Der Fall in Kürze: Die Zollverwaltung gewährte einer Mandantin 2020 nach Abschluss eines Klageverfahrens Entlastungen nach §§ 9b, 10 Stromsteuergesetz für 2013 bis 2017. Mit Ausnahme der Prozesskosten wurden die Erstattungsbeträge aber nicht verzinst. Ende 2021 stellte EY einen Antrag auf Verzinsung beim Hauptzollamt. Dieser wurde abgelehnt und auch das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Nun hat das Finanzgericht Düsseldorf zugunsten der Verzinsung entschieden. Die Richter sehen einen Verstoß gegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts. Nicht nur die in der Abgabenordnung direkt gelisteten Tatbestände führen zu einer Verzinsung, das Unionsrecht kennt auch weitere Verzinsungstatbestände.
Starre Abgabenordnung
Das Urteil des FG Düsseldorf hat eine besondere Bedeutung für alle Unternehmen und Bürger, denen der Fiskus für bestimmte Steuererstattungen keine Zinsen gewährt. Dabei beruft sich die Finanzverwaltung regelmäßig auf die Abgabenordnung. Sie schreibt konkret vor, wann Zinsen – in jeglichen Konstellationen im Rahmen von Steuern und Abgaben – anfallen. Bei einem Blick in den Verzinsungsabschnitt der Abgabenordnung findet man diverse Tatbestände. Prozesszinsen, Zinsen bei der Aussetzung der Vollziehung oder Stundungszinsen sind beispielweise vorgesehen. Ein Paragraf widmet sich auch Erstattungszinsen. Jedoch fällt auf, dass in diesem Paragrafen nur Festsetzungen der „Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- oder Gewerbesteuer“ angesprochen sind. Dies schließt eine erhebliche Anzahl anderer Steuern oder Abgaben aus.
Im Einklang mit der Verfassung
Wird ein Sachverhalt in den einschlägigen Paragrafen nicht aufgezählt, wird auch nicht verzinst. Diese Sichtweise geht mit dem Grundgesetz konform. Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Kernbrennstoffsteuergesetzes entschieden. Es entschied zwar, dass die Kernbrennstoffsteuer mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig ist, und die Steuerpflichtigen erhielten die verfassungswidrig erhobenen Beträge zurück, jedoch ohne Verzinsung. Auf diese klagten die betroffenen Energieversorger im Nachgang – und unterlagen.
Zinswende
In Deutschland gilt der Steuererstattungsanspruch als eine Ausprägung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Dies folgt unmittelbar aus dem Grundgesetz. Sekundäransprüche, wie eine Verzinsung, folgen nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz. Diese muss der Gesetzgeber ins Gesetz schreiben. Tut er dies nicht, wird nicht verzinst. Allerdings steht in der Abgabenordnung explizit festgeschrieben, dass Verzinsungsansprüche auch aus dem Unionsrecht kommen können. Dies gilt auch für Sachverhalte vor 2022, da der deutsche Gesetzgeber das Unionsrecht nicht verbieten kann. Jedoch war zuvor der Hinweis nicht enthalten, was es deutlich schwerer machte, die Behörden von einer Verzinsung zu überzeugen.
EU-Systematik
Ausschlaggebend für die Änderung ist das Unionsrecht. Hier braucht es keine explizite Norm, die eine Verzinsung vorsieht. Die Richter des Gerichtshofs der Europäischen Union haben ihre Rechtsprechung in diesem Bereich über Jahrzehnte präzisiert. Einen Bruch darin gab es auch. Alter Auffassung zur Folge lag die Verzinsung im Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten. Da das europäische Recht kein eigenes Verfahrensrecht kennt, gilt grundsätzlich das nationale Verfahrensrecht. So kann Frankreich andere Fristen für Steuererklärungen anwenden als Deutschland. Über die Jahre kamen die Richter jedoch zu der Auffassung, dass das Unionsrecht den Steuerpflichtigen ein Recht auf Verzinsung zugesteht. Damit ist der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten in dem Bereich reduziert worden. Sie können noch die Formalität – das Verfahren – der Verzinsung regeln, aber nicht, ob eine Verzinsung überhaupt zu gewähren ist. Das regelt bereits das Unionsrecht.
Praktische Auswirkungen
Wie können Steuerpflichtige nun davon profitieren? Von Amts wegen wird die Verzinsung nach dem Recht der Europäischen Union nicht gewährt, Steuerpflichtige müssen selbst aktiv werden. Je nach relevantem Verzinsungszeitraum haben sie dafür ein oder zwei Jahre Zeit. Jegliche Steuer oder Abgabe, die dem Unionsrecht unterliegt, ist damit angesprochen. So haben der Gerichtshof der Europäischen Union und auch diverse deutsche Gerichte bereits Steuer- bzw. Abgabenpflichtigen Zinsen für Stromsteuern, Antidumpingzölle und Kapitalertrag- oder Abzugsteuern zugesprochen.
Kann auch für nationale Normen gelten
Mittlerweile ist auch juristisch geklärt, dass sich Steuerpflichtige auf den unionsrechtlichen Verzinsungsanspruch berufen können, wenn Steuererstattungen aus der falschen Anwendung rein nationaler Normen resultieren. Es reicht dafür aus, wenn die nationalen Normen auf EU-Recht basieren. Solch ein Sachverhalt lag jüngst in einem von EY geführten Verfahren vor. Der Bundesfinanzhof kassierte die falsche Anwendung einer Norm im Stromsteuergesetz durch das Hauptzollamt. Diese Norm war nicht vom Unionsgesetzgeber im Rahmen der verpflichtenden Umsetzung der Energie- und Stromsteuerrichtlinie gefordert, sie beruhte vollkommen auf Erwägungen des deutschen Gesetzgebers und kann somit als nationale Norm angesehen werden. Im Nachgang zum erfolgreichen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof sträubte sich das Hauptzollamt, die gewonnene Erstattung zu verzinsen. In einem zweiten Verfahren entschied dann das Finanzgericht Düsseldorf, dass auf die Erstattung auch Zinsen zu gewähren sind.
Co-Autor: Ralf Reuter