Bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungen prallen unterschiedliche steuerliche Regelungen aufeinander. Während das deutsche UmwStG mit dem Einbringungsgewinn II eine nachträgliche Besteuerung vorsieht, garantiert die EU-Fusionsrichtlinie in vergleichbaren Fällen einen Steueraufschub bis zur späteren Realisierung. In einem aktuellen Urteil hatte sich das FG Hessen im zweiten Rechtsgang mit diesem Spannungsverhältnis auseinandergesetzt.
Werden Anteile an einer Kapitalgesellschaft in eine andere Kapitalgesellschaft eingebracht (sog. Anteilstausch), sind im Nachgang bestimmte Sperr-, Beobachtungs-, und Meldefristen zu beachten. Nach § 22 Abs. 2 UmwStG entsteht ein sogenannter Einbringungsgewinn II, wenn die unter dem gemeinen Wert eingebrachten Anteile innerhalb von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitpunkt durch die übernehmende Gesellschaft weiterveräußert oder in anderer Form übertragen werden und der Veräußerungsgewinn der eingebrachten Anteile nicht bereits beim Einbringenden steuerfrei gewesen wäre (§ 8b Abs. 2 KStG). Der Einbringungsgewinn II wird dann rückwirkend dem Einbringenden zugerechnet und im Jahr der Einbringung besteuert. Demgegenüber verfolgt die EU-Fusionsrichtlinie (FRL) einen anderen Ansatz. Nach Art. 8 Abs. 1 FRL soll ein Anteilstausch zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten zu einem Besteuerungsaufschub auf Anteilseignerebene für die stillen Reserven bis zur späteren Realisierung führen.
Im Urteilsfall war der Kläger Alleingesellschafter einer spanischen Kapitalgesellschaft (SLU). Die E war Alleingesellschafterin einer deutschen GmbH. Der Kläger und die E entschieden, ihre jeweiligen Beteiligungen in eine gemeinsame deutsche Holdinggesellschaft (F-GmbH) einzubringen. Im Jahr 2007 brachte der Kläger im Wege eines Anteilstauschs die Anteile an der SLU in die deutsche F-GmbH gegen Gewährung neuer Anteile ein. Die F-GmbH setzte die eingebrachten Anteile mit einem Wert an, der unterhalb des gemeinen Wertes lag. Somit unterlagen die von der GmbH gehaltenen Anteile an der SLU der Sperr-, Beobachtungs-, und Meldefrist nach § 22 Abs. 2 und 3 UmwStG. Im Folgejahr wurde die F-GmbH formwechselnd in eine OHG umgewandelt. Der Formwechsel erfolgte zum steuerlichen Buchwert.
Im ersten Rechtsgang (BFH vom 18.11.2020, I R 24/18) bestätigte der BFH die Entscheidung der Vorinstanz (FG Hessen vom 10.07.2018, 2 K 881/15), wonach der Formwechsel der F-GmbH in eine OHG als Veräußerung anzusehen sei und innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist einen Einbringungsgewinn II auslöse. Gleichwohl verwies der I. Senat das Verfahren aufgrund verfahrensrechtlicher Mängel an die Vorinstanz mit einer Segelanweisung zurück. Verfahrensrechtlich sei zu beachten, dass der Einkommensteuerbescheid nicht – wie von der Verwaltung und dem FG Hessen angenommen – nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO geändert werden könne, da das steuerlich rückwirkende Ereignis (hier: der in 2008 erfolgte Formwechsel) vor Erlass des zu ändernden Einkommensteuerbescheides lag. Im zweiten Rechtsgang habe das FG somit zu klären, ob
- die Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO in Betracht komme und
- eine Besteuerung des Einbringungsgewinns II mit der EU-Fusionsrichtlinie vereinbar sei.
Unter Beachtung der Segelanweisung des I. Senats sieht das FG Hessen (Urteil v. 22.05.2025, 3 K 778/21) in dem Formwechsel der F-GmbH in eine OHG einen Sperrfristverstoß, sodass grundsätzlich ein Einbringungsgewinn II zu versteuern wäre. Nach Ansicht des FG Hessen dürfe das Finanzamt den Einbringungsgewinn II im Einkommensteuerbescheid auch berücksichtigen, da vorliegend der Finanzverwaltung steuerlich erhebliche Tatsachen (hier: der Formwechsel) erst nachträglich bekannt wurden (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO).
Letztlich stehe aber einer Besteuerung des Einbringungsgewinns II das Unionsrecht in Gestalt der EU-Fusionsrichtlinie entgegen. Vorliegend sei sowohl der persönliche als auch der sachliche Anwendungsbereich der EU-Fusionsrichtlinie eröffnet. Nach Art. 8 Abs. 1 FRL darf die bloße Zuteilung von Anteilen an einen Gesellschafter im Rahmen eines Anteilstausches allein keine sofortige Besteuerung des Veräußerungsgewinns für den Gesellschafter auslösen. Die Regelung gewähre auf Gesellschafterebene (hier: auf Ebene des Klägers) einen Besteuerungsaufschub bis zur tatsächlichen Realisierung der stillen Reserven. Unter anderem lehnt das FG auch eine Anwendung der Missbrauchsklausel nach Art. 11 FRL ab. Es fehle im Streitfall an Anhaltspunkten für eine steuerliche Umgehung.
Somit verstoße § 22 Abs. 2 UmwStG gegen die Vorgaben der EU-Fusionsrichtlinie, indem sie bei einer Veräußerung der im Rahmen eines Anteilstausches von der übernehmenden Gesellschaft (hier: F-GmbH) erworbenen Anteile (hier: an der SLU) innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach der Einbringung in pauschaler Weise (ohne jegliche Möglichkeit eines Gegenbeweises) ein missbräuchliches Verhalten unterstellt und rückwirkend zum Einbringungsmoment die Besteuerung des Anteilseigners hinsichtlich der noch nicht realisierten stillen Reserven in den eingebrachten Anteilen (hier: der SLU) anordnet.
Gegen das Urteil des FG Hessen ist Revision beim BFH anhängig (X R 18/25). In einem ähnlichen Sachverhalt hat der X. BFH-Senat (Urteil vom 27.11.2024, X R 26/22; vgl. EY-Steuernachricht vom 03.04.2025) kürzlich zu § 22 Abs. 2 UmwStG entschieden, dass die EU-Fusionsrichtlinie im Falle eines reinen innerstaatlichen Vorgangs nicht anwendbar sei. Nun bleibt abzuwarten, wie sich der BFH in der vorliegenden grenzüberschreitenden Konstellation zu dem Spannungsverhältnis mit der Fusionsrichtlinie positioniert.
Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des FG Hessen zur Verfügung.
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