18 Minuten Lesezeit 30 Oktober 2019
g7 biarritz angela merkel emmanuel macron

Welche steuerlichen Tücken in der digitalen Welt warten

Von Tax & Law Magazine

Das Kundenmagazin von EY Deutschland zu aktuellen Steuer- und Rechtsthemen.

18 Minuten Lesezeit 30 Oktober 2019

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Ein fiktives Szenario verdeutlicht, welche Herausforderungen Unternehmen durch die Besteuerung digitaler Dienstleistungen erwartet.

Seit gut 100 Jahren ist die Tüftelfleißig AG tätig, sie konstruiert hervorragende Geräte und bietet passende Dienstleistungen an. Nun offeriert sie ihren Kunden solche Leistungen nicht mehr „on premise“, sondern „as a service“. Der Kunde erhält über eine Cloud bestimmte Funktionalitäten auf seiner Maschine freigeschaltet. Produkte werden beispielsweise um eine Sensorik ergänzt. Mitarbeiter von Tüftelfleißig überwachen die Maschinen online, selbst entwickelte Algorithmen optimieren den Maschineneinsatz sowie die Betriebs- und Wartungsparameter.

Wenn Kunden es wünschen, können sie bestimmte Funktionalitäten auf einer Online-Plattform selbst ausüben – mit den digitalen Werkzeugen und der Künstlichen Intelligenz von Tüftelfleißig. Und je mehr Kunden auf der Plattform sind und je mehr Maschinen darüber gesteuert werden, desto besser wird wiederum der selbstlernende Algorithmus.

Dieses Neugeschäft bauen wir gerade auf, erzählt der CEO stolz in einem Zeitungsinterview. Der Kunde zahle je nachdem, wo seine Maschinen stehen – in Mexiko, Frankreich oder Russland – und welche Leistungspakete er wie lange nutze.

Macrons Vorstoß erzeugt Unruhe

Das alles liest der Head of Tax (HoT) der Tüftelfleißig AG an einem schönen Sonntagmorgen in seiner Zeitung. Ein paar Seiten zuvor hat er einen Bericht über das Treffen der Staats- und Regierungschefs der führenden G7-Staaten in Biarritz überflogen. Es ist Juli 2019. Der französische Gastgeber und Präsident Emmanuel Macron besteht auf der Einführung einer nationalen Digitalsteuer bereits im Jahr 2019, er ist aber bereit, diese durch eine internationale Konsenslösung zu einem späteren Zeitpunkt zu ersetzen.

Für den HoT ist der Tag gelaufen. Dass sein Unternehmen bereits digitale Umsätze erzielt und die Politik dabei ist, just hier steuerpolitische Pflöcke einzuschlagen, lässt ihn unruhig werden. Er fragt sich, ob die beschriebenen neuen Geschäftsmodelle und Joint-Venture-Vereinbarungen ausreichend steuerlich geprüft worden sind. Insbesondere fragt er sich, wer in seiner Abteilung hierüber eigentlich Bescheid weiß.

Digitaler Aktienkurs auf Tablet
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Kapitel 1

Szenario, Teil II: Viele Fragen, aber keine Antworten

Die Digitalsteuer trifft Unternehmen, vor allem ihre Finanzfunktion, unvorbereitet.

Ihm schwant, dass seine Abteilung auf diese Entwicklungen nicht vorbereitet ist. Die Frageliste ist lang: Muss die Tüftelfleißig AG Digitalsteuern zahlen? Wie sieht es mit der Umsatzsteuer aus? Werden die Rechnungen richtig ausgestellt? Was ist mit Quellensteuern? Welche Abteilung erbringt wo welche Leistung? Was ist mit den Betriebsstätten, wenn vor Ort Sensoren eingesetzt werden, die für die Tüftelfleißig AG fleißig Daten sammeln? Entstehen hier immaterielle Wirtschaftsgüter? Welcher Gesellschaft sind welche Wertschöpfungseffekte zuzuordnen und welche Kosten sind hierfür entstanden? Muss das Verrechnungspreiskonzept angepasst werden, weil plötzlich andere Wertschöpfungsfaktoren relevant werden? Wo sind die erforderlichen Kosten- und Erlösdaten erfasst?

Ernüchternder Status quo

Der HoT macht sich am nächsten Tag auf die Suche nach den Daten zur neuen Geschäftstätigkeit. In den Business Reports sind sie nicht einzeln auffindbar. Nach mühseliger Einzelabfrage bei den Business Controllern stellt er fest, dass es keine spezifischen Erlös- oder Kostenkategorien gibt. Die Erlöse für unterschiedliche Leistungspakete werden ganz unterschiedlich gebucht. Nach einiger Zeit findet er entsprechende Digitalumsätze in unterschiedlichen Ländern und Gesellschaften unter den „Verkaufserlösen“, im Konto „Mieterträge“ und in den „Sonstigen betrieblichen Dienstleistungen“.

  • Beispiel Fußball

    Die großen Fußballclubs verdienen das große Geld nicht mehr mit Stadiontickets. Dank Internet erreichen sie viele Millionen Fans in aller Welt. Real Madrid hat zum Beispiel auf Twitter 33 Millionen Follower, Barcelona kommt auf 31 Millionen, Liverpool auf fast 13 Millionen und Bayern München auf fünf Millionen. Während Sportbegeisterte überall und jederzeit mit ihrem Lieblingsverein interagieren, können Ausrüster gezielt durch personalisierte Werbung auf sich aufmerksam machen.

Kosten – wer sucht, der findet

Bei den Kosten sieht es ähnlich aus: Diese findet er verstreut in unterschiedlichen Materialklassen. Klare Abgrenzungen zwischen Entwicklung, Hosting, Maintenance und Datenexploration existieren nicht. Personalkosten sind überhaupt nicht zuzuordnen. Zu allem Überfluss scheint die Kostenhistorie nachträglich nicht mehr aufklärbar. Und die Frage, in welchen Geräten wie viele Sensoren verbaut sind, wer der Eigentümer dieser Sensoren ist, wem die damit gewonnenen Daten gehören und welche Betriebsstättenaspekte relevant sind, bleibt offen.

Analoge Steinzeit trifft auf digitale Neuzeit

Der HoT erkennt, dass die interne Finanzabwicklung mit der geschäftlichen Dynamik nicht Schritt gehalten hat. Das Business bewegt sich in der digitalen Neuzeit, während das interne Datenmodell noch auf den althergebrachten Strukturen aus der Industrialisierung des 20. Jahrhunderts basiert. Es verharrt quasi in der analogen Steinzeit, in der ein Umsatz stets einen klaren gegenständlichen Bezug hat, der über konventionelle Vertriebsabläufe nachvollziehbar und greifbar ist. Es gibt Ausschreibungen und Angebotsprozesse, Purchase Orders und Verträge, Lieferscheine und Rechnungen – jeder Geschäftsvorfall zwischen Kunde und Unternehmen ist eindeutig definiert, größtenteils belegt und physisch greifbar.

Mit den neuen, digitalen Geschäftsmodellen wird diese Abgrenzbarkeit aufgelöst, bisherige Definitionen und Eingruppierungen taugen nicht mehr. Der HoT kann bei seinen zahlreichen Fragen nicht mehr auf die klassische Rechnungslegung zurückgreifen. Die Leistungen gegenüber dem Kunden werden vielschichtiger und komplexer. Einheitliche, pauschalierte Entgelte decken Leistungen für Hosting, Dienste, Nutzungsüberlassungen und weitere Bestandteile ab. Die jeweiligen Teilleistungen werden zunehmend vermischt.

  • Beispiel Gesundheit

    Motivation zum Sport, Ernährungsberatung und Prävention – immer mehr Krankenkassen bieten ihren Versicherten diesen Service auf dem Smartphone an. In den durch digitales Tracking möglichen Fitnessreigen gesellen sich auch die großen Sportartikelhersteller. Und mit den Daten, die Sportler bei ihren Aktivitäten messen lassen, ist personalisierte Werbung ein Kinderspiel. Auch die Pharmawirtschaft bietet digitale Dienstleistungen rund um ihr klassisches Geschäft mit Arzneimitteln. So messen Diabetes-Apps ständig den Blutzuckergehalt und können individuell den Insulinbedarf bestimmen.

Spaghetti-Ball

Zugleich besteht die Geschäftsbeziehung nicht mehr zwischen Tüftelfleißig und Kunde. Es kommen ein Cloud-Provider und ein Anbieter für die Kommunikationsplattform und den Daten- und Informationsaustausch mit den Kunden sowie diverse Entwickler hinzu. Die Querverbindungen zwischen den Joint-Venture-Partnern sind wie ein Spaghetti-Ball, der steuerlich erst noch aufgelöst werden muss. Auf welche Leistungskomponenten von welchem Provider welcher Teil des Entgelts entfällt, ist oft völlig undurchsichtig. Aber diese Verwobenheit ist genau der USP, der „unique selling point“, des „As a service“-Angebots der Tüftelfleißig AG.

Bildschirme mit Kursen
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Kapitel 2

Handlungsbedarf für alle

Um sich auf die Digitalsteuer einzustellen, müssen Stakeholder koordiniert agieren.

Tatsächlich müssen viele Unternehmen vor diesem Hintergrund ihre Steuerfunktion und ihre Daten- wie Infrastruktur neu justieren. Betroffen sind eben nicht nur die Digitalkonzerne, wie mancher gern glauben mag, also nur die „GAFA-Ökonomie“ – Google, Apple, Facebook und Amazon, auf die einige Regierungen ein Auge haben und die zur Begründung einer Digitalen Dienstleistungsbesteuerung herhalten sollen. Jedes Unternehmen, das bewusst oder unbewusst den Schritt in die digitale Neuzeit geht, muss rasch sämtliche innerbetrieblichen Konsequenzen erkennen und ziehen. Nur dann ist die Steuerfunktion in der Lage, für die Compliance Standards einzustehen, eine wo auch immer in der Welt aufploppende Digitalsteuer zu entrichten und das Unternehmen vor bösen Überraschungen in der Rechnungslegung oder bei den Verrechnungspreisen zu schützen.

Strukturen neu bilden

Diese Herausforderungen erfordern ein koordiniertes Vorgehen aller zentralen Stakeholder: der Steuerfunktion, der Accounting-Abteilung und der IT. Gemeinsam müssen sie die Prozessabläufe, die Buchungsroutinen und die gesamte Daten- und Infrastruktur entlang der neuen Geschäftsmodelle ausrichten. Jede Verbesserung in Qualität, Transparenz und Verfügbarkeit der einzelnen Datenpunkte dient zugleich der Fortentwicklung der Geschäftsmodelle und stabiler Planungsprozesse. Deshalb haben auch das Business Development und das Controlling ein originäres Interesse an diesen neuen Strukturen.

Eine Konsenslösung ist nur schwer zu erreichen. Denn die einzelnen Jurisdiktionen befinden sich im Wettlauf um den digitalen Datenzugriff und ihre Regierungen versuchen, über nationale Alleingänge zur Einführung der Digital Services Tax (DST) ihr eigenes Steueraufkommen abzusichern.

Weltweiter Wettlauf ums Regelwerk

Die Implementierung solcher Strukturen wird noch dadurch erschwert, dass Politik und Verwaltung derzeit selbst nicht genau wissen, wie die neue Welt der Steuern aussehen wird. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat von den führenden Industrie- und Schwellenländern G20 zwar den Auftrag erhalten, neue Steuerregeln für das globale Internetzeitalter zu finden. Eine Konsenslösung ist jedoch nur schwer zu erreichen. Denn die einzelnen Jurisdiktionen befinden sich im Wettlauf um den digitalen Datenzugriff und ihre Regierungen versuchen, über nationale Alleingänge zur Einführung der Digital Services Tax (DST) ihr eigenes Steueraufkommen abzusichern.

Steuerkollegen vor einem digitalen Bildschirm
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Kapitel 3

Raus aus dem 19. Jahrhundert

Digital Tax Officer sollten in der Steuerabteilung alle Aspekte der Digitalisierung betreuen.

Entsprechend groß sind Verunsicherung und Informationsbedarf. Das Bundesfinanzministerium gab sich Mitte September bei einem Symposium in Berlin alle Mühe, den rund 400 Teilnehmern einen aktuellen Überblick zu verschaffen. Es gehe um nicht weniger als eine Neuverteilung der Besteuerungsrechte unter den Ländern, sagte beispielsweise Thomas Eisgruber vom Bundesfinanzministerium. Der bisherige Betriebsstättenbegriff aus dem 19. Jahrhundert sei überholt. „Es wird viele Unternehmen treffen“, prognostizierte Achim Pross, Steuerexperte bei der OECD. Und: „Wenn sich die Besteuerungsrechte ändern, muss man auch die Verrechnungspreise ändern.“ Ein Bundesbetriebsprüfer warf ein: „Diese Werte, die verlangt werden, kann kein Controlling im Unternehmen liefern.“ Die Herausforderungen sind immens, schwante den versammelten Beamten, Beratern und Unternehmensvertretern.

Rein ins digitale Zeitalter

Aber auch wenn über die Ausgestaltung des künftigen steuerlichen Regelwerks noch keine Klarheit besteht, müssen und können sich die Unternehmen vorbereiten. Klar ist, dass sie die Auswertbarkeit der Unternehmensdaten grundlegend verbessern müssen. Die Steuerabteilungen benötigen Zugriff nach Bedarf, also nach Ländern, verschiedenen Leistungsaspekten, Kunden oder Zulieferern. Dazu braucht es eine vorgeschaltete und revolvierende Analyse sowohl der neuen Geschäftsmodelle als auch der neuen steuerlichen Attribute. Bisher gültige Fixpunkte in der Rechnungslegung und der Steuerfunktion verschwinden. Neue Usancen werden sich erst mit der Zeit herausbilden. Gewohnte steuerliche Anknüpfungspunkte wie das wirtschaftliche Eigentum und der Übergang der Verfügungsmacht an einem Wirtschaftsgut werden noch schwerer greifbar als heute.

Digital Tax Officer

Auch die Struktur seiner Abteilung muss sich weiterentwickeln, stellt der HoT fest. Seine Mitarbeiter sind bisher in die Entwicklung bzw. Bewertung neuer Geschäftsmodelle nur punktuell eingebunden; ein strukturierter Prozess mit klaren Verantwortlichkeiten für die damit verbundenen Fragestellungen existiert noch nicht. Die Themen kommen eher zufällig oder punktuell in der Steuerabteilung an, je nachdem, wie die jeweiligen Business Controller oder Projektverantwortlichen auf steuerliche Themen sensibilisiert sind – oder die Zeit dazu haben, diese Fragestellungen überhaupt aufzuwerfen.

Der HoT kommt zu der Einschätzung, dass er jemanden in seiner Abteilung braucht, der alle digitalen Entwicklungen ganzheitlich betreut: Ein Digital Tax Officer soll sich ab sofort in der Steuerabteilung speziell um alle Aspekte der Digitalisierung kümmern und die Entwicklung der neuen Geschäftsmodelle in allen Facetten begleiten. Als erster Ansprechpartner sowohl für seine Kollegen in der Steuerabteilung und für die Verantwortlichen im Business. Als „Center of Excellence“ für die Herausforderungen der Besteuerung im digitalen Zeitalter.

Automobilindustrie
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Kapitel 4

Die Digitalwirtschaft an sich gibt es nicht

Am Beispiel der Autoindustrie wird deutlich, wie sich analoge mit digitalen Produkten verbinden.

Betroffen ist nahezu die gesamte Wirtschaft. Dies zeigt ein Blick auf eine der deutschen Vorzeigeindustrien: Autokonzerne verkaufen traditionell Autos, dazu Ersatzteile und Wartung. Inzwischen wandeln sie sich zu Mobilitätsanbietern, die viele neue Leistungen rund um das Auto anbieten: vom Entertainment über Upgrades bei bereits im Fahrzeug angelegten Leistungsparametern und Features bis hin zu klassischen Dienstleistungen (z. B. Parkservices). Das Auto wird für andere Unternehmen zur fahrenden Litfaßsäule für Werbemaßnahmen. Und damit zu einem weiteren Strang im Omnichannel für die Vermarktung der verschiedensten Produkte und Leistungen, insbesondere der Konsumgüterindustrie und von Streamingdiensten.

  • Das Auto wird zum Smart Car

    Wer sich durch den dichten Verkehr in die Innenstadt kämpft, weiß die digitale Parkplatzsuche zu schätzen. Und auch das in zahlreichen Städten verbreitete Car sharing, der Fahrrad- oder E-Scooter-Verleih wären ohne Digitalisierung und die Erfassung der Geo-Daten undenkbar.

    Heutige Autos sind ständig mit ihren Herstellern verbunden, der Datenschatz lässt sich für eine Fülle von Dienstleistungen nutzen. Zum Beispiel auch für standortnahe Einkaufs- und Restaurantempfehlungen. Zukünftig reicht ein Blick auf ein Gebäude am Straßenrand und eine verbal gestellte Frage. Das Auto erkennt anhand der Blickrichtung den Kontext und kann die Frage beantworten.

Amorph und kleinteilig

Ein großer Teil der Umsätze der Autokonzerne wird zukünftig über solche Leistungen rund um die Mobilität erzielt werden. Diese Leistungen sind ebenso multifunktional, multidimensional und multimodal wie die amorphen Beziehungsnetze zwischen den Kunden und dem dahinterstehenden Geflecht von Anbietern und Service-Providern, die diese neue Konsumwelt erst ermöglichen. Das Geschäft wird kleinteilig. An die Seite von großen Einzelumsätzen von 20.000, 40.000 oder 80.000 Euro pro Fahrzeug treten Cent-Beträge für die verschiedensten Updates, Upgrades und sonstigen Leistungen. Granulare Mikrotransaktionen und Mikrozahlungen, mit denen konventionelle OEMs bisher wenig zu tun hatten. Auch dadurch ergeben sich neue Anforderungen an die IT und das innerbetriebliche Datenmanagement. Dies lässt sich auf alle Sektoren der Wirtschaft übertragen. Ob Konsumgüterindustrie, Life Science oder Pharma – überall werden mehr Leistungen „per chip“ und „over the air“ erbracht, mittels „pay per use“ abgerechnet und über digitale Plattformen abgewickelt.

  • Beispiel Landwirtschaft

    Den Pflug nach Gefühl durch die Furchen ziehen, mit Augenmaß spritzen und düngen – diese Zeiten sind in vielen landwirtschaftlichen Betrieben passé. Heute gibt es Smart Farming; Äcker werden mit GPS gemäht, Nährstoffwerte im Boden mit Sensoren kontrolliert und Wetter-Apps helfen, zum richtigen Erntezeitpunkt das selbstfahrende Erntefahrzeug optimal einzusetzen. Landmaschinenhersteller verkaufen nicht mehr allein Mähdrescher und Sämaschinen, sondern bieten eine Rundumbetreuung via High-Speed-Internet und ausgefeilter Software und können mitten im Erntetrubel, wenn eine Maschine plötzlich streikt, rasch den Fehler lokalisieren und Abhilfe schaffen.

IT Ingenieur
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Kapitel 5

Das grenzenlose Internet zwischen den Fisken

Es wird kompliziert: Ein Netz-Klick im Ausland muss voraussichtlich auch dort besteuert werden.

Besonders diffizil wird die Angelegenheit, weil das Internet nationale Grenzen verwischt. Und weil zunehmend neue steuerliche Anknüpfungspunkte wie die Digital Services Tax geschaffen werden, mit denen nicht mehr auf bilaterale Vertragsbeziehungen zwischen Verkäufer und Käufer abgestellt wird.

Anhand der von Frankreich initiierten DST wird dies am folgenden Beispiel deutlich: Ein Italiener kauft ein Produkt von einem deutschen Anbieter. Während seines Urlaubs in Frankreich hat er sich online informiert und die Websites unterschiedlicher Händler besucht, auf denen er mit individualisierter Werbung bespielt worden ist. Für diese Werbeschaltungen bekommen die Händler von anderen Produktanbietern ein Entgelt („pro Klick“). Ein alltäglicher Vorgang, aus dem steuerlich eine komplizierte Dreiecksbeziehung entsteht.

Die französische Steuer schafft einen neuen Nexus für die Steuerpflicht: Sie knüpft bspw. daran an, wie stark die Website bestimmter Provider (sei es der Hersteller selbst, sei es ein Händler oder ein Plattform-Provider) durch Nutzer mit französischen IP-Adressen angeklickt wird.

DST à la française

Denn bei Macrons Digitalsteuer kommt es nicht darauf an, ob in Frankreich ein Umsatz realisiert, ein Produkt geliefert oder eine Leistung erbracht wird. Die französische Steuer, die übrigens rückwirkend ab dem 1. Januar 2019 gilt, schafft einen neuen Nexus für die Steuerpflicht: Sie knüpft bspw. daran an, wie stark die Website bestimmter Provider (sei es der Hersteller selbst, sei es ein Händler oder ein Plattform-Provider) durch Nutzer mit französischen IP-Adressen angeklickt wird.

Wenn also ein Italiener während seines Urlaubs in Frankreich mit einer dortigen IP-Adresse eine Website besucht und mit individualisierter Werbung bespielt wird, ist dies für den Betreiber dieser Seite DST-relevant. Für ihn liegt der Fokus nicht einmal mehr bei seinen eigenen Kunden, die beispielsweise Werbeflächen auf seiner Seite belegen. „Triggering Event“ und somit relevant für die DST sind bereits Klicks von Kunden seiner Kunden oder gar von potenziellen Kunden seiner Kunden.

Suchen, entdecken, taggen

Hinzu kommt, dass die Digitalsteuer in Frankreich nur einen eng abgegrenzten Teil von digitalen Umsätzen betrifft. Die im internen Berichtswesen unter „Digital Business“ erfassten Umsätze beinhalten aber viel mehr. Unternehmen müssen also einzelne Digitalerlöskategorien so aufzeichnen und kennzeichnen, dass sie auf Knopfdruck granular abgrenzbar sind, wie es etwa die französische DST erfordert. Gleichwohl darf die Lösung für diese neue Anforderung kein neues starres System oder Berichtswesen sein. Denn es ist damit zu rechnen, dass die DST in den verschiedenen Ländern unterschiedlich ausgestaltet wird – selbst wenn sich die nationalen Jurisdiktionen konzeptionell am OECD-Konzept oder an einem EU-Entwurf orientieren. 

  • Der digitale Fußabdruck

    Geschäfte im Ausland waren früher mit nachweislichen, „physischen“ Grenzübertritten verbunden, durch den Transport von Waren, durch Dienstreisen oder mittels von vor Ort belegenen Betriebsstätten und/oder Gesellschaften.

    Diese Fußabdrücke werden zukünftig vermehrt nur in digitaler Form sichtbar. Aus Wertschöpfungsketten werden dabei Wertschöpfungsnetze, die weder an Grenzen noch an Gesellschaften oder Funktionen haltmachen.

    Mit den richtigen Prozess- und Datenstrukturen wird die IT zum zentralen Werttreiber eines Unternehmens. Denn die wechselseitige Sammlung, Auswertung und Nutzung von Daten ermöglicht, klug gemacht, über Rückkopplungs- und Synergieeffekte ganz neue Leistungsbeiträge und Geschäftsmodelle.

    Deren Besteuerung wollen die Staaten an neuen Attributen festmachen. Die Steuerfunktion und das Verrechnungspreissystem müssen diesen Veränderungen fortlaufend Rechnung tragen. Dafür haben wir das „EY Digital Tax Analysis Framework“ entwickelt.

Daten
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Kapitel 6

Umgang mit dem Wandel

Drei Wege, wie Unternehmen die steuerlichen Erfordernisse an Datenerhebung angehen können.

Veränderungen sind an sich nichts Neues. Neu sind Anzahl, Reichweite und Geschwindigkeit der Veränderungen. Diese werden getrieben durch den technologischen Wandel, das Aufbrechen tradierter Wertschöpfungsketten, durch Digitalisierung, neue Geschäftsmodelle oder regulatorische Anforderungen. Für Unternehmen gibt es unterschiedliche Herangehensweisen, die sich in ihrer Grundausrichtung wie folgt unterscheiden lassen:

  1. Der Wunsch, mit einer Beta-Version schnell an den Markt und „live“ zu gehen, führt erfahrungsgemäß dazu, dass steuerliche Aspekte bei der operativen Umsetzung zunächst einmal unberücksichtigt bleiben. So wie die Beta-Version fortlaufend verbessert wird, werden steuerliche Aspekte zu einem späteren Zeitpunkt einbezogen. Damit verbunden ist nicht nur ein entsprechendes Steuerrisiko. Diese Strategie kann für die Steuerfunktion auch eine zeitlich versetzte und deswegen umso umfangreichere Datenerhebung notwendig machen. Nicht selten können steuerliche Prozesse nur noch verspätet oder gar nicht mehr vollumfänglich automatisiert werden – weil der Zug quasi abgefahren ist oder weil kurzfristig kein Budget mehr vorhanden ist. Eine gesamtunternehmerisch suboptimale Situation.
  2. Naturgemäß sorgt eine Berücksichtigung steuerlicher Anforderungen zu Projektbeginn für weniger Risiken. Diese Überlegung spricht für die Integration steuerlicher Expertise in unternehmerische Innovationsprojekte. Der Fokus auf steuerliche Belange kann aber in unterschiedlichen Bereichen dazu führen, dass in Bezug auf das datenbasierte Steuermanagement keine konzernweite Einheitlichkeit mehr möglich ist. Zudem drohen schnell Ressourcenengpässe, wenn Mitarbeiter der Steuerabteilung in jedem Innovationsprojekt prima facie eingebunden sind.
  3. Der „goldene Mittelweg“ liegt darin, aus Sicht der Steuerfunktion eine steuerliche Datenstrategie zu entwickeln. Diese soll vorgeben, welche steuerlichen Vorgaben für das Datenmodell des Unternehmens einzuhalten sind. Das sorgt für eine effiziente Kommunikation zwischen Steuerabteilung und operativen Bereichen sowie Projektteams. Notwendig ist die Vorgabe eines Rahmens zur Abbildung steuerlicher Anforderungen und Prozesse. Die Vorteile einer steuerlichen Datenstrategie zeigen sich insbesondere im heutigen dynamischen Umfeld. Es sichert eine durchgängige, nachvollziehbare und systematische Abbildung steuerlicher Anforderungen und ist Grundlage für operativ effiziente Tax-Compliance-Prozesse. Und es befähigt die Steuerabteilung aus Daten „value“ zu generieren und steuerlich zu optimieren.
  • SaaS-Verträge: Implementierungskosten sind laufender Aufwand

    Als „Software as a Service“ (SaaS) wird eine Dienstleistung bezeichnet, bei der ein Unternehmen eine IT-Anwendung aus einer Cloud nutzt, bspw. eine Anlagenbuchhaltung oder eine Software zur Verwaltung der Kundenbeziehungen.

    Das auslagernde Unternehmen hat dabei i. d. R. keinen Einfluss auf die der genutzten IT-Anwendung zugrunde liegende IT-Infrastruktur, mit Ausnahme ggf. vorzunehmender anwenderspezifischer Parametereinstellungen in der IT-Anwendung.

    Im Rahmen solcher SaaS-Verträge sind – sofern das auslagernde Unternehmen nicht wirtschaftlicher Eigentümer der Software ist – die im Zusammenhang mit der Implementierung anfallenden Aufwendungen sofort aufwandswirksam zu erfassen.

    Eine Aktivierung als immaterieller Vermögensgegenstand scheidet in diesen Fällen sowohl nach HGB als auch nach IFRS aus.

Mann im Serverraum
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Kapitel 7

Wie wird eine steuerliche Datenstrategie umgesetzt?

Eine intelligent konzipierte IT-Infrastruktur kann die Steuerfunktion zum Businesspartner machen.

Ein steuerliches Datenmanagement erfordert eine entsprechende IT-Infrastruktur. Der Art der Datenhaltung kommt eine entscheidende Bedeutung für ihre Nutzbarkeit zu. Zentrale und integrierte Architekturen haben entscheidende Vorteile für das Tax Management gerade mit Blick auf die Bewahrung des Kontextes, in dem steuerrelevante Daten stehen. 

Im Idealfall werden die steuerlichen Konsequenzen eines Geschäftsvorfalls automatisch aus den anfallenden operativen Geschäftsdaten abgeleitet.

Eine eindeutige Definition bzw. Bedeutungszuweisung operativer Daten ist wesentlicher Bestandteil einer steuerlichen Datenstrategie. Sie beinhaltet also eine Konzeption, die die Verlässlichkeit der steuerlichen Datenquellen/-merkmale sicherstellt. Dabei sollten möglichst wenige „Tax-only-Datenelemente“ – also Merkmale, die nur für steuerliche Zwecke benötigt werden – von den operativen Usern gepflegt werden müssen. Im Idealfall werden die steuerlichen Konsequenzen eines Geschäftsvorfalls automatisch aus den anfallenden operativen Geschäftsdaten abgeleitet. Dort, wo das nicht möglich ist, hilft zukünftig ggf. die Anreicherung um externe Daten. Hier kommt dem Tax-Management zugute, dass moderne Datenbanken große Datenmengen in sehr kurzer Zeit verarbeiten können.

Prüfbarkeit

Die Prüfbarkeit elektronischer Ermittlungen und Aufzeichnungen ist nach wie vor wichtig. Basis für jegliche steuerliche Auswertungen, Visualisierungen, Analysen und Simulationen sind durchgängige Referenzierungen in den Daten – ob progressiv (vom Geschäftsvorfall bis zur Deklaration) oder retrograd (von der Deklaration zum Geschäftsvorfall).

Businesspartner

Steuern gehören zweifellos zu den stark datengetriebenen Unternehmensfunktionen. Die stetige Verbreiterung der Bemessungsgrundlage verschiedenster indirekter Steuern – wie der DST – führt dazu, dass Besteuerungsmerkmale zeitnah und taggenau im operativen Geschäft abgeleitet und ermittelt werden müssen. Diese Entwicklung bietet nicht nur Herausforderungen, sondern auch Chancen. Ein fundiertes steuerliches Datenmanagement wertet die Steuerfunktion auf zum Businesspartner, der neue unternehmerische Geschäftsmodelle identifiziert und unterstützt.

Autoren: Dr. Dirk Brüninghaus, Roland Kaufmann, André Hengst

Fazit

Im Sommer 2019 forderte der französische Präsident Emmanuel Macron auf dem G7-Gipfel die Einführung einer nationalen Digitalsteuer – und das rückwirkend. Die politisch gewollte Besteuerung digitaler Dienstleistungen stellt nahezu alle Unternehmen vor große Herausforderungen – insbesondere diejenigen, die bereits neue, digitale Geschäftsmodelle verfolgen. Das Problem: Rechnungslegung und Steuerfunktion sind auf die neuen Datenstrukturen und -abläufe meist nicht eingestellt. Noch besteht auch keine Einigung, inwieweit ein Konzept hierfür international übergreifend oder national ausgestaltet wird. Fest steht nur, dass die meisten Unternehmen eine große Aufgabe erwartet, die sich am Ende aber auch positiv auf die Entwicklung von Geschäftsmodellen und Wachstum auswirken kann.

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