Kindererziehungszeiten im EU-Ausland
Die Rentenversicherung muss bei der Berechnung der Rentenhöhe auch Kindererziehungszeiten in einem anderen EU-Mitgliedstaat berücksichtigen. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 07.07.2022 entschieden (C-576/20). Im Streitfall hatte die österreichische Pensionsversicherungsanstalt Kindererziehungszeiten in Belgien und Ungarn bei der Ermittlung der Rentenhöhe außer Acht gelassen. Auch die deutsche Rentenversicherung erkennt Zeiten der Kindererziehung im Ausland grundsätzlich nicht an, wobei für Entsendungen regelmäßig Ausnahmen vorgesehen sind.
Erziehung der Kinder im EU-Ausland
Die Klägerin, eine Österreicherin, war vor ihrem Umzug nach Belgien im November 1987 in Österreich selbständig tätig und studierte im Anschluss daran im Vereinigten Königreich. Danach zog sie nach Belgien und brachte dort zwei Kinder zur Welt. Ab der Geburt ihres ersten Kindes im Dezember 1987 widmete sie sich der Erziehung ihrer Kinder. Sie übte keine Beschäftigung mehr aus und erwarb keine Versicherungszeiten. Im Dezember 1991 lebte sie in Ungarn.
Danach Pflichtversicherung in Österreich
Nach ihrer Rückkehr nach Österreich im Februar 1993 nahm die Klägerin dort wieder eine selbständige Tätigkeit auf. Sie kümmerte sich für weitere 13 Monate um die Erziehung ihrer Kinder, war jedoch pflichtversichert und entrichtete Beiträge zum österreichischen Sozialversicherungssystem. Danach arbeitete sie und zahlte bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand weiterhin Beiträge in Österreich.
Keine Anerkennung der Kindererziehungszeiten im EU-Ausland
Die österreichische Pensionsversicherungsanstalt berücksichtigte bei der Berechnung der Rentenhöhe nur die Kindererziehungszeiten in Österreich, nicht jedoch diejenigen in Belgien und Ungarn. Die Österreicherin ging gegen diesen Bescheid vor. Der Oberste Gerichtshof in Wien, bei dem nach erfolglosem Vorverfahren die Revision anhängig ist, rief den EuGH an.
Recht auf Freizügigkeit verletzt
Der EuGH entschied, dass auch die Kindererziehungszeiten im EU-Ausland berücksichtigt werden müssen. Wenn die Klägerin Österreich nicht verlassen hätte, wären ihre Kindererziehungszeiten bei der Berechnung ihrer österreichischen Altersrente berücksichtigt worden. Somit ist sie nur deshalb benachteiligt, weil sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. Dies verstoße gegen Art. 21 AEUV und daher seien die Kindererziehungszeiten in den anderen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen.
Handlungsempfehlung
Für die Erziehung eines Kindes schreibt die deutsche gesetzliche Rentenversicherung (auf Antrag) bis zu 36 Monate Kindererziehungszeiten gut. Doch auch hier ist es für die Anerkennung grundsätzlich erforderlich, dass die Eltern in Deutschland gelebt haben. Auch bei Auslandseinsätzen greifen die Ausnahmeregelungen nicht in jedem Fall.
Die geschilderte Problematik kann nicht nur bei Entsendungen auftreten, sondern etwa auch im Zusammenhang mit Remote Work oder Lokalisierungen in anderen Ländern. Arbeitgeber sollten ihrer Fürsorgepflicht nachkommen, indem sie potenziell betroffene Beschäftigte auf mögliche sozialversicherungsrechtliche Risiken für sie selbst bzw. ihre Lebenspartner und eventuellen Handlungsbedarf hinweisen. Aufgrund der hohen Komplexität der Regelungen empfiehlt es sich, Zweifelsfragen mit dem zuständigen Rentenversicherungsträger zu klären.
Kontaktpersonen: Thorsten Koch und Nancy Adam