Click & Collect Online-Shopping-Schild in einem Grünton

Wie E-Commerce-Geschäftsmodelle den Handel verändern


Der Handel erlebt einen rasanten Wandel und muss seine Geschäftsmodelle ständig anpassen.


Überblick

  • E-Commerce revolutioniert den Handel durch neue Geschäftsmodelle und räumliche Expansion.
  • Intensiver Wettbewerb und steigende Kosten erfordern strategische Anpassungen.
  • Die Wahl des richtigen Modells ist entscheidend für nachhaltigen Erfolg im digitalen Handel.

Jahrzehnte- und jahrhundertelang war der Handel stationär. Der Wandel war gleichwohl beständig. Tante Emma verlor im vorigen Jahrhundert zugunsten von SB-Märkten, es folgten Discounter und Hypermärkte, Filial- und Franchiseketten. Seit dem Beginn des Internetzeitalters befindet sich der Wandel im Turbomodus, er verläuft geradezu disruptiv. E-Commerce erlaubt völlig neue Geschäftsmodelle, ermöglicht unbegrenzte räumliche Expansion und die Akquise jedweder Kundengruppe. Die Kehrseite der Medaille: intensiverer Wettbewerb, höherer Kostendruck und sprunghaftere Kunden in vielen Produktkategorien. Mit der Einrichtung eines Online-Vertriebskanals ist es längst nicht mehr getan. Die Entscheidungsmatrix hat sich dramatisch verändert – sie ist umfassender, risikoreicher und mit mehr Beratungsbedarf denn je verbunden.

Abb.: Geschäftsmodelle entwickeln sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten
Relevanzentwicklung digitaler Geschäftsmodelle (EY-Einschätzung), 2000-2025

Grafik: Geschaeftsmodelle entwickeln sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten

  • Die Dotcom-Bubble markierte den ersten Hype-Zyklus des E-Commerce-Geschäftsmodells.
  • Die COVID-19-Pandemie verursachte einen deutlichen Schub im Online-Handel.
  • E-Commerce und Click & Collect sind dauerhaft gewachsene und integrale Bestandteile des Einzelhandelsgeschäfts.
  • Ein konstanter Anstieg der Relevanz von Marketplaces zeigt die zunehmende Wichtigkeit von Plattform-Ökonomien wie Amazon, eBay, OTTO etc.
  • Der starke Q-Commerce-Abfall nach 2020 zeigt eine Normalisierung des Bedarfs und mangelnde Nachhaltigkeit des Models als Stand-Alone-Geschäftsmodell

Die Optionen erkennen

Wer in der volatilen Handelswelt des 21. Jahrhunderts bestehen und gewinnen will, muss sich mit den unterschiedlichen Ausprägungen des Wandels, Implikationen und möglichen Handlungsoptionen tiefgreifend befassen. Es geht um

  • eine Kategorisierung der E-Commerce-Geschäftsmodelle und ihrer Entwicklung über die letzten Jahre,
  • ihre Kosten-Nutzen- und strategischen Implikationen und
  • eine Betrachtung ihrer Relevanz für unterschiedliche Produktwertversprechen.

E-Commerce-Geschäftsmodelle

Eine Definition und Kategorisierung von E-Commerce-Geschäftsmodellen ist notwendig und hängt von der jeweiligen Perspektive ab. Unternehmen verstehen unter E-Commerce mehrheitlich ein über den eigenen Online-Kanal bestellbares Produktangebot, das aus eigenen, oftmals für den Online-Vertrieb exklusiven Lagern und entweder durch eigene oder externe Dienstleister an den Endkunden geliefert wird. Konsumenten zählen auch Quick Commerce, Online-Marktplätze oder Hybrid-Modelle wie Click & Collect zum „E-Commerce“. Diese breitere Definition ist sinnvoll, da sich diese Geschäftsmodelle nicht immer nur ergänzen, sondern auch miteinander konkurrieren oder einander ersetzen können. Getrieben werden die Entwicklungen durch die Verfügbarkeit neuer Technologien, durch Skaleneffekte, aber auch durch Kundenpräferenzen und Preis-Schocks.

E-Com

Der klassische E-Commerce wuchs nach der Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende sukzessive in nahezu allen Produktkategorien und erreichte in der Lockdown-Phase der COVID-19-Pandemie als oftmals einzig möglicher Vertriebskanal sein Allzeit-Hoch. Aufgrund dieser Alternativlosigkeit wurden die gegenüber dem stationären Handel höheren Kosten kurzzeitig nachrangig. Doch nach Ende der Pandemie rückten sie wieder verstärkt in den Fokus und führten mit den gestiegenen Kosten für die letzte Meile und höherer Preissensitivität der Kunden zu einem Rückgang von E-Commerce. 

Abb.: Kosten-Nutzen-Erwägung
Kosten-Nutzen-Erwägung je digitalem Geschäftsmodell

Grafik: Kosten-Nutzen-Erwägungen

Strategische Implikationen

  • Hohe Kapital-, aber auch Kundenbindung bei Betrieb eines eigenen E-Commerce
  • Q-Commerce kann als weniger kapitalintensive Lösung genutzt werden und spezifische Kundenbedürfnisse erfüllen – aufgrund der zuletzt starken Marktkonsolidierung besteht aber das Risiko abnehmender Verhandlungsmacht sowie grundsätzlich der Verlust der Kundenbeziehung
  • Geringere Kapitalintensität und geringeres Warenrisiko, bei gleichzeitig noch besserer Kundendatenverfügbarkeit bei Nutzung von Marktplätzen (Kapitalintensität steigt mit Ausbau des Fullfilment-Angebots) und Click & Collect
  • Der Aufbau eines Marktplatzes erfordert starke Datenanalyse-Fähigkeiten und ggf. den Aufbau von Fulfillment-Strukturen – eine signifikante Umsatzsteigerung auch außerhalb der Kernsortimente ist möglich, allerdings auch eine Umsatzkannibalisierung und Markenverwässerung
  • Click & Collect erfordert starke Eingriff in die Abläufe des stationären Geschäfts und ist in vielen Produktkategorien für Kunden keine attraktive Option

C&C

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass der Convenience-Anspruch der Kunden vor allem in mittleren Preislagen und bei Basisprodukten sank und aufgrund von Inflation und der übergreifend abnehmenden Konsumlaune der Preis wieder stärker im Fokus steht. Händler setzen daher verstärkt Quick Commerce (Q-Com) und Click & Collect (C&C) ein, um keine kostspielige E-Commerce-Infrastruktur aufbauen zu müssen, die eigenen Kosten und den Preispunkt gegenüber dem Kunden niedrig zu halten und ein Mindestmaß an Convenience zu bieten. Das führt wiederum zu einer größeren Komplexität im stationären Geschäft, da dieses als E-Commerce-Warenlager und/oder Abholpunkt dienen muss und somit zusätzliche Ressourcen bindet und eine Anpassung der Governance ziwschen stationär und online, sowie optimierte Mulitkanal-Bestandsplanung erfordert.

Q-Com

Quick Commerce hatte während der Pandemie eine starke Phase auch aufgrund eines regelrechten E-Commerce- und Digitalisierungs-Hypes, der Investoren auch in wenig profitable und skalierbare Unternehmen drängte. Nach Ende der Pandemie, mit gestiegenen Zinsen und dem in den letzten Jahren wieder stärkeren Preisfokus in vielen Kategorien, verlor das Geschäftsmodell an Bedeutung und es setzte eine Konsolidierung. Viele der einst aufstrebenden Martkteilnehmer mit Fokus auf eFood (z. B. Gorillas) sind verschwunden, Geschäftsmodelle, die neben Supermarktwaren auch gastronomische Waren liefern (z.B. Wolt, Bolt) dominieren und sind für Händler dort eine Alternative, wo „außer Haus“ neu aufgebaut werden soll, die Kundennachfrage (noch) fragmentiert ist und eine eigene Fullfillment-Infrastruktur mittelfristig zu kostspielig erscheint.

Abb.: Skalierungsfähigkeiten bedingen fortlaufende Prüfung
Wechselwirkung zwischen Kundenmission und Produktkonsumzweck und Marktfaktoren

Grafik: Skalierungsfaehigkeiten bedingen fortlaufende Prüfung

Online-Marktplätze

Marktplätze haben sich in den letzten Jahren relativ konstant und nahezu unabhängig von exogenen Schocks entwickelt. Je nach Marktsegment, Marktphase und individueller strategischer oder taktischer Entscheidung dienen sie entweder der Neuausrichtung des Geschäftsmodells weg vom klassischen Handel hin zu einer datengetriebenen Plattform oder der opportunistischen Sortimentserweiterung bei gleichzeitiger Reduktion des Warenrisikos. Mögliche negative Effekte auf Markenwahrnehmung und Kannibalisierung der anderen Vertriebskanäle wird in letzterem Fall selten berücksichtigt und schafft erhebliche langfristige Geschäftsrisiken.

Produktwertversprechen

Die Bereitschaft der Konsumenten, zusätzliche Kosten für Convenience, die E-Commerce-Geschäftsmodelle in Form von schnellerer Produktverfügbarkeit, größerer Sortimentsbreite und -tiefe oder besserer Qualitäts- und Preisvergleichbarkeit bieten, zu tragen, hängt stark von bestimmten Faktoren ab. Dazu zählen die jeweils fokussierten Waren- und Kundengruppen (z. B. Convenience-, Experience-, Preis-Orientierung), der regionale Fokus und die Wettbewerbssituation. Dabei ändern sich die Präferenzen über die Lebens- und Einkommensphasen der Kundinnen und Kunden dynamisch.

Umsetzungsanforderungen wählen

Die jeweiligen Entwicklungen der Geschäftsmodelle gehen mit unterschiedlichen Kapitalanforderungen, Kompetenzanforderungen in Bereichen wie Sortimentssteuerung, Logistik oder Kundendaten-Management, Kundenwertversprechen und Möglichkeiten der Datensammlung und -verwertung einher. Je nach Input-Kosten und der Bereitschaft der Konsumenten, die entstehenden Zusatzkosten zu tragen, hat jedes Modell seine Existenzberechtigung. Das schafft allerdings mittelfristig unterschiedlich starke profitable Skalierungen und nachhaltige Kundenbindung, abhängig von den spezifischen Geschäftsmodellen und Marktbedingungen.

Ein Beispiel: Ein stationärer Händler, der seine Waren erstmalig auch online vertreiben möchte – beispielsweise nach dem Eintritt in einen neuen Markt – kann zunächst auf einen Quick-Commerce-Anbieter setzen. So vermeidet er den Aufbau kostspieliger Infrastruktur oder doppelter Bestände und kann schneller skalieren. Der Zugang zu den Kunden und die Kundendaten verbleiben jedoch beim Q-Com-Partner, während das Bestands- und Personalmanagement in der Filiale deutlich komplexer wird. Bei ausreichender Skalierung des Online-Geschäfts sollte daher evaluiert werden, eigene Online-Vertriebskompetenzen aufzubauen, um die Kundenbindung zu stärken und die Abhängigkeit von Q-Com-Partnern zu reduzieren.

Neubewertungen

Dies führt aktuell zur Neubewertung vieler Geschäftsmodelle. Die Folge: Auf- oder auch Abbau einzelner E-Commerce-Geschäftsmodelle, neue strategische Partnerschaften, Unternehmenskäufe und Insolvenzen. Den meisten B2C-Unternehmen mit überregionaler Präsenz und Wachstumsambition bleibt dabei klar, dass ohne E-Commerce sowohl Wachstum als auch Kundenbindung schwieriger werden, dass sich Kompetenzdefizite nur langsam und kostenintensiv ausgleichen lassen und dass sich aktuell aufgrund von Inflation und Konsumzurückhaltung kein schneller ROI realisieren lässt. Eine weniger verbreitete, aber ebenso wichtige Erkenntnis insbesondere für Multi-Kanal-Unternehmen, also Unternehmen, die sowohl stationär als auch online verkaufen, ist, dass E-Commerce in Wechselwirkung mit dem stationären Geschäft stehen kann und muss. Entgegen dem Narrativ rund um das Jahr 2020 schaffen hohe Online-Anteile am Gesamtumsatz für sich genommen noch keinen Mehrwert – insbesondere dann, wenn dies lediglich zu einem Shift in weniger profitable Preis- und Kundensegmente führt, ohne die bestehende Kundenbasis weiterzuentwickeln und insgesamt profitabel zu wachsen.

Neue Herausforderungen

Je nach Produktkategorie haben sich große Marktteilnehmer in den einzelnen Branchensegmenten für unterschiedliche Modelle entschieden und diese auch in den vergangenen Jahren fortlaufend verändert. Doch dies ist nur eine Momentaufnahme. Der Eintritt internationaler, insbesondere chinesischer Wettbewerber mit anderer Kapitalausstattung oder anderem Kompetenzportfolio, neue exogene Schocks oder auch die demografische Entwicklung erzwingen eine permanente Veränderungsbereitschaft.


Ansprechpartner: Jan-Sebastian Hovest-Engberding


Tax & Legal strategies for the digital economy –
Powering growth and international expansion

Disruptive digitale Geschäftsmodelle entwickeln sich dynamisch und prägen den Markt. Angesichts des raschen Wachstums und der sich ständig wandelnden regulatorischen Rahmenbedingungen müssen steuerliche Herausforderungen  proaktiv gesteuert werden, um Wachstum nachhaltig zu sichern.  Eine leistungsstarke Steuerfunktion schafft dabei messbaren Mehrwert für die gesamte Organisation.

Tisch mit mehreren Personen am Entwickeln

Fazit

E-Commerce-Geschäftsmodelle unterliegen einem stetigen Wandel, sind in ihren Ausprägungen und Wechselwirkungen deutlich komplexer und müssen dynamischer und resilienter sein als je zuvor. Ein allumfassend perfektes E-Commerce-Geschäftsmodell, das für jede Warengruppe und jedes Unternehmen gleichermaßen optimal ist, gibt es nicht. Neben einer punktuellen Bewertung der genutzten oder nutzbaren E-Commerce-Geschäftsmodelle für das eigene Unternehmen sollte strategisch fortlaufend der potenzielle Geschäftsmodell-Mehrwert mit Blick auf die dynamischen Kundenpräferenzen und die Entwicklung der relevantesten Wettbewerber geprüft werden. Eine umfassende Analyse der strategischen, operativen, finanziellen, rechtlichen und steuerlichen Implikationen ist erforderlich, um alle Kosten und Potenziale korrekt bewerten und zukünftige Anpassungen effektiv und effizient vornehmen zu können.



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