Selbstständiger Maurer mauert eine Wand

24-Stunden-Betreuung und Scheinselbständigkeit

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hatte in seinem Urteil vom 26.06.2025 (L8 R 848/17) über den sehr praxisrelevanten Fall einer 24-Stunden-Betreuung zu entscheiden. Wie das Urteil zeigt, erschwert hier bereits die Tätigkeit an sich die Annahme einer selbständigen Tätigkeit. Im Streitfall sprachen allerdings noch andere Gründe wie etwa die Rechnungstellung durch den „Vermittler“ für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Das LSG hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen.

Sachverhalt

Der Kläger bot Betreuungsdienstleistungen für Seniorinnen und Senioren an, darunter auch eine 24-Stunden-Betreuung vor Ort („Alltagshilfe“). Diese Leistungen erbrachte er teilweise mit Angestellten, teilweise durch Arbeitskräfte, die nach Tagessätzen entlohnt wurden. Im Streitfall schloss der Kläger mit einer dieser Arbeitskräfte einen Vermittlungsvertrag, in dem der Kläger als „Vermittler“ und die Alltagshilfe als „Auftraggeber“ bezeichnet wurde.

In diesem Vertrag verpflichtete sich der Kläger, der Alltagshilfe Aufträge zu vermitteln, bei denen diese als Selbständige Dienste im Bereich Hauswirtschaft und Seniorenbetreuung erbringen kann. Eine Verweigerung der Übernahme eines Auftrags berechtigte den Vermittler zur fristlosen Kündigung. Außerdem enthielt der Vertrag unter anderem eine Auflistung von Pflichten des Klägers wie beispielsweise die zur Unterstützung der Betreuerin bei bestimmten Tätigkeiten (z. B. bei der Rechnungstellung).

Im Dezember 2013 stellte der Kläger einen auch von der Seniorenbetreuerin unterzeichneten Statusfeststellungsantrag. Im September 2014 entschied die Beklagte, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorlag. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

LSG bestätigt Vorinstanz

Das LSG hat die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt. Es handelte sich um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Alle wesentlichen Abgrenzungskriterien sprechen für eine abhängige Beschäftigung:

Weisungsgebundene Tätigkeit

Zeitlich

Im Rahmen der 24-Stunden-Pflege konnte die Alltagshilfe ihre Zeiten nicht frei einteilen, sondern musste den betreuten Personen im Gegenteil rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Aufträge waren ausdrücklich auch während der Weihnachtszeit oder an Feiertagen zu übernehmen.

Örtlich

Die Tätigkeit war in den Wohnräumen der betreuten Personen auszuüben. Laut „Vermittlungsvertrag“ hatte der Kläger sicherzustellen, dass (wie bei der 24-Stunden-Pflege üblich) ein eigenes Zimmer im Haushalt der jeweils zu betreuenden Person zur Verfügung stand.

Dass die fehlenden zeitlichen und örtlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Streitfall in der Natur der Sache lagen, ändert nach Auffassung des LSG – entgegen der Meinung des Klägers – nichts an deren Indizwirkung.

Inhaltlich

Wenn die gewünschte Leistung – wie hier – nur allgemein und beispielhaft beschrieben ist, sind weitere Konkretisierungen und damit Weisungen notwendig. Der Kläger wies die zu betreuenden Personen zu und teilte die einzelnen Aufgaben jeweils im Rahmen einer Einweisung mit. Die Alltagshilfe hatte ihre Aufgaben gemäß dieser Einweisung und der sonstigen Vorgaben der Betreuten bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter zu erfüllen. Zudem kontrollierte der Kläger die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeit und die Verwendung des Haushaltsgeldes.

Eingliederung in die Arbeitsorganisation

Die ausgeübten Tätigkeiten dienten dem Betriebszweck des Unternehmens des Klägers. Er hatte sich verpflichtet, eine 24-Stunden-Betreuung der betreffenden Personen sicherzustellen. Die Alltagshilfe war somit lediglich Erfüllungsgehilfin. Sozialversicherungsrechtlich relevante Unterschiede zu dem im Angestelltenverhältnis für den Kläger tätigen Personal vermochte das Gericht nicht zu erkennen.

Die Alltagshilfe erbrachte die Betreuungsleistungen von der Akquise bis zur Zahlung ausschließlich in dem vom Kläger organisierten Rahmen. Beispielsweise stellte der Kläger sie bei den Kunden vor, wies sie dort ein, kümmerte sich um die ordnungsgemäße Durchführung der geschuldeten Betreuung, stand als ständiger Ansprechpartner zur Verfügung, sorgte im Verhinderungsfall für Ersatz und erledigte die Rechnungstellung. Darüber hinaus stellte er kostenlos Betriebsmittel (Einmalhandschuhe, Desinfektionsmittel) zur Verfügung.

Keine wesentlichen Anhaltspunkte für Selbständigkeit

Die Betreuerin verfügte weder über eine eigene Betriebsstätte noch über eigene Betriebsmittel. Sie trug auch kein unternehmerisches Risiko. Die Arbeitsmaterialien wurden vom Kläger oder mit den Mitteln der zu betreuenden Personen zur Verfügung gestellt. Als Gegenleistung für ihre Tätigkeit erhielt die Seniorenbetreuerin die vereinbarten Tagessätze sowie Kost und Logis. Ihre Aufgaben erfüllte sie stets persönlich; über eigene Beschäftigte verfügte sie nicht.

Fazit

Die 24-Stunden-Pflege (bzw. -Betreuung) ist allein schon aufgrund der Art der Tätigkeit weisungsgebunden. Damit eine selbständige Tätigkeit vorliegen kann, müssten daher die anderen Kriterien eindeutig gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen. In diesem Fall wäre dann auf den Willen der Vertragsparteien abzustellen (Urteil des Bundessozialgerichts vom 22.07.2025).

Denkbar ist – je nach den konkreten Umständen im jeweiligen Fall – auch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zwischen der zu pflegenden Person bzw. deren Angehörigen und der 24-Stunden-Betreuung.

Ihre Kontaktpersonen für diesen Artikel: Nancy Adam, Thorsten Koch