6 Minuten Lesezeit 10 Juni 2021
Technikerin im Serverraum

Warum sich datengetriebenes Steuermanagement auszahlt

Gerade bei der Umsatzsteuer rechnet sich systematische Datenanalyse, da hier einzelne Steuerfindungsfehler zu hohen Nachzahlungen führen.

Überblick
  • Besonders bei der Umsatzsteuer ist es besonders empfehlenswert, ein datengetriebenes Steuermanagement zu betreiben.
  • Im System aufgezeichnete Daten, die Einblicke in die verwirklichten Geschäftsvorfälle gewähren, können zu Aufklärung bei Unklarheiten beitragen.
  • Die Digitalisierung unterstützt dabei, alle steuerrelevanten Aktivitäten an sämtlichen Standorten in der Welt in Echtzeit überwachen und optimieren.

Typische Betriebsprüfungssituation: Der Schrecken saß tief im Unternehmen und vor allem beim Management, nachdem die Betriebsprüfer ein vorläufiges Mehrergebnis von 100 Millionen Euro Umsatzsteuer gefunden hatten. Die Betriebsprüfung (BP) zog sich bereits seit einiger Zeit hin, immer wieder wurden Termine mit der BP abgehalten, ohne zufriedenstellende Einigungen zum Mehrergebnis zu erzielen.

Der Vorwurf: Umsatzsteuer aus Reihengeschäftstransaktionen wurde in den letzten fünf Jahren unzutreffend behandelt und entsprechend zu wenig Umsatzsteuer entrichtet. Die BP ermittelte eine Bemessungsgrundlage von ca. 550 Millionen Euro (auch auf der Basis von Schätzungen) und setzte die Umsatzsteuerschuld auf 100 Millionen Euro fest. Im Unternehmen läuteten die Alarmglocken, die Nachzahlung hätte schwer ins Kontor geschlagen und ggfs. eine Gewinnwarnung ausgelöst. In dieser festgefahrenen Situation wandte sich das Unternehmen, das wir an dieser Stelle aus Gründen des Mandantenschutzes nicht nennen, an EY.

Die Lösung zur Aufklärung der Reihengeschäftstransaktionen und Ermittlung der Bemessungsgrundlagen lag nahe. Es waren die im System aufgezeichneten Daten, die Einblicke in die verwirklichten Geschäftsvorfälle gewährten. Daten beschreiben umsatzsteuerliche Sachverhalte in einem tiefen Detailgrad. Dies reicht von den Vertragsbedingungen über Lieferkonditionen und logistische Warenbewegungen bis hin zu den Leistungsdetails und der steuerlichen Erfassung der Transaktionen im Finanzwesen.

Die Umsatzsteuer- und Datenspezialisten verschafften sich rasch einen Überblick, indem sie mehr als eine Million Rechnungspositionen mit den dazugehörigen Daten aus dem Vertrieb und der Logistik in eine EY-Datenanalyse einspielten und diese mit einem umfassenden umsatzsteuerlichen Algorithmus auswerteten. Mittels der Datenanalyse konnten sie anschließend die fraglichen Reihengeschäftstransaktionen identifizieren und umsatzsteuerlich korrekt und zutreffend einordnen. Die nachträgliche Konkretisierung der Geschäftsvorfälle führte dazu, dass die Bemessungsgrundlage für die fraglichen Reihengeschäfte auf 26 Millionen Euro sank und somit eine Reduktion um 95 Prozent gegenüber der Schätzung vom Finanzamt erreicht werden konnte.

Die Minderung der Bemessungsgrundlage erfolgte aufgrund der aus der Datenanalyse gewonnenen Erkenntnisse, dass bisher von der BP als Reihengeschäft eingeordnete Geschäftsvorfälle nunmehr nicht mehr als Reihengeschäfte zu klassifizieren waren. Am Ende sank die Umsatzsteuerschuld auf rund 5 Millionen Euro. Ein Erfolg des datenbasierten Steuermanagements. Manuell wäre die Identifikation der betroffenen Geschäftsvorfälle – und damit die Entkräftung der Steuerschätzung – unmöglich gewesen.

Die sechs Stufen des datenbasierten Umsatzsteuermanagements

Datenbasiertes Umsatzsteuermanagement

Das Beispiel zeigt, wie es Steuerabteilungen mit datenbasiertem Umsatzsteuermanagement gelingt, die „staubigen“ Daten in einem umsatzsteuerlichen Glanz erstrahlen zu lassen. Anhand dieser Methodik werden Datenfelder aus dem Vertrieb und Einkauf, der Logistik und dem Finanzwesen in den umsatzsteuerlichen Kontext gesetzt. Die im Grunde ausdrucksleeren Daten werden somit zu wertvollen Informationen. Der eigentliche Geschäftsvorfall ergibt sich dann, wenn diese einzelnen umsatzsteuerrelevanten Informationen zusammengeführt werden.

Mit den aus den Daten gewonnenen Geschäftsvorfällen werden automatisierte Klassifizierungen für die Umsatzsteuer vorgenommen. Nicht nur komplette Leistungskataloge inklusive Bemessungsgrundlagen und umsatzsteuerlichem Compliance Status können abgeleitet werden, sondern auch Potenziale für die Steuerfindung und die Datenpflege.

Die Ergebnisse des Ansatzes sind insbesondere bei Betriebsprüfungen und umsatzsteuerlichen Streitigkeiten erstaunlich. Nicht selten zeigt sich, dass der vom Finanzamt angenommene Sachverhalt auf Basis der Daten in Wirklichkeit ein anderer ist bzw. die geschätzten Bemessungsgrundlagen tatsächlich viel niedriger sind. Häufig kann die drohende Steuernachzahlung dann signifikant gesenkt werden. Ein klarer Erfolg des datenbasierten Steuermanagements.

Vernetzung der Unternehmensfunktionen

Das datenbasierte Umsatzsteuermanagement führt das Wissen der einzelnen Unternehmensfunktionen zusammen. Bisher arbeiteten diese mehr oder weniger unabhängig voneinander. Es geht um das SAP-System, das Stammdatenmanagement, die steuerliche Behandlung durch den erweiterten Finanzbereich mit Accounting und Tax, die Verknüpfung mit operativen Daten aus Ein- und Verkauf und die Verarbeitung der Informationen aus der Produktion und dem Bestandsmanagement. Sämtliche umsatzsteuerlich relevanten Daten werden durch die Algorithmen verbunden und in einen umsatzsteuerlichen Kontext gesetzt. Datenbasiertes Steuermanagement bedeutet für Unternehmen einen Kulturwandel, eine Abkehr vom Silodenken und eine intensive Vernetzung aller Unternehmensfunktionen, insbesondere zwischen Steuern und den operativen Geschäftsbereichen, die die steuerlichen Tatbestände erfüllen.

70 verschiedene Felder

Ein umsatzsteuerlicher Geschäftsvorfall wird in SAP im Durchschnitt von ca. 70 verschiedenen Datenfeldern beschrieben. Die Datenfelder werden zunächst zusammen mit weiteren beschreibenden Informationen über standardisierte Schnittstellen, die auch die Finanzbehörden im Rahmen einer Betriebsprüfung verwenden, extrahiert und anschließend zu einem umsatzsteuerlichen Geschäftsvorfall zusammengesetzt. Mittels Algorithmen erfolgt anschließend die umsatzsteuerliche Würdigung der Geschäftsvorfälle mit dem Ergebnis eines steuerlichen Erwartungswertes, der schließlich mit dem im System aufgezeichneten Steuerkennzeichen verglichen wird. Das mühevolle und langwierige Aufsetzen einzelner Testroutinen, die denselben Rechnungsbeleg im Zweifel mehrfach als auffällig ausweisen und damit ein Vielfaches an Ressourcen binden, gehört damit der Vergangenheit an.

Wenn Systembrüche vorliegen

Was einfach klingt, ist besonders bei der Berücksichtigung von Daten aus umliegenden Systemen alles andere als trivial. In der Praxis gibt es Unternehmen, bei denen ein Teil der umsatzsteuerlichen Informationen aus Vorsystemen ermittelt werden muss. In solchen Fällen sind Berater gefordert, die zielgerichtet und mit fachlich-technischem Sachverstand alle relevanten Datenfelder ermitteln, um die Informationen bei der umsatzsteuerlichen Würdigung zu berücksichtigen. Dies geschieht mit datentechnischen Kompetenzen und unter Anwendung von Umsatzsteueralgorithmen zumeist über einen Zeitraum von ein bis zwei Monaten.

Ein Blick aufs Dashboard

Als Arbeitsergebnis bekommt der Umsatzsteuermanager ein Dashboard samt dazugehöriger Transaktionsübersicht auf Einzelbelegebene, das ihm alle relevanten Steuerinformationen auf einen Blick bereitstellt. Es zeigt die volle Bandbreite der umsatzsteuerlichen Informationen, ruft kritische Transaktionen auf und erlaubt das explorative Validieren der Geschäftsvorfälle. Die Datenanalyse betrifft alles, von der umsatzsteuerlichen Verbuchung einer Maschinenlieferung nach Schweden über das Konsignationslager in Österreich und grenzüberschreitende Reihengeschäfte bis hin zu Sachzuwendungen wie dem 150 Euro teuren Blumenstrauß für den Firmenjubilar am deutschen Stammsitz. Alle Datenflüsse lassen sich auf steuerliche Relevanz und Optimierungschancen überprüfen.

Supply Chain Analytics

Fehler der Vergangenheit

Anhand der Daten ist ersichtlich, ob in der angestammten Steuerlogik etwas nicht richtig konfiguriert oder programmiert wurde und folglich Fehler verursacht, die bis heute wirken und bei der nächsten Betriebsprüfung zu einem bösen Erwachen führen können. Eine kritische, präventive Eigenanalyse wird umso wichtiger, je mehr die Finanzbehörden selbst digital aufrüsten und ihrerseits immer weiter in die (Un-)Tiefen der betrieblichen Buchführung eintauchen. Die Überführung der Steuerfunktion ins digitale Zeitalter ist folglich unumgänglich – am besten vor der Steuerverwaltung.

Fisken schalten auf Realtime

Die schnelle Verarbeitung umsatzsteuerlicher Daten wird auch aus einem weiteren Grund immer wichtiger. So steigen immer mehr Fisken in der Welt bei der Umsatzsteuer auf die Erfassung in Realtime um. In Italien zum Beispiel läuft jede Rechnung zunächst über einen Rechner des staatlichen Informatikunternehmens Sogei, bevor sie den Empfänger erreicht. Jede Umsatz- und Vorsteuer wird unmittelbar registriert. Fehler fallen sofort auf, nachträgliche Korrekturen sind mühselig.

Kein Pardon für Zettelwirtschaft

Die Ära der Schuhkartonbuchführung ist endgültig vorbei. Aus Gründen des Risikomanagements, der Effizienz und unter Compliance-Gesichtspunkten ist die Automatisierung umsatzsteuerlicher Entscheidungen über die Gesamtorganisation hinweg unerlässlich. Wer dennoch auf die neuen technischen Möglichkeiten verzichtet, kann im Zeitalter der Digitalisierung immer weniger auf Verständnis und Nachsicht hoffen – weder im eigenen Unternehmen noch vor dem Finanzamt.

Browser und Schnittstelle

Eigene Ressourcen und Fachkenntnisse rund um IT sind in der Steuerabteilung bei der Digitalisierung nicht unbedingt erforderlich. Wer sich für ein externes umsatzsteuerliches Datenmanagement „as a Service“ entscheidet, braucht keine eigenen Systeme, sondern lediglich einen Internetzugang und eine Schnittstelle zur Übertragung von Echtzeitdaten, die durch EY bereitgestellt und eingerichtet wird. Bei EY erfolgt die Verarbeitung der Daten in einer eigenen verschlüsselten Cloud in Deutschland, auf die das Unternehmen rund um die Uhr Zugriff hat.

Upgrade der Steuerabteilung

Die Steuerabteilung und der Head of Tax erfährt durch datenbasiertes Umsatzsteuermanagement einen Bedeutungsgewinn. Es kommt zu einer Funktionsverschiebung – mehr noch: zu einem Upgrade im Unternehmen, weg von der Rolle eines buchhalterischen Sammel- und Reparaturbetriebs hin zu einer strategischen Rolle. Es geht darum, (umsatz-)steuerliche Vorgänge frühzeitig zu optimieren und ggf. Empfehlungen an die anderen Unternehmensfunktionen zu formulieren. Diese Empfehlungen reichen von umsatzsteuerlichen Systemeinstellungen über die Anpassung von Kunden- oder Materialstammdaten bis hin zu Arbeitsanweisungen an den Vertrieb oder den Einkauf, wenn es um die Erfassung bzw. um Änderungen von Incoterms und die diesbezüglichen Auswirkungen auf die umsatzsteuerliche Beurteilung von Reihengeschäften geht.

Co-Autor: Michael Lörcher

Fazit

Stärkung des Stammhauses: Organisatorisch rückt die digitale Steuerfunktion ins Zentrum der Unternehmensmatrix. Der Datenzugriff ermöglicht eine intensive Vernetzung mit den anderen Funktionen. Das gilt auch für die Beziehungen zwischen Zentrale und Außenstellen bzw. Konzernmutter und Tochtergesellschaften. Die Digitalisierung stärkt das Stammhaus, von hier aus lassen sich alle steuerrelevanten Aktivitäten an sämtlichen Standorten in der Welt in Echtzeit überwachen und optimieren. Und was hier sehr anschaulich für die Umsatzsteuer gelang, ist auch für andere Steuerarten umsetzbar. Entscheidend sind die Nutzung steuerrelevanter Unternehmensdaten und ein Sinneswandel hin zur kontinuierlichen Wertschaffung aus der Steuerabteilung.

Über diesen Artikel

Von Tax & Law Magazine

Das Kundenmagazin von EY Deutschland zu aktuellen Steuer- und Rechtsthemen.