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Dekarbonisierung im Unternehmen: Wie gelingen Prozesse und Strukturen?

Das EY-Dekarbonisierungsbarometer 2024/25 zeigt, wie Unternehmen das Thema in der Organisation verankern.


Überblick

  • Um die immer komplexere Aufgabenliste beim Thema Dekarbonisierung zu bewältigen, haben Unternehmen im Schnitt zwei bis drei Vollzeitstellen geschaffen.
  • Dekarbonisierung ist ein Schnittstellenthema: Jedes zweite Unternehmen agiert mit geteilten Verantwortlichkeiten.
  • Die größten Qualifizierungsdefizite gibt es beim regulatorischen Wissen und zum Datenmanagement.

Ist nachhaltiges Wachstum ein Widerspruch oder der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft? Unternehmen stehen heute vor einer entscheidenden Herausforderung: Können sie wachsen und gleichzeitig ihre Emissionen reduzieren? Diese Frage ist längst keine theoretische Diskussion mehr, sondern eine zentrale strategische Aufgabe, die alle Unternehmensbereiche betrifft. Doch wie gehen Unternehmen das komplexe Thema an? In unserem Gespräch mit Anna Wolf, Senior Managerin in der Nachhaltigkeitsberatung von EY-Parthenon, und Florian Huber, Partner in der Nachhaltigkeitsberatung und Leiter der EY Academies, werfen wir einen Blick auf die Verankerung der Dekarbonisierung im Unternehmen, die notwendigen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Denn klar ist: Dekarbonisierung ist eine Schnittstellenaufgabe – und deren Erfolg hängt maßgeblich von der richtigen Struktur und Qualifikation der Mitarbeitenden ab.

In diesem Gespräch wollen wir darauf schauen, wie sich das Thema Dekarbonisierung im Unternehmen organisieren lässt. Zum Einstieg deshalb die Frage: Wer ist am besten geeignet, um Strategie und Umsetzung voranzutreiben?

Anna Wolf: Von der Frage in dieser Form sollte man sich verabschieden – die Dekarbonisierung ist kein Thema, um das sich nur die Entwicklung oder ausschließlich die Produktion kümmert. Dekarbonisierung betrifft verschiedene Abteilungen im Unternehmen und für einen reibungslosen Ablauf der damit zusammenhängenden Prozesse braucht es eine durchdachte Organisation mit klaren Verantwortlichkeiten und Schnittstellen. Diese Sichtweise hat sich mittlerweile auch in der Breite in den Unternehmen durchgesetzt: Die Mehrheit verfolgt eine differenzierte Herangehensweise und betrachtet die Dekarbonisierung als Schnittstellenthema, für das es regulatorische, rechtliche und fachliche Expertise braucht.

EY-Dekarbonisierungsbarometer 2024/2025

Das EY-Dekarbonisierungsbarometer 2024/2025 zeigt: Trotz wirtschaftlicher Unsicherheit bleibt Dekarbonisierung für viele Unternehmen strategisch relevant – als Schlüssel zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz.

Luftaufnahme eines Waldes mit leuchtenden Lichtspuren eines Fahrzeugs.

Wer kümmert sich derzeit in den Unternehmen um das Thema Dekarbonisierung?

Anna Wolf: Diese Frage haben wir im Rahmen unseres aktuellen Dekarbonisierungsbarometers untersucht. Wir haben Entscheider:innen in 200 Industrieunternehmen gefragt, wer bei ihnen für das Thema verantwortlich ist. Die Antwort zeigt ein geteiltes Bild:  50 Prozent der Unternehmen haben eine:n Nachhaltigkeitsverantwortliche:n, die:der gesamthaft für die Dekarbonisierung verantwortlich ist. Die andere Hälfte der Unternehmen agiert mit verteilten Verantwortlichkeiten, wobei aber die Nachhaltigkeitsabteilung beziehungsweise der:die CSO grundlegend die Strategie verantwortet.

Eine solche differenzierte Herangehensweise ist bei der Dekarbonisierung als Thema mit vielen Schnittstellen wie gesagt sinnvoll. Deshalb ist es nur konsequent, dass zwei von drei Unternehmen bei den Verantwortlichkeiten für die Umsetzung der Dekarbonisierung zwischen den unterschiedlichen Scopes unterscheiden, also zwischen direkten Emissionen der Unternehmen (Scope 1), indirekten Emissionen, die aus dem Kauf von Energie entstehen (Scope 2), und Emissionen in der Lieferkette (Scope 3). Bei der Umsetzung der Scope-1-Ziele ist vor allem die Produktion involviert, bei der Umsetzung der Scope-3-Ziele primär der Einkauf.

Sprechen wir über nötige Ressourcen – lässt sich pauschal sagen, wie viel Arbeitskraft ein Unternehmen braucht, um die Dekarbonisierung ernsthaft anzugehen und die entsprechenden Maßnahmen umzusetzen?

Anna Wolf: Das hängt natürlich von der Unternehmensgröße ab, aber die Ergebnisse unserer Studie zeigen auch bei großen Konzernen eher moderaten Personaleinsatz. In 70 Prozent aller teilnehmenden Unternehmen beschäftigen sich fünf oder weniger FTEs ausdrücklich mit Dekarbonisierung, nur bei 7 Prozent sind es mehr als 30 Stellen. Im Schnitt treiben zwei bis drei FTEs mit 100 Prozent ihrer Zeit die Dekarbonisierung voran. Unternehmen mit mehr als 2.000 Stellen insgesamt haben im Schnitt fünf bis sechs Stellen für die Dekarbonisierung eingerichtet.

Wir wissen zudem, dass jedes dritte Unternehmen im Zuge der Dekarbonisierung neues Personal eingestellt hat, in drei Viertel aller Fälle in der Nachhaltigkeitsabteilung. In jedem zehnten Unternehmen waren dies mehr als fünf Beschäftigte. Wichtiger als die konkrete Zahl: Der Erfolg von Transformationsprozessen ist vor allem eine Frage der effizienten Organisation und des richtigen Set-ups.

Bei einem komplexen Schnittstellenthema wie der Dekarbonisierung müssen Unternehmen nicht nur viele Mitarbeitende weiterbilden, es braucht auch andere Ansätze. Wie steht es um das nötige Bewusstsein dafür in den Unternehmen?

Florian Huber: Das Bewusstsein ist auf jeden Fall vorhanden. Wir sehen, dass der Transformationsdruck für Unternehmen immer größer wird und dass immer mehr Unternehmen erkennen, dass es dafür auch neue Kompetenzen braucht. Auf der einen Seite drängt die Klimakrise, auf der anderen Seite fordern rasante technologische Entwicklungen die Unternehmen heraus. Es gilt, die Belegschaft für diese Themen und den damit verbundenen grundlegenden Wandel fit zu machen.

Die Umsetzung ist aber immer noch eine große Herausforderung. Auch nach Jahren der gesellschaftlichen Debatte über die Klimakrise ist fehlendes Know-how eine der größten Hürden bei der Dekarbonisierung in Unternehmen. Noch immer setzen nicht alle flächendeckend auf Trainings und Weiterbildung für ihre Belegschaft.

Wie viele Unternehmen haben Weiterbildungsmaßnahmen zur Dekarbonisierung in der Breite angestoßen?

Florian Huber: Das World Economic Forum hat in seinem „Future of Jobs Report“aus dem Jahr 2020 die These aufgestellt, dass 50 Prozent aller Beschäftigten bis 2025 neue Fähigkeiten brauchen, um mit den aktuellen Veränderungen in der Arbeitswelt Schritt zu halten. Das bedeutet, dass jede:r Zweite innerhalb der letzten fünf Jahre ein Up- oder Reskilling hätte durchlaufen müssen.

Soweit die Theorie. Wir haben im Rahmen unseres Dekarbonisierungsbarometers ermittelt, dass erst zwei Drittel der Unternehmen auf Trainings und Weiterbildung setzen, um die Dekarbonisierung in der Unternehmenskultur zu verankern. Ein Drittel hat also noch gar keine Maßnahmen ergriffen, um die Teams fit zu machen. Hier herrscht auf jeden Fall noch Handlungsbedarf.

Bei welchen konkreten Themen gibt es besonderen Bedarf an Weiterbildung?

Florian Huber: Qualifikationsdefizite in Bezug auf die Dekarbonisierung sehen die meisten Unternehmen (64 Prozent) im regulatorischen Wissen, gefolgt von Datenmanagement und Reporting (jeweils 53 Prozent). Ein bisschen besser sieht es beim Wissen zum Management von ESG-Risiken oder beim technischen Fachwissen zu Dekarbonisierung aus. Dass die Regulatorik als Top 1 genannt wurde, überrascht mich angesichts der zunehmenden Komplexität und Volatilität nicht.

Wir sehen aber nicht nur einen Veränderungsbedarf bei den Kenntnissen der Mitarbeitenden, sondern auch bei den Steuerungsstrukturen der Unternehmen. Vielerorts fehlt es an Incentives auf allen Ebenen: Weder Abteilungen noch Führungskräfte oder Mitarbeitende erleben, dass Dekarbonisierung in ihren Zielwerten hinterlegt ist.

Vielerorts fehlt es an Incentives auf allen Ebenen: Weder Abteilungen noch Führungskräfte oder Mitarbeitende erleben, dass Dekarbonisierung in ihren Zielwerten hinterlegt ist.

Ihr habt kürzlich die EY Academy of ESG gelauncht, mit der ihr Unternehmen dabei unterstützt ihren Mitarbeitenden die notwendigen Kompetenzen für die Transformation zu vermitteln. Was ist der besondere Ansatz der Academy?


Florian Huber:
Mit der EY Academy of ESG verfolgen wir einen wirtschaftsorientierten Ansatz. Nachhaltigkeit war jahrelang der große Hype – es gab kaum ein Unternehmen, das sich nicht mit „grünen“ Maßnahmen geschmückt hat. Dieser Hype ist spürbar zu Ende. Und das ist gut so, denn wir sehen, dass Unternehmen stattdessen beginnen, ESG als Business Case zu betrachten. Sie verstehen, dass die Dekarbonisierung zum wirtschaftlichen Wachstum beitragen kann, anstatt es auszubremsen. Diesen Ansatz nennt man auch Sustainomics. Mit ihm geht jedoch auch einher, dass wir alles, was wir ursprünglich mal über Nachhaltigkeit gelernt haben, neu lernen müssen. Hier setzt die Academy an.

Fazit

Das EY-Dekarbonisierungsbarometer 2024/2025 zeigt, dass sich mehr Unternehmen detaillierter und mit neuen Jobprofilen   der Dekarbonisierung widmen. Vielerorts gibt es eigene Nachhaltigkeitsverantwortliche, rund die Hälfte der befragten Betriebe setzt auf abteilungsübergreifende Zusammenarbeit ohne dezidiert zugewiesene Stellen.

Besonders oft fehlt es an Qualifikation zu regulatorischem Wissen, doch auch rechtliche und fachliche Expertise ist den Unternehmen wichtig.

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