Vertragliche Regelungen, tatsächliche Umsetzung und Parteiwille
Die Unterscheidung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit ist nicht nur ein juristisches Detail, sondern hat weitreichende Konsequenzen. Für Personal- bzw. Payroll-Abteilungen ist es von zentraler Bedeutung, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, um rechtliche Risiken zu minimieren und die Compliance zu gewährleisten. Dieser Artikel zeigt die relevanten Kriterien anhand zweier aktueller Fälle auf, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Der Erste beleuchtet die Grauzone zwischen abhängiger und selbständiger Tätigkeit (Urteil des Bundessozialgerichts vom 22.07.2025, B 12 BA 7/23 R 22). Der Sachverhalt ist im zweiten Fall dagegen eindeutig, doch insbesondere für die Baubranche äußerst praxisrelevant (Urteil des Landessozialgerichts Hessen vom 20.02.2025, L 8 BA 4/22).
Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit
Eine abhängige Beschäftigung liegt dann vor, wenn die betreffende Person vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist (ständige Rechtsprechung des BSG). Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb trifft dies zu, wenn der Arbeitgeber ein umfassendes Weisungsrecht hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Tätigkeit hat und der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist.
Ein eigenes Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit sprechen dagegen für eine selbständige Tätigkeit. Entscheidend ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Die Einordnung einer Tätigkeit hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.
Erster Urteilsfall: Vertrag über freie Mitarbeit mit einem Steuerfachgehilfen
Der Kläger, ein freiberuflicher Steuerberater, schloss im Januar 2018 mit einem gelernten Steuerfachgehilfen (Beigeladener) einen Vertrag über freie Mitarbeit ab.
Danach hatte der Beigeladene die laufende Lohnabrechnung für 30 Mandanten des Klägers zu übernehmen. Zusätzlich bearbeitete er weitere Aufträge des Klägers, die er ohne Nennung von Gründen ablehnen konnte. Außerdem erledigte er auch die Abrechnungen für die Belegschaft des Klägers für eine monatliche Pauschale.
18 weitere Auftraggeber
Der Beigeladene war im Jahr 2018 für mindestens 18 weitere eigene Auftraggeber tätig. In den Räumen des Klägers stand ihm ein Pool-Bildschirmarbeitsplatz und dessen IT-Infrastruktur für ein monatliches Nutzungsentgelt zur Verfügung. Bei Arbeiten von zu Hause nutzte er seinen eigenen PC mit Verbindung zum Geschäftsserver.
DRV stellt Sozialversicherungspflicht fest
Der Beigeladene und der Kläger stellten am 06.07.2018 gemeinsam einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status für die Tätigkeit des Beigeladenen. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) stellte fest, dass es sich bei der Tätigkeit des Lohnbuchhalters um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelte. Das Sozialgericht Gießen widersprach dem und auch die Klage vor dem Landessozialgericht (LSG) Hessen scheiterte. Die Revision der DRV vor dem BSG blieb ebenfalls erfolglos:
BSG bestätigt Vorinstanzen
Das BSG schloss sich der Auffassung des LSG an, dass sich im Streitfall die Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung mit den Indizien für eine selbständige Tätigkeit die Waage halten.
Indizien pro Sozialversicherungspflicht
Auf eine fremdbestimmte Eingliederung und damit ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis deutet hin, dass der Kläger
- die Mandanten akquirierte,
- dem Beigeladenen einen Pool-Arbeitsplatz zur Verfügung stellte und
- dessen Tätigkeit über die Kanzlei abrechnete.
Indizien kontra Sozialversicherungspflicht
Gegen eine Fremdbestimmung spricht dagegen, dass
- der Kläger keine örtlichen, zeitlichen oder inhaltlichen Vorgaben machte,
- Weisungen bei der Durchführung der Leistungen des Beigeladenen vertraglich ausdrücklich ausgeschlossen waren und nach den Feststellungen des LSG auch tatsächlich nicht erteilt wurden,
- die Verantwortung nicht aus berufsrechtlichen Gründen durch den Kläger als Steuerberater wahrgenommen werden musste, weil gelernte Steuerfachgehilfen die laufende Lohnabrechnung geschäftsmäßig ausüben dürfen,
- der Kläger für die freigestellte Nutzung der Büroräume ein pauschaliertes monatliches Nutzungsentgelt berechnete,
- sich die Vergütung am erwirtschafteten Umsatz orientierte und der Beigeladene daher ein unternehmerisches Risko trug,
- der Beigeladene selbst entscheiden konnte, wo, wann und auf welche Weise er den Auftrag durchführte.
Der Vertrag war erkennbar darauf ausgelegt, Raum für eine anderweitige unternehmerische Betätigung zu belassen. Es wurde sogar ausdrücklich festgehalten, dass der Beigeladene auch für andere Auftraggeber tätig sein solle.
In Pattsituation ausnahmsweise Wille der Beteiligten entscheidend
Laut BSG sprach die Gesamtabwägung gleichermaßen für eine abhängige Beschäftigung wie für eine Selbständigkeit. Das LSG durfte daher ausnahmsweise dem Willen der Beteiligten eine gewichtige Bedeutung beimessen. Dieser Wille, eine selbständige Tätigkeit zu vereinbaren, ergab sich bereits deutlich aus dem Vertrag, sodass weitere Gesichtspunkte – wie etwa der Status im bisherigen Berufsleben – nicht relevant waren.
Zweiter Urteilsfall: polnischer Maurer
Völlig anders gelagert und zu beurteilen war ein Fall, über den ebenfalls das LSG Hessen entschieden hat. Die Klägerin ist ein Maurerbetrieb in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Beigeladene, ein polnischer Staatsangehöriger, hatte diverse Gewerbe angemeldet. In den Jahren 2008 bis 2011 war er mit Unterbrechungen für die Klägerin tätig. Eine schriftliche Vereinbarung gab es dazu nicht.
(Arbeits-)Unfall
Im März 2011 erlitt der Beigeladene während einer Tätigkeit für die Klägerin einen Unfall. Die Berufsgenossenschaft lehnte es zunächst ab, einen Arbeitsunfall anzuerkennen. 2014 beantragte der Beigeladene die Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status. Hierbei gab er an, dass er 2010 noch für zwei andere Unternehmen für etwa drei Monate gearbeitet habe, im Übrigen ausschließlich für die Klägerin. Er habe täglich Abbrucharbeiten, Maurertätigkeiten und Pflasterarbeiten ausgeübt. Hierbei sei er ständig durch die Mitarbeiter der Klägerin kontrolliert worden und habe genaue Anweisungen erhalten, was er zu welchem Zeitpunkt tun sollte.
Kriterien für abhängige Beschäftigung erfüllt
Das LSG Hessen kam zu dem Ergebnis, dass der Beigeladene bei seiner Tätigkeit die Weisungen der Klägerin zu befolgen hatte, in ihren Betrieb eingegliedert war und kein nennenswertes Unternehmerrisiko trug. Dabei bezog es sich auf die Feststellungen des Sozialgerichts Frankfurt am Main. Das Sozialgericht hatte insbesondere festgestellt, dass der Beigeladene
- lediglich Hilfs- und Zuarbeiten erledigt hatte,
- mit den Söhnen des Geschäftsführers der Klägerin auf den Baustellen regelmäßig zwischen 7:30 und 16:30 Uhr Hand in Hand gearbeitet und von ihnen Einzelanweisungen zur Ausführung seiner Tätigkeit erhalten hatte,
- der Beigeladene gegenüber den Kunden der Klägerin als deren Mitarbeiter aufgetreten war,
- nicht die Möglichkeit hatte, ein eigenes Gewerbe zu führen, da ihm die erforderlichen Deutschkenntnisse, Werkzeuge und die Infrastruktur dafür fehlten.
Parteiwille nicht relevant
Dass die Tätigkeit sporadisch und unregelmäßig anfiel, konnte das Gericht nicht als gewichtiges Indiz für eine selbständige Tätigkeit erkennen. Im Gegensatz zum ersten Fall kam es vor diesem eindeutigen Hintergrund auch nicht darauf an, ob die Parteien eine selbständige Tätigkeit vereinbaren wollten. Das LSG hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen.