der medizinische Fortschritt ermöglicht, dass immer mehr zuvor stationäre Behandlungen auch ambulant erfolgen können. Diese werden je nach Behandlungsort jedoch sehr unterschiedlich vergütet. Die stationäre Vergütung ist meist signifikant höher als die ambulante, was den Fehlanreiz zu einer stationären Versorgung schafft und die unzureichende Ausschöpfung ambulanter Behandlungspotenziale impliziert.

Finanzielle Risiken durch „falsches“ Investment

Im Vergleich zu anderen MVZ-Trägern weisen krankenhausbetriebene MVZ häufiger negative Betriebsergebnisse auf. Diese Verluste werden oftmals auf ihre mangelnde Erfahrung im ambulanten Sektor zurückgeführt. Unabhängig von der Trägerschaft sollten in die Investment-Entscheidung die regionale Infrastruktur, die Wettbewerbssituation und die Bevölkerungsentwicklung einbezogen werden. Für Krankenhäuser ist darüber hinaus die Betrachtung des bisherigen Leistungsspektrums von zentraler Bedeutung, um eine langfristig wirtschaftliche Basis und eine intersektorale Versorgung zu schaffen. Ein Investment allein auf der Basis eines „Habenwollens“ oder des Ziels einer Zuweisungsoptimierung ist nicht nur wirtschaftlich, sondern kann auch rechtlich problematisch sein. Eine genaue, umfassende Identifikation und Analyse MVZ-gründungsrelevanter Faktoren ist folglich eine Herausforderung, die zur Sicherstellung eines erfolgreichen Investments und zur Vermeidung wirtschaftlicher Einbußen angegangen werden muss.

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Chapter #3

Vorteile eines MVZ als Transaktionsobjekt

Der Trend zum MVZ wird sich durch die fortschreitende Ambulantisierung weiter verstärken.

Trotz der im Vorfeld geschilderten Risiken, die sich im Zuge eines „falschen“ Investments ergeben können, lässt sich festhalten, dass MVZ als Transaktionsobjekte mit vielfältigen Vorteilen für den Investor verbunden sein können. Diese beruhen auf der aktuellen Marktentwicklung als Basis des Geschäftsmodells, auf der strategischen Platzierung des MVZ im Kontext angegliederter Leistungserbringer, auf der Realisierung eines zukunfts- und wettbewerbsfähigen Versorgungsmodells und auf dem Ausschöpfen wirtschaftlicher Potenziale.

Zukunftsfähiger Markt – ambulante Versorgung

Mit mehr als 12 Prozent der Bruttowertschöpfung und damit etwa 364,5 Milliarden Euro hat die Gesundheitswirtschaft eine erhebliche ökonomische Bedeutung in Deutschland. Mit einem jährlichen Wachstum von etwa 3,3 Prozent in den letzten zehn Jahren wuchs sie deutlich stärker als das Gesamtbruttoinlandsprodukt.

Die ambulante Gesundheitsversorgung, in deren Bereich auch MVZ fallen, verzeichnete in den letzten Jahren ein Wachstum von 3,6 Prozent p. a. in der Bruttowertschöpfung. Insbesondere im Rahmen der COVID-19-Pandemie nahm die ambulante Versorgung eine zentrale Rolle in der Basisversorgung der deutschen Bevölkerung ein und erreichte ein Wachstum von 5 Prozent der Bruttowertschöpfung im Vergleich zum Vorjahr.

Gesundheitswirtschaft und ambulanter Markt Grafik

Dieser Trend wird sich durch die fortschreitende Ambulantisierung des deutschen Gesundheitswesens in den kommenden Jahren weiter verstärken. Die Schaffung einer sektorenübergreifenden, wirtschaftlichen, aber dennoch patientenzentrierten zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung verlangt eine gezielte Ambulantisierung und ein Schnittstellenmanagement zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Der im SGB V verankerte Grundsatz des Wirtschaftlichkeitsgebots „ambulant vor stationär“, gestützt durch gezielte Reformen im Rahmen des im Jahr 2020 verabschiedeten MDK-Reformgesetzes, wie die Reformierung und Erweiterung des AOP-Katalogs, soll die Verlagerung bisher stationärer Leistungen mit ambulantem Potenzial in die ambulante Leistungserbringung vorantreiben. So zeigte sich bereits in den vergangenen Jahren eine steigende Leistungsentwicklung ambulanter Operationen in Höhe von 9,2 Prozent. Auch der Koalitionsvertrag zielt mit der Einführung von Hybrid-DRG und der Schaffung einer verbesserten ambulanten und wohnortnahen Gesundheitsversorgung auf die Reduktion beziehungsweise Entlastung derzeit vorgehaltener stationärer Strukturen und damit auf die Verlagerung von stationär zu ambulant ab. Diese Marktentwicklung zugunsten der ambulanten Leistungserbringung gilt es durch gezielte ambulante Versorgungsangebote wie beispielsweise ein MVZ zu begegnen. Folglich steht der ambulante und damit auch der MVZ-Markt zukünftig einer gesteigerten Nachfrage ambulanter Behandlungen gegenüber, die es zu befriedigen gilt, sodass das MVZ als zukunftssicheres Transaktionsobjekt eines wachsenden Marktes anzusehen ist.

Reaktionen auf den steigenden Nachfragebedarf im Sinne eines zunehmenden Behandlungsvolumens und der Identifikation von MVZ als zukunftssichere Organisationsform lassen sich am Markt bereits durch eine steigende Anzahl von MVZ erkennen. Das folgende Diagramm verdeutlicht den kontinuierlich zu verzeichnenden Anstieg grafisch und zeigt, dass sich seit 2011 ein Anstieg in Höhe von 112 Prozent verzeichnen lässt, der insbesondere in den letzten fünf Jahren noch stärker zugenommen hat.

Entwicklung der MVZ-Gesamtzahl Grafik

Insbesondere Krankenhaus- und Vertragsarzt-MVZ haben in den letzten zehn Jahren an Popularität gewonnen. Insbesondere der Anstieg um 140,6 Prozent bei Krankenhaus-MVZ spiegelt die zunehmende Reaktion von Krankenhäusern auf die Ambulantisierung wider.

Entwicklung MVZ-Trägerschaften Grafik

Strategische Ausrichtung

Die strategische Ausrichtung und demnach die wettbewerbsfähige Einbettung eines MVZ in den bestehenden Versorgungsmarkt entscheidet darüber, ob das MVZ als neuer Player am Markt erfolgreich bestehen und als gewinnbringendes Transaktionsobjekt agieren kann. Demzufolge ist es essenziell, den strategischen Ansatz des MVZ-Leistungsportfolios auf angegliederte beziehungsweise im Wettbewerb stehende stationäre Krankenhäuser auszurichten. Nur wenn die Fachrichtungen des stationären Leistungsangebots mit denen des MVZ übereinstimmen, können Synergieeffekte im Sinne einer übergreifenden Versorgung des Sektors erzielt werden. Darunter ist beispielsweise die „Versorgung aus einer Hand“ unter Entlastung der stationären (Notfall-)Strukturen durch die Behandlung ambulanter Fälle im angegliederten MVZ zu verstehen. Des Weiteren kann das MVZ eine Steuerungsfunktion übernehmen, indem der ambulante Versorgungsbedarf eruiert und eine eventuell im Anschluss notwendige stationäre Einweisung in das Krankenhaus erfolgen kann. Dadurch wird das Risiko der Infragestellung stationär durchgeführter Behandlungen durch den MDK gezielt vermieden und eine refinanzierte Leistungserbringung in ambulanten Strukturen gewährleistet.

Versorgungsmodell der Zukunft

Damit ein MVZ am zunehmend von Wettbewerbs- und Konkurrenzdruck geprägten Gesundheitsmarkt erfolgreich bestehen kann, ist der Aufbau eines zukunftsfähigen Versorgungsmodells entscheidend. Dabei lässt sich die Zukunftsfähigkeit im Falle eines MVZ aus verschiedenen Perspektiven und für verschiedene Stakeholder betrachten:

  • Medizinische Versorgung: Hinsichtlich einer immer älter werdenden Bevölkerung – und einer damit einhergehenden Multimorbidität – sind interdisziplinäre Behandlungsansätze und sektorenübergreifende Versorgungsangebote entscheidend. Durch die Anbindung eines MVZ an stationäre Leistungserbringer können ambulante und stationäre Behandlungen unmittelbar verknüpft werden. So kann der Patient innerhalb eines Unternehmens ganzheitlich, ohne Versorgungsbrüche versorgt werden. 
  • Fachkräftemangel: Seit Jahren verschärft sich der Fachkräftemangel im ärztlichen Dienst, wodurch ein Wettbewerb um gute Mitarbeitende entfacht wurde. Für diese spielt eine hohe Arbeitgeberattraktivität eine wichtige Rolle, die unter anderem durch Vereinbarkeit von Familie und Arbeit erreicht wird. Speziell im Rahmen eines MVZ lassen sich Beschäftigungsformen umsetzen, die im ambulanten Praxisalltag nicht möglich sind. So können Ärzte im Anstellungsverhältnis oder freiberuflich tätig werden (Vertragsärzte), wodurch das Tragen des unternehmerischen Risikos und eine flexible Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen beispielsweise durch Teilanstellungen im MVZ möglich sind.
  • Flächendeckende Gesundheitsversorgung: Der stationäre Versorgungsmarkt in Deutschland ist von zunehmender Zentralisierung und Spezialisierung geprägt. Ursächlich hierfür sind unter anderem Reformvorhaben zur Erfüllung von Strukturmerkmalen wie die Einführung beziehungsweise Ausweitung von Mindestmengen und Pflegepersonaluntergrenzen, die nur durch eine gebündelte, zentralisierte Leistungserbringung erfüllt werden können. Im Umkehrschluss bedeutet diese Entwicklung jedoch auch den Abbau stationärer Strukturen in ländlichen, gering besiedelten Gebieten. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich im ambulanten Bereich: Im ländlichen Bereich sinkt die Zahl der Arztpraxen, sodass die Menschen lange Warte- beziehungsweise Anreisezeiten haben. Durch den Aufbau von MVZ-Strukturen als verlängerten Arm stationärer Einrichtungen in benachbarten Städten bietet sich für ländliche Kommunen (Gemeinden, Städte, Landkreise und Bezirke) die Möglichkeit, weiterhin ein adäquates Versorgungsangebot für die dort lebenden Menschen zu gewährleisten.

„Wirtschaftlichkeitsobjekt“ MVZ

Wird die Wirtschaftlichkeit von MVZ betrachtet, lässt sich festhalten, dass diese in der Mehrzahl der Fälle profitabel arbeiten. Vor allem vertragsärztlich betriebene MVZ schätzen ihre betriebswirtschaftliche Gesamtsituation als überdurchschnittlich gut ein. Technikintensive Fachrichtungen sind hier besonders lukrativ. Wirtschaftliche Vorteile entstehen jedoch nicht nur durch die ausgewählte Fachrichtung, sondern auch durch die Ausschöpfung möglicher Synergieeffekte. So trägt eine effiziente Ressourcenauslastung durch eine gemeinsame Nutzung von Großgeräten oder verbesserte Preisgestaltung durch Mengeneffekte beim Einkauf von Verbrauchsmaterialien zur Kosten-Erlös-Effizienz bei.

Zudem kann sich ein MVZ auch auf die Wirtschaftlichkeit angegliederter stationärer Leistungserbringer positiv auswirken, indem das MVZ den Zugriff des angegliederten Krankenhauses auf dessen Versorgungskette erweitert und folglich eine Leistungs- und Umsatzsteigerung generiert. Des Weiteren trägt ein MVZ dazu bei, ein Krankenhaus von ambulanten und folglich gegebenenfalls im stationären Setting nicht refinanzierten Leistungen zu entlasten. Langfristig werden also Kosten gespart und der Gewinn maximiert.

Wie bereits erwähnt, sind seit 2011 zudem auch Kommunen berechtigt, MVZ zu gründen, und können wirtschaftliche Vorteile daraus generieren. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Gründung eines MVZ den flächendeckenden Ausbau der Gesundheitsinfrastruktur ermöglicht. Demzufolge können die Gesundheitschancen durch eine bessere und wohnortnahe Versorgung erhöht und mögliche Arbeitsausfallkosten vermieden werden. 

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Chapter #4

Bewertungs- und Gründungsschritte zukunftsfähiger MVZ

Die Basis für ein erfolgreiches MVZ ist die prospektive Erarbeitung eines Businessplans.

Um ein erfolgreiches und damit wirtschaftliches, versorgungsförderndes und nachhaltiges MVZ betreiben zu können, ist die prospektive Erarbeitung eines Businessplans und damit eine kritische Analyse und Bewertung aller gründungsrelevanten Aspekte erforderlich. Je nach Reifegrad des Unternehmens sind unterschiedliche Parameter zu berücksichtigen. Der Gründungsprozess von MVZ lässt sich, wie in folgender Abbildung dargestellt, in vier verschiedene Phasen unterteilen: Vorgründungsphase, Unternehmensplanungsphase, Gründungsphase und die Unternehmung selbst. Für jede Phase gilt es den strategischen Ansatz einer nachhaltigen und zielgerichteten Entwicklung zu verfolgen.

Gründungsprozess für medizinische Versorgungszentren grafik

Phase 1: Vorgründungsphase

Die Vorgründungsphase gilt auch als Experimentier-, Analyse- oder Konzeptionsphase. Ziel dieser Phase ist die Generierung, Analyse und Bewertung gründungsrelevanter Informationen. Neben der Vision sollte hier eine erste Einschätzung bezüglich der Erfüllung der Grundvoraussetzungen für die MVZ-Gründung gemäß § 95 SGB V durch Leistungs-, Markt-, Unternehmens-, Finanz- und Risikoanalysen erfolgen.

Die Abklärung rechtlicher Rahmenbedingungen wie beispielsweise der Regularien zu Gründungsvoraussetzungen, möglicher Rechtsformen sowie steuerrechtlicher Aspekte schafft Klarheit über die grundsätzliche Gründungsfähigkeit und sollte zur Mitigation von Folgekosten aufgrund einer Nicht-Gründungsfähigkeit frühzeitig erfolgen.

Die detaillierte Analyse und Bewertung des aktuellen Leistungsspektrums des Gründers ist bei der Gründungsentscheidung von zentraler Bedeutung. Unabhängig vom Gründer ist die Ist-Analyse aktueller Unternehmungen (etwa von Krankenhäusern, MVZ, Altenheimen oder ambulanten Pflegeeinrichtungen) zur Identifikation und Ausschöpfung wirtschaftlicher und versorgungsoptimierender Synergiepotenziale von zentraler Bedeutung.

In der Markt- und Standortanalyse gilt es neben den Rahmenbedingungen des Marktes (wie der aktuellen Gesundheitsgesetzgebung, Investitions- und Steuervorschriften, Regelungen zu lokalen Subventionsmöglichkeiten und weiteren, auch baurechtlichen Faktoren) insbesondere auch Standortfaktoren mit in die Analyse und Bewertung einer Gründungsentscheidung einzubeziehen. Die Standortanalyse sollte eine detaillierte Betrachtung von Wettbewerbsumfeld, Demografie, volkswirtschaftlichen Aspekten, Infrastruktur und Versichertenstruktur umfassen. Dies hilft bei der Einschätzung des Patientenzulaufs- und des wirtschaftlichen Potenzials eines MVZ unter Berücksichtigung seiner medizinischen Ausrichtung.

Phase 2: Unternehmensplanungsphase

Die Phase der Unternehmensplanung hat die Analyse der geplanten Unternehmung selbst und der damit verbundenen Leistungs- und Kostenstrukturen im Fokus. Die in der Vorgründungsphase identifizierten Markt- und Leistungscharakteristika ermöglichen die Identifikation gründungsinteressanter medizinischer Fachbereiche.

In Phase 2 gilt es, Unternehmensziele festzulegen und auch eine Rechtsform für das zu gründende MVZ auszuwählen beziehungsweise die Eigentumsverhältnisse für die potenzielle Gründung zu diskutieren. Ein weiterer und überaus wichtiger Schritt ist mit der initialen Aufstellung einer Aufbau- und Ablauforganisation auch die Vorausplanung und Berechnung der Personal-, Finanz- und Investitionsplanung.

Im Rahmen der Personalplanung ist neben der generellen Planung von ärztlichem und nichtärztlichem Personal die Tätigkeitsform beschäftigter Ärzte festzulegen. Sowohl die Beschäftigung angestellter als auch diejenige zugelassener Ärzte ist möglich, auch in Kombination. Insbesondere für das Anstellungsverhältnis gelten besondere Genehmigungsschritte, die in der Planung Berücksichtigung finden müssen.

Die Aufstellung einer kalkulatorischen Kosten- und Einnahmenstruktur hilft bereits in der Planungsphase, das Potenzial zu analysieren und eine den Gewinn beziehungsweise Verlust prospektiv zu schätzen.

Die Risikoanalyse sowie ein optimal strukturiertes Controlling sollten als Frühwarnsystem hinsichtlich der Prozesse, Strukturen, Kosten und Leistungen aufgebaut und kontinuierlich optimiert werden. Neben der Betrachtung zeitlicher Verschiebungen etwa im Bau, personeller Probleme und Veränderungen im Kapitalmarkt sollten die sich kontinuierlich verändernden rechtlichen Rahmenbedingung beobachtet werden, um eine optimale Ausrichtung und Reaktion des Managements zu gewährleisten und Risiken jeglicher Art zu mitigieren.

Phase 3: Gründungsphase

Sind die Analysen, Planungen und Bewertungen erfolgreich abgeschlossen, folgt die Gründung eines MVZ durch Übernahme oder Kauf eines oder mehrerer Kassensitze. Freie Sitze sind bei der jeweils für die Bedarfsplanung zuständigen KV anzufragen. Sind die Bedarfskapazitäten ausgeschöpft, ist der Zugang zur ambulanten Versorgung nur durch Kauf und Übernahme eines bereits bestehenden Kassensitzes oder MVZ möglich. Vor der Gründung ist neben der finalen Festlegung der Rechtsform und der Eigentumsverhältnisse auch eine finanzielle Bewertung von Praxisräumen und auch der Kosten für den Vertragsarztsitz selbst vorzunehmen. Hierbei sollten auch die Erkenntnisse aus den beiden vorangegangenen Phasen herangezogen werden, wenn dies nicht bereits auf der Basis des ausgewählten Standorts erfolgt ist.

Erhält das MVZ durch Zulassung beziehungsweise Übernahme eines Vertragsarztsitzes den Marktzutritt, gilt es, die IT-Infrastruktur, das Qualitätsmanagement sowie das Marketing und die Öffentlichkeitsarbeit aufzubauen und die in der Unternehmensplanung definierte Struktur- und Ablaufplanung umzusetzen.

Wird nicht selbst gegründet, wird die Gründungsphase durch den Kauf ersetzt. Eine kritische Hinterfragung der hier betrachteten Dimensionen sollte dennoch erfolgen.

Phase 4: Unternehmung

Nach Gründung oder Übernahme folgt die Unternehmung und damit die Bewährung und die Generierung von Wachstum am Markt. Die Etablierung eines Prozess- und Change-Managements sowie die kontinuierliche Optimierung der Leistungserbringung und des Leistungsportfolios sind von essenzieller Bedeutung, um sich auf sich verändernde Marktbedingungen schnell einzustellen und den Bedarfen gerecht zu werden. Zudem ist die kontinuierliche Analyse der finanziellen Dimension und der Prozesse bezüglich der Erlöse, Abrechnung und Kosten ausgesprochen wichtig, um kurzfristig reagieren und langfristig erfolgreich wirtschaften zu können.

Co-Autoren: Eva-Maria Haas, Renée Marie Kimmig und Steffi Mitzich

Dieser Artikel ist in seiner Originalfassung in der M&A Review (Ausgabe 04/2022) veröffentlicht worden.

Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass MVZ attraktive Transaktionsobjekte darstellen, die abhängig von der jeweiligen Fachrichtung und den potenziellen Synergieeffekten sehr lukrativ sein können. Die ambulante Versorgung und damit auch das MVZ sind Teil eines zukunftsfähigen Marktes und entsprechende Investition können mit einem hohen strategischen und wirtschaftlichen Potenzial für die jeweiligen Stakeholder einhergehen. Dennoch sollten die möglichen Herausforderungen nicht unterschätzt, sondern gezielt angegangen werden. Eine Hilfestellung und Orientierung bietet das beschriebene Phasenmodell, das eine strategisch hochwertige Umsetzung des MVZ-Gründungsvorhabens unterstützt.

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