6 Minuten Lesezeit 25 Februar 2021
Gruppe von Menschen, die einen Laptop für ein Online-Meeting per Videoanruf verwenden.

Virtuelle Integration: Zehn Schritte, damit sie auch remote gelingt

Von Georg Beckmann

Leiter Buy & Integrate Services, EY Strategy & Transactions GmbH I Deutschland

Verfügt über langjährige Erfahrung in der Transaktions- und Managementberatung von globalen und europäischen Unternehmen in der Telekommunikations-, Medien- und Technologiebranche.

6 Minuten Lesezeit 25 Februar 2021

COVID-19 zwingt Unternehmen nach der Transaktion zum Umdenken: Globale Integrationen lassen sich auch rein virtuell steuern und umsetzen.

Überblick
  • Eine virtuelle Integration muss von Anfang an im digitalen Raum gedacht werden und Führungskräfte beider Unternehmen müssen einbezogen werden.
  • Deutliche und transparente Kommunikation sowie Verständnis für andere sind umso wichtiger, wenn persönlicher Austausch nicht möglich ist.
  • Regelmäßigkeit und Kreativität sind Erfolgsfaktoren für virtuelle Meetings.

Die COVID-19-Pandemie erschwert die entscheidenden Phasen von Übernahmen und Fusionen (Mergers and Acquisitions, M&A). Besonders nach dem Zusammenschluss zwischen den beiden betroffenen Organisationen sind physische Treffen wichtig, um sich kennenzulernen und die Integrationsmaßnahmen abzustimmen – nun müssen sie größtenteils virtuell stattfinden.

Doch ebenso wie Aufgaben im Rahmen einer Due Diligence im Laufe der Jahre mit Cloud-basierten Datenräumen immer digitaler geworden sind, ist auch eine virtuelle M&A-Integration möglich. Wenn sie gut ausgeführt wird, kann sie zu einem Wettbewerbsvorteil für Transaktionen werden.

  • Co-Autor: Franco Pörtner

    Franco Pörtner ist Partner im Bereich Strategy and Transactions. Seine Schwerpunkte liegen insbesondere in der ganzheitlichen Beratung im Rahmen von Akquisitionsprojekten – von der Strategieentwicklung über die Planung bis hin zur Durchführung von Integrationen. Zu seinen Kunden gehören große internationale Konzerne in den Sektoren Automotive, Transportation und Industrial Products sowie der gehobene deutsche Mittelstand.

Erfolgreiche Transaktionen trotz Pandemie

Trotz virtueller Leistungserbringung, der aktuellen COVID-19-Pandemie und der volatilen Marktzustände können bei gezielter Planung und Umsetzung Transaktionen erfolgreich abgeschlossen werden. Kreativität und entsprechende Tools und Ansätze helfen dabei, Hindernisse zu überwinden. Beispielsweise unterstützte kürzlich ein Team von EY bei der Durchführung einer vollständigen globalen Remote-Integration von der Ankündigung des Deals über den Abschluss bis hin zur Nachbereitung. Dabei gelang es, bis zu 40 Prozent mehr Synergien zu identifizieren als im Deal-Modell festgehalten. 

Bis zu

40%

mehr Synergien können identifiziert werden als im Deal-Modell festgehalten.

Folgende zehn Schritte bieten Orientierung auf dem Weg zur virtuellen Integration:

1. Due Diligence ausbauen und virtuellen Clean Room aufsetzen

Das Integrationsteam muss die virtuellen Due-Diligence-Datenräume ausbauen, um sensible Informationen dort einzupflegen. Das ist wesentlich für die Aufnahme der Analyse durch das Clean-Room-Team. Mithilfe digitaler Due-Diligence-Tools und der Analyse in der Cloud wird schon vor Vertragsschluss ein virtuelles Set-up geschaffen.

2. Führungskräfte und Integrationsteam vernetzen

Führungskräfte schon in der Integrationsplanung einzubeziehen, ist in einer virtuellen Umgebung besonders wichtig. Denn bereits im Anfangsstadium der Transaktion schaffen diese die Grundlage für die Werttreiber und Leitprinzipien und setzen Erwartungen und Verantwortlichkeiten fest. Weiterhin sollten Führungskräfte an allen Einzelmeetings sowie an Sitzungen des Vorstands und des Integrations-Management-Office (IMO) teilnehmen. Das ermöglicht eine gemeinschaftliche Programmausrichtung. 

Regelmäßige Berührungspunkte zwischen Vorstand und Integrationsleitung sind insbesondere während einer virtuellen Integration unerlässlich.

Diese Berührungspunkte zwischen Vorstand und Mitgliedern der Integrationsleitung sind ein wesentlicher Bestandteil des Integrationserfolges. Die Führungskräfte können so den Projektansatz, den kritischen Pfad und die Erwartungen auch in einer vollständig virtuellen Umgebung klar formulieren.

3. Teaming und Vertrauen aufbauen

Vertrauen ist der Grundstein für eine erfolgreiche Integration – vor allem bei virtueller Zusammenarbeit. Die Auswahl von Führungskräften, die in der Organisation anerkannt sind, und von Transaktionsberatern, die volles Vertrauen genießen, ist von entscheidender Bedeutung. Auch ohne die feinen Nuancen der nonverbalen Kommunikation oder den kurzen Austausch auf dem Flur muss eine vertrauenswürdige Kommunikation möglich sein – und zwar sowohl Top-down als auch Bottom-up. Assimilation geschieht häufig durch informelle Konversationen. Dabei ist es auch wichtig, Konflikte konstruktiv anzunehmen und auszutragen, um Spannungen möglichst direkt zu lösen. Missverständnisse können in virtuellen Umgebungen leichter auftreten, etwa mangels Körpersprache, und auch der Abgleich nicht übereinstimmender Informationen fällt in einer Remote-Umgebung schwerer.

Folgende Punkte können helfen:

  • Nutzung der Kameras in Videokonferenzen, um eine persönliche Atmosphäre zu schaffen
  • Regelmäßige Calls mit Einzelnen, um mehr über persönliche Entwicklungsziele sowie außerberufliche Interessen zu erfahren
  • Team-Calls nach Möglichkeit zwanglos beginnen, beispielsweise mit Nachfragen über das Wochenende oder der Wiederaufnahme vergangener Bemerkungen
  • Eine Umgebung kreieren, in der alle Teammitglieder regelmäßig zum Call beitragen, etwa durch Status-Updates; Partizipation führt zu Bindung und Einsatz
  • Probleme oder Unklarheiten direkt und nicht über E-Mail klären, um Produktivität aufrechtzuerhalten

4. Interne Kommunikation und Change Management fördern

Es ist wichtig, den Mitarbeitern zu erklären, wie Unternehmen die Kultur, das Change Management und das Engagement von Führungskräften während des Integrationsprozesses und am Tag 1 fördern wollen. Dabei unterstützen eine regelmäßige Kommunikation zwischen den beiden CEOs der zusammenkommenden Unternehmen und regelmäßige virtuelle Townhalls. Fehlt die Kommunikation, so entstehen Gerüchte, die in der Regel Probleme hervorrufen. Ein möglicher Ansatz ist ein ganztägig geöffneter virtueller Konferenzraum, um ad-hoc Gespräche zu führen.

Ein ganztägig geöffneter virtueller Konferenzraum gibt den Teammitgliedern zusätzlich zu täglichen Check-in-Calls die Möglichkeit, über den Tag hinweg zu kommunizieren.
Dr. Georg Beckmann
Leiter Buy & Integrate Services, EY Strategy & Transactions GmbH I Deutschland

5. Externe Kommunikation verstärken

Eine konsistente, detaillierte Kommunikation mit Kunden, Aufsichtsbehörden und Lieferanten während der gesamten Integration kann dazu beitragen, eine positive Grundstimmung zu erzeugen. Direkt nach Abschluss der Integration kann die externe Kommunikation der Führungskräfte starten, insbesondere mit den wichtigsten Kunden und Stakeholdern. Einen Change-Management-Prozess inklusive Q&A für diese Zeit aufzusetzen, ist empfehlenswert.

6. Vor-Ort-Aktivitäten priorisieren

Aufgaben, die persönliche Präsenz vor Ort erfordern (z. B. IT), sollten frühzeitig identifiziert werden. Das IMO muss die Risiken bewerten und priorisieren, was unmittelbar nach dem Closing umgesetzt werden muss. Unternehmen mit klaren Homeoffice-Richtlinien können bestimmte Teams für Integrationsaktivitäten, die eine persönliche Zusammenarbeit erfordern, an den Arbeitsplatz zurückzuholen. Sollten die Umstände der Pandemie solche Aktivitäten verhindern, müssen die Auswirkungen auf die Synergie-Erwartungen, die Abfolge von Integrationsmaßnahmen sowie auf die Gesundheit der Teammitglieder berücksichtigt werden.

7. Kultur und Mitarbeitererfahrung anpassen

Eine neue, zusammenhängende Kultur zu erschließen, stellt in einer virtuellen Umgebung eine besondere Herausforderung dar. Eine Umfrage unmittelbar nach dem Closing bezieht Mitarbeiter im Rahmen der Change-Kommunikation ein und ermittelt, wo noch kultureller Veränderungsbedarf besteht.

Verschwimmende Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sorgen für gelegentliche Unterbrechungen und technische Probleme – das erfordert Verständnis und Geduld.
Dr. Georg Beckmann
Leiter Buy & Integrate Services, EY Strategy & Transactions GmbH I Deutschland

Regelmäßige offene Kommunikation, etwa durch Einzel-Check-ins, ermöglicht es, frühzeitig Vertrauen innerhalb der Integrationsteams aufzubauen. Weiterhin spielen persönliche Einschränkungen der Mitarbeiter (z. B. durch Homeschooling) eine Rolle. Verschwimmende Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sorgen für gelegentliche Unterbrechungen und technische Probleme. Das erfordert Verständnis und Geduld – wiederum wichtige Bestandteile einer empathischen und vertrauensvollen Unternehmenskultur.

8. Klare Projekt-Governance-Struktur etablieren

Wenn die persönliche Zusammenarbeit beim Kunden ausbleibt, können Dinge leichter auf die schiefe Bahn geraten und unbemerkt bleiben, bis es womöglich zu spät ist. Ein Steuerkreis hilft dabei, die Integrationsverantwortlichen zu regelmäßigen Berichten zu animieren. Im nächsten Schritt ist ein IMO zu installieren. Die Integrationsleiter beider Unternehmen verteilen Verantwortlichkeiten, überprüfen die Fortschritte und tragen dazu bei, die Dynamik sowie die Motivation innerhalb des Integrationsteams aufrechtzuerhalten.

Wöchentliche Meetings mit funktionalen Bereichsleitern sowie zwischen Führungsteam und dem Steuerkreis sorgen nicht nur für starke Arbeitsbeziehungen, sondern schärfen auch den Blick auf Fortschritte bei den wesentlichen Integrationsmaßnahmen. Weiterhin werden hier relevante Risiken und Probleme adressiert und übergeordnete Entscheidungen getroffen.

In regelmäßigen Einzelmeetings mit Arbeitsbereichen rücken die jeweiligen Arbeitspläne in den Fokus, werden Erwartungen formuliert und Fortschritte beziehungsweise verspätete Aktivitäten beobachtet und wenn nötig korrigiert.

9. Workshops und Kollaborationstools neu definieren

Integration-Kick-off, Interdependency Workshops oder Day-One-Readiness-Checkpoints – was in „normalen“ Zeiten meistens physisch abgehalten werden kann, braucht nun ein virtuelles Format. Um den Teilnehmern dennoch einen haptischen und bleibenden Eindruck zu vermitteln, kann beispielsweise vor dem Workshop eine Posterwand mit inhaltlichen Details an die Standorte versendet werden.

Die Teilnahme von Arbeitsbereichsleitern, Mitgliedern des Steuerkreises und dem IMO ermöglicht bei detaillierter Vorbereitung und Hinzunahme interaktiver Tools während des Meetings eine aktive Diskussion. Beispielsweise kann ein virtuelles Storyboard die Zusammenhänge zwischen wichtigen Meilensteinen live am Bildschirm veranschaulichen.

Nach dem Workshop sollten alle Notizen sowie Follow-up-Aktivitäten bereitgestellt werden. Anschließend werden kleinere Teamdiskussionen koordiniert, um Arbeitspläne anzupassen und Abhängigkeiten zu erörtern. Hier liegt der Fokus auf wesentlichen Meilensteinen und Aktivitäten in den verschiedenen Arbeitsbereichen sowie auf funktionsübergreifenden Abhängigkeiten.

10. Spaß einbauen

Integrationen sind oft anspruchsvoll und im Remote-Modus sind lange Tage und ein hohes Stresslevel besonders herausfordernd. Deshalb ist es hier umso wichtiger, Wege zu finden, etwas Spaß und Entspannung einzubauen. Wie wäre es beispielsweise mit virtuellen „Happy Hours“ oder „Espressi“ (je nach Tageszeit)? Auch regelmäßige Anerkennung in Form von persönlichen Mails oder besser noch kurzen Telefonaten wirken sich positiv auf die Moral der Integrationsteams aus.

Gemeinsam kreativ darüber nachzudenken, wie informelle Ereignisse auf eine virtuelle Plattform gebracht werden können, kann einen großen Beitrag zum Aufbau und zur Stabilisierung von Beziehungen leisten.

Fazit

Auch wenn eine Disruption wie das Coronavirus den Großteil der Menschen nicht mehr an der eigentlichen Arbeitsstätte arbeiten lässt, ist eine erfolgreiche Post-Merger-Integration möglich: Sie findet dann komplett im virtuellen Raum statt. Voraussetzung dafür sind eine gute Planung vor der Integration, um Störfaktoren zu minimieren, und Flexibilität im Umgang mit Problemen, die durch die Remote-Situation auftreten können.

Über diesen Artikel

Von Georg Beckmann

Leiter Buy & Integrate Services, EY Strategy & Transactions GmbH I Deutschland

Verfügt über langjährige Erfahrung in der Transaktions- und Managementberatung von globalen und europäischen Unternehmen in der Telekommunikations-, Medien- und Technologiebranche.